Leo Hölzer (Vladimir Burlakov), der sonst moralisch so geerdete Kommissar, steht neben sich und gerät in eine Abwärtsspirale, die er offenbar selbst ganz anders wahrnimmt. Sein Partner und Freund Adam Schürk (Daniel Sträßer) ist beunruhigt. Adam ist eigentlich der Mann für die obsessiven Alleingänge; deshalb weiß er, dass diese „scheißegal“-Haltung für einen Polizisten gefährlich sein kann. Ausgangspunkt ist allerdings Leos untrügliches Gespür für Gerechtigkeit. Auf einer Landstraße wäre er beinahe von einem Pkw überfahren worden. Wenige Minuten später knallt es tatsächlich. Eine alte Frau hat es erwischt, ihr Wagen ist gegen die Leitplanke gerast. Der Kommissar weiß, dass es dieser vermaledeite schwarze Pickup gewesen sein muss, doch es fehlen die objektiven Beweise: Herztod am Steuer, Unfall – es gibt also keinen Grund zu ermitteln. Leo ist wütend, die Begegnung mit dem Ehemann der Toten wühlt ihn noch mehr auf. Hinzu kommt, dass die Beziehung zwischen ihm und Adam schwer angeschlagen ist. Dieser, sein bester Freund, ja Blutsbruder, fährt mit 1,2 Millionen Euro im Kofferraum durch die Gegend, erbeutet bei einem Bankraub seines Vaters. Adam will das Geld behalten. Es sei sein Erbe. Für Leo ist das völlig inakzeptabel.
Foto: SR / Manuela Meyer
Was sein Freund und Kollege kann, das will Leo Hölzer nun auch versuchen. Und so begibt er sich in „Tatort – Der Fluch des Geldes“ auf verbotenes Terrain. Ohne Auftrag ermächtigt er sich selbst zu einer Undercover-Ermittlung. Rasch hat er sich mittels 100.000 Euro vom Blutgeld des Freundes in eine Clique eingekauft: Betty (Susanne Bormann), ihr Freund Taleb (Omar El-Saeidi), Dino (Daniel Zillmann), alle schon ein ansehnliches Vorstrafenregister auf dem Buckel, und die etwas jüngere Luisa (Jasmina Al Zihairi), die drogenabhängige, heimliche Alpha-Frau des Quartetts, haben das Spiel(en) zum Lebensinhalt gemacht. Ob im Casino oder anderswo, ständig setzen diese egozentrischen Müßiggänger auf Zahlen, messen sich, verstricken sich gegenseitig in Challenges oder schließen absurde Wetten ab. Wenn sie dabei andere abzocken können, umso besser. Der Kommissar setzt auf die Gier der Gruppe. Dass die Vier einen Tag nach der tödlichen Spritztour mit dem „geliehenen“ Pickup so leichtgläubig einen Fremden in ihrem Kreis aufnehmen, ist allerdings wenig glaubwürdig, im Rahmen dieses Genrekrimis allerdings umso effektiver. Die tödliche Karambolage wurde im Übrigen weder durch Alkohol noch durch Drogen verursacht, sondern durch eben jene asoziale Form der Spielsucht. Die Vier hatten – um sich den nötigen Kick zu holen – eine ihrer Wetten abgeschlossen. Damit ist der Tatbestand einer Straftat erfüllt: „Wenn ein Raser den Tod anderer Verkehrsteilnehmer billigend in Kauf nimmt, dann ist es kein Unfall, dann ist es Mord.“ Den oder die Täter überführen kann er aber nur, wenn einer umfällt.
„Der Fluch des Geldes“ ist ein durchweg spannender, mitunter sogar packender Krimi. Die Gefährdung des Kommissars hält sich allerdings die meiste Zeit in Grenzen, weil die Vier bei aller krimineller Energie wohl kaum einen vorsätzlichen Mord begehen würden. Ein Teil des Nervenkitzels resultiert aus mehreren Wett-Aktionen, die das Zentrum der Geschichte bilden. Vom harmlosen Wettlauf in einer verfallenen Fabrikanlage und dem Luftanhalten unter Wasser, bei dem einer der Mitspieler zu ertrinken droht, gipfelt die 120.000-Euro-Challenge in einem raffinierten Psychotest. Diese Stunden lassen gruppendynamisch tief blicken, sie gewähren Einblicke in die Rollen, die jeder in der Gruppe einnimmt, und in das, was in jedem Einzelnen schlummert. Das macht denn auch den besonderen Reiz beim Zuschauen aus: unterschwellige Konflikte zu erspüren und mögliche Rollenwechsel zu antizipieren. Bleibt der schöne Exot durchweg cool, der dicke Nerd ein Loser, die hübsche Betty nur eine typische Blondine, und bleibt Luisa so keck und tough? Interaktion wird zum Krimi, und die Psychologie des Einzelnen wird auf die Gesellschaft zurückgespiegelt: Süchte und Obsessionen bleiben also der Kraftstoff dieses Geheimnisse-bergenden „Tatort“-Teams, in dem den Frauen der Verstand und den Männern die überbordenden Gefühle zugeordnet sind.
Foto: SR / Manuela Meyer
Dieser „Tatort“ jenseits der Ermittler-Routine besitzt ein gutes Tempo, beginnt flott die narrativen Fakten zu sammeln, um im Mittelteil in die physisch starke Kommunikation der Gruppe einzusteigen. Nach einer Filmstunde gibt es dann noch einmal kompakt zahlreiche Informationen zu den Vorstrafenregistern, die den Weg auf die Zielgerade ebnen. So kann Undercover-Krimi-typisch weitgehend auf die üblichen Verhöre verzichtet werden. Was den Krimi-Plot angeht, ist man als Zuschauer gut informiert, ähnlich wie Leo Hölzer. Die Frage ist: Wie kommt der Kommissar ans Ziel? Dass sich der so klare Fall im Schlussdrittel noch entscheidend dramatisch verdichtet, macht die Wie-Frage noch aufregender. Einen Teil der Faszination der Dramaturgie im Hauptteil des Films entsteht durch die ausgespielten Wetten selbst. „Der Fluch des Geldes“ ist quasi ein Krimi mit Game-Show-Anteil; der Risiko-Faktor liegt irgendwo zwischen „Wetten dass?!“ (du verlierst deinen Traum) und fiktionalen Varianten wie „Das Millionenspiel“ oder „Squid Game“ (du verlierst dein Leben). Sozialdramen und Beziehungsthemen, Loser/Gewinner oder Kinderwunsch, sind in diesem Film auch zu finden, die besondere Krimi-Narration aber verhindert den Eindruck, diese Geschichten schon tausendmal gesehen zu haben. Der Schluss hält einen Clou und mehrere Klasse-Szenen parat. Bei einem Krimi, der lustvoll um die Spielsucht kreist und in der ersten Einstellung eine offene Sporttasche mit viel Geld ins Bild fliegt, passt es, dass er nicht todernst endet, sondern mit hysterischem Totlachen. (Text-Stand: 17.12.2023)