Einen erfahrenen Kommissar kann nichts mehr erschüttern? Schon die Eingangsszene von „Yvonne und der Tod“ erzählt etwas Anderes. Gleichzeitig wird der klassische Beginn vieler Kriminalfilme – der Leichenfund – ebenfalls auf eine etwas andere Art geschildert. Mühsam schneidet die Polizei eine Tür auf, während die Kamera im dunklen Inneren der Wohnung wartet. Nach dem Öffnen raubt der Geruch Ingo Thiel (Heino Ferch) und Rechtsmedizinerin Martha Stachowicz (Karolina Horster) den Atem. Und kurz nachdem sich Thiel einen Weg durch die zugemüllte Wohnung bahnte, stürzt er bereits wieder zurück an die frische Luft und kämpft mit einem Würgereflex. Nicht allein der Geruch, auch nicht der Anblick der seit Wochen im Bett liegenden Leiche, sondern die offenbar zahlreichen Ratten setzen Thiel besonders zu. Dabei gibt es kein einziges Bild von der Leiche, und dass die Ratten in der Wohnung das Regiment übernommen haben, wird allenfalls angedeutet, vor allem durch die Tonspur. Viele Krimis zeigen mehr, bringen aber den Schrecken, der sich am Ort eines Leichenfundes offenbart, weitaus weniger intensiv zum Ausdruck. Regisseur Niki Stein erweist sich als Meister der Reduktion.
Foto: ZDF / Marq Riley
Mit der Einführung rückt er zudem den unangenehmen Teil der Polizeiarbeit in den Mittelpunkt, was zum Realitätsanspruch der Reihe um den Mönchengladbacher Kommissar Thiel passt. Und auch sonst werden im sechsten Film wieder die einzelnen Ermittlungsschritte nachvollziehbar und ohne Effekthascherei erzählt, jedenfalls in den ersten 75 Minuten. Das in Griechenland spielende Finale fällt dann ziemlich aus dem Rahmen. Denn Thiel wird erstmals zu einem typischen Krimi-Helden, der sich dem Schurken im Ausland im Alleingang entgegenstellt. Da geht die schöne Eigenart der Thiel-Reihe, die sich bisher durch Teamarbeit und akribische, an der Polizei-Realität orientierte Ermittlung ausgezeichnet hat, im Mittelmeer baden – zugunsten eines klassischen Action-Duells. Kann man so machen, ist auch spannend, aber von solcherlei Krimis und Ermittler-Figuren gibt es eigentlich genug. Außerdem lässt eine derartige Auflösung den auch diesmal wieder formulierten Anspruch („basiert auf wahren Begebenheiten“) als ziemlich zweifelhaft erscheinen.
Ingo Thiel ist bekanntlich nicht nur eine Filmfigur: Nach dem „Fall Mirco“, der bundesweit Aufmerksamkeit erregt hatte, veröffentlichte der Mönchengladbacher Kommissar Thiel im Jahr 2014 das Buch „Soko im Einsatz“, in dem er nicht nur von den Ermittlungen nach dem Mord an dem zehnjährigen Mirco, sondern noch von zwei weiteren Fällen berichtete. Mit „Ein Kind wird gesucht“ (2017) über den „Fall Mirco“ nahm die Arte/ZDF-Reihe ihren Auftakt. Niki Stein stieg als Drehbuch-Autor und Regisseur im fünften Film („Briefe aus dem Jenseits“) ein, der von einem cold case handelte. Dafür ist nun Katja Röder, die die Reihe gemeinsam mit Fred Breinersdorf konzipiert und als Autorin bisher an allen Thiel-Filmen mitgewirkt hatte, nicht mehr dabei. „Yvonne und der Tod“ ist nun erstmals stark auf die Hauptfigur zugeschnitten und zeigt den persönlich in den Fall verwickelten Kommissar nahbarer und als hartnäckigen Einzelkämpfer.
Foto: ZDF / Tom Trambow
Der Leichenfund zu Beginn hat mit der eigentlichen Kriminalgeschichte des Films nichts zu tun. Die handelt vielmehr von einem Vermisstenfall, den der Kommissar persönlich trifft: Thiel hatte die Steuerprüferin Yvonne Gaspers (Katharina Heyer) über ein Datingportal kennengelernt, aber bisher nur ein Mal getroffen. Kurz darauf verschwindet die attraktive Frau, und weil sich Thiels Visitenkarte in Yvonnes Manteltasche findet, wird der Kommissar von Lee Sooyoung (Kotbong Yang), der „So jungen“ Kollegin aus der Vermisstenabteilung, zum Treffen mit Yvonnes Schwester Jasmin (Helene Grass) hinzugebeten. Fortan bilden Lee und Thiel ein hübsch gegensätzliches Ermittler-Paar: Lee redet viel und unverblümt („Sind Sie sehr einsam?“), weiß mit juristischen Detailkenntnissen im richtigen Moment aufzutrumpfen und hat einen unbestechlichen Blick auf ihre Umgebung, insbesondere auf ihren berühmten, älteren Kollegen von der Abteilung „Verbrechen gegen das Leben“. Die 1994 in Duisburg geborene Kotbong Yang, der die Ausstattung eine übertrieben große Brille mit dunklem Rand verpasst hat, spielt erfrischend gegen das Klischee der asiatischen Streberin an und verleiht der Rolle genau das richtige Maß an vorwitziger Frechheit – ein schöner Kontrast zum immer etwas zugeknöpft wirkenden Heino Ferch.
Thiel lernt die Fähigkeiten Lees schnell schätzen und nimmt sie in sein Team auf. Dass Yvonne etwas zugestoßen sein könnte, daran zweifeln alle. Thiels Kolleginnen und Kollegen halten den Kommissar ohnehin für befangen. Die Polizeiarbeit wächst sich diesmal nicht zu einer umfangreichen Sonderermittlung mit einem immer größer werdenden Team aus, sondern wird auf kleiner Flamme vorangetrieben. Niki Stein gelingt es dennoch, die Spannung hochzuhalten. Scheibchenweise offenbaren einige Rückblicke, wie Thiels Date mit Yvonne Gaspers gelaufen ist. In Verdacht gerät der Kommissar nicht wirklich, stattdessen fügt Stein nach gut einem Drittel des Films eine weitere dramatische Perspektive hinzu: Der junge Ägypter Iskander (Aziz Dyab) sollte im Auftrag seines Onkels Jamir (Mohamed Achour), dessen Firma Fassaden reinigt, Yvonnes Auto beseitigen. Iskanders Freundin Daphne (Kleopatra Markou) erwartet ein Kind, während ihr Freund vom Onkel außer Landes geschickt wird. Thiel, der in diesem Film buchstäblich eine gute Nase beweist, reist hinterher – mit Lee Sooyoung im Schlepptau. Bleibt zu hoffen, dass die besondere Qualität der Reihe in Zukunft erhalten bleibt und Thiel kein Kommissar wie viele andere wird.
2 Antworten
Thiel wie immer gut, aber die weibliche Hauptrolle – grauenvoll!
Gab es da keine bessere Alternative?
Kotbong Yang hat mir sehr gut gefallen, sie ist ein toller Gegenpart zu Heino Ferch. Ich kann nur unterschreiben, was Thomas Gehringer sagt: „…und eine Entdeckung bietet der Film auch: Erfrischend vorwitzig spielt Kotbong Yang den weiblichen Sidekick….“ Hoffentlich sehen wir bald noch mehr von Kotbong Yang.