Es ist ein echtes Dilemma. Der Kampf gegen den Klimawandel ist kompliziert, weil neben den ökologischen Zielen immer auch ökonomische Aspekte eine Rolle spielen. Natürlich verschlingt eine Fabrik, in der Energiespeicher produziert werden, viele Ressourcen, aber auf lange Sicht fällt die Rechnung trotzdem positiv aus. Die Alternative wäre ohnehin nicht erstrebenswert: Gebaut wird das Werk auf jeden Fall; wenn nicht in Hamburg, dann eben in Rumänien, wo Umweltstandards nicht gerade an erster Stelle stehen. Die politische Dimension dieser Frage ist also offensichtlich, zumal das Unternehmen mit dem gefälligen Namen „Power for People“ (PfP) fünftausend Arbeitsplätze schaffen würde.
Zum Krimi wird dieser insgesamt 23. Fall für LKA-Kommissarin Helen Dorn (Anna Loos), als der PfP-Boss ermordet wird. Sein Ableben ist durchaus bedauerlich, denn auf diese Weise beschränkt sich die Mitwirkung Ralf Bauers im Grunde auf zwei Szenen. Im wahren Leben mögen Menschen wie John Kammgaardt etwas anders auftreten, aber Bauer versieht den schwerreichen Unternehmer mit einer äußerst reizvollen und gar nicht mal unsympathischen Mischung aus Extravaganz, Jungenhaftigkeit und Sarkasmus, mutmaßlich gepaart mit dem unverzichtbaren Größenwahn von Menschen, die überzeugt sind, sie könnten die Welt aus den Angeln heben.
Foto: ZDF / Georges Pauly
Während Kammgaardt also angenehm aus dem Rahmen fällt, entspricht die protestierende Gegenseite dem gewohnten Klischee: Im TV-Krimi wirken junge Leute, die sich zu einer verschworenen Gemeinschaft zusammengefunden haben, um den Klimawandel zu stoppen, immer unangenehm fanatisch. Kein Wunder, dass auch die Mitglieder von „Exit-Now“, für die der Unternehmer ein „Umweltblender“ ist, als Verdächtige gelten. Sein abtrünniger Sohn aus erster Ehe gehört ebenfalls zu der Gruppe und war in der Mordnacht auf dem Anwesen, wie sich trotz Vermummung auf den Bildern einer Taxikamera erkennen lässt.
Die Geschichte, die sich der mehrfache Grimme-Preisträger Friedemann Fromm für seine neunte „Helen Dorn“-Episode ausgedacht hat, ist allerdings viel komplizierter. Dorns Chef, Nedjo Kristic (Stipe Erceg,) hat offenkundig innigen Kontakt zu der aus Rumänien stammenden jungen Witwe Irina (Masha Tokarewa), die nun die Aktienmehrheit an PfP besitzt. Der Rest ist verstreut, weshalb ein vor einigen Jahren ausgebooteter Partner eine feindliche Übernahme plant: Nach Kammgaardts Tod ist der Kurs abgestürzt. Weil der Unternehmer aus großer Entfernung mit einem Jagdpfeil mitten ins Herz getötet worden ist, verhaftet die Kommissarin recht bald den früheren Leibwächter Kammgaardts; der mit einer speziellen Signatur versehene Pfeil stammt eindeutig aus der Eigenproduktion des passionierten Jägers. Der ehemalige Bodyguard ist die zweite faszinierende Figur des Films. Sasha Jellinek (Sebastian Hülk) hat vor zwei Jahren zum christlichen Glauben gefunden und seinen Job gekündigt, aber ausgerechnet Irina gibt ihm ein Alibi: Die beiden haben ein Verhältnis. Dorn ahnt alsbald, dass sie der Lösung des Falls einen gewaltigen Schritt näher kommt, wenn sie herausfindet, welches Ereignis Jellinek damals derart aus der Bahn geworfen hat.
Foto: ZDF / Georges Pauly
Angesichts von Fromms beeindruckender Expertise gerade auch bei der Führung junger Ensembles – einen seiner Grimme-Preise gab es 2010 für den ZDF-Mehrteiler „Die Wölfe“ über eine Berliner Jugendbande, die „Dorn“-Episode „Der kleine Bruder“ war ebenfalls ein Jugendkrimidrama – verwundert es ein wenig, dass sich der heilige Eifer der jungen Leute auch untereinander vorzugsweise in Form von Zorn und Lautstärke äußert. Dass nahezu sämtliche Verdächtige virtuos im Umgang mit Pfeil und Bogen sind und Dorn gemeinsam mit Kristic am Ende den Fall noch mal zusammenfasst, würde normalerweise ebenfalls Abzüge in der B-Note nach sich ziehen, allerdings ist die Geschichte in der Tat etwas kompliziert. Angesichts der Umsetzung fällt beides jedoch nicht ins Gewicht; Bildgestaltung und Musik sind vorzüglich. Kameramann Heinz Wehsling und Komponistin Ina Meredi Arakelian gehören seit einigen „Helen Dorn“-Filmen zum Fromm-Team. Die kurzweiligen Gespräche zwischen der Kommissarin und ihrem Vater (Ernst Stötzner) sind ohnehin fester Bestandteil der Reihe und ebenso schön gespielt wie die an Comedy grenzenden kleinen Sticheleien zwischen Dorn und Kriminaltechniker Weyer (Tristan Seith), der sich zum Leidwesen seiner Chefin vorbildlich um ein wachsames Bewusstsein für sprachliche Ungerechtigkeit bemüht. Über allem steht jedoch die am Ende formulierte Titelbotschaft: Jede Schuld sucht ihre Sühne.

