Eine ältere Frau platzt mitten in die Predigt von Pastor Johann Flemming (Martin Lindow) und fordert ihn vor versammelter Gemeinde und mit dänischem Akzent auf: „Gib mir meinen Mann zurück.“ Gemeint ist mutmaßlich der Vater des Pastors. Heinrich Flemming (Reiner Schöne) ist allerdings an Alzheimer erkrankt und benimmt sich nun recht hemmungslos: Er schlürft und rülpst während des Essens, verhöhnt Johanns Glauben und baggert mit anzüglichen Bemerkungen seine stille Schwiegertochter Nadja (Tatiana Nekrasov) an. Johann sperrt ihn schließlich in seinem Zimmer ein, Heinrich brüllt, und mitten drin der arme, kleine Pastoren-Sohn Simon (Anton Peltier), der nicht einmal den Fernseher laut drehen kann, weil er in der streng religiösen Familie – wie man später erfährt – natürlich nicht fernsehen darf. Kurz darauf sieht man einen Wolfshund im Wald, Simon läuft im Dunkeln den Kommissaren Borowski (Axel Milberg) und Sahin (Almila Bagriacik) vors Auto und berichtet, ein Hund habe den Opa angefallen, aber der Indianer habe den Hund getötet. Am nächsten Morgen wird die Leiche von Heinrich Flemming am Strand gefunden und wenige Meter daneben auch ein bereits skelettierter Hund. Der alte Mann wurde ertränkt, Bisswunden finden sich keine.
Foto: NDR / Felix Althaus
Wie das alles zusammenhängt, wird in einer Art Landschafts-Krimi erzählt: der finstere Wald, der verlassene Strand und das weite Meer, ein kleiner Ort an der Küste, in dem die Zeit stehen geblieben scheint, und das vorgestrig eingerichtete Haus der Pastorenfamilie Flemming, in dem eine eigentümliche Unbehaglichkeit herrscht – Schauplätze, Ausstattung, Kostüme (etwa die Schwesterntracht im Krankenhaus) und die Kamera von Arthur W. Ahrweiler erzeugen eine spannungsreiche Atmosphäre. Dazu spielt Martin Lindow den evangelischen Pastor mit einer derart protestantischen Penetranz – salbungsvolle Stimme, verkniffenes Gesicht –, dass man den Bewohnern im Hause Flemming alles zutraut. War der Konflikt zwischen Vater und Sohn nur der Erkrankung des Alten geschuldet? Und wieso kommt plötzlich Heinrichs ehemalige Lebensgefährtin Inga Anderson (Jannie Faurschou) mit Tochter (Iben Dorner) und Punker-Piraten-Freunden aus Dänemark angesegelt und fordert den Alten zurück? Heinrichs Frau Gudrun (Marie Anne Fliegel) lebt in der Nähe und ist ihrem Mann „dankbar, dass ich mit ihm so einen wunderbaren Sohn habe“. Sie hält eher zu Johann, will Heinrich aber auch nicht wieder herausgeben an Inga Andersen, wegen der sie einst von ihm verlassen wurde.
Foto: NDR / Felix Althaus
Die eigentliche Wurzel des Übels ist das vergiftete Erbe der Nazi-Ideologie, das in den Familien noch über Generationen weiterwirkt. Heinrich rebellierte wie viele andere gegen die rassistische Weltanschauung der Väter und gründete in Dänemark eine reformpädagogische Bewegung. Sein Sohn Johann wiederum sucht sein Heil im Glauben. Diese fundamentalen Generationen-Brüche werden hier aber nicht sonderlich tiefgehend verhandelt, sondern bleiben in einem umständlich konstruierten und an Motiven und Figuren überladenen Film Mittel zum kriminalistischen Erzählzweck. Auch die dramaturgische Entscheidung, ab und zu Szenen einer Befragung von Inga Andersen auf dem Kieler Kommissariat als Vorblende einzustreuen, trägt eher zu weiterer Verwirrung bei. Dabei kreist die Kamera fortwährend um die Kommissare und Andersen, was zwar sehr dynamisch wirkt, aber irgendwie auch zu dem Eindruck passt, dass man hier als Zuschauer mit allerlei Beiwerk hingehalten wird, ehe der Film zum eigentlichen Kern gelangt.
Eine Freude ist es nach wie vor, Axel Milberg in der Rolle des leicht entrückten, versponnenen Kommissars zu sehen. In dieser Folge beweist er erneut, dass er über eine besondere Antenne im Umgang mit anderen Menschen verfügt. Wichtigster Zeuge ist der kleine Simon, aber dessen Aussagen sind unzuverlässig. Gibt es den Hund und den „Indianer“ wirklich? Sind es nur Phantasiebilder? Oder kombiniert der traumatisierte Junge verschiedene Erinnerungen neu? Borowski gerät mit der neuen Kinderpsychologin aneinander, die ihn zurecht ausbremst, als er bei der Befragung Simons ungeduldig wird. Aber der Kommissar ist auch der Einzige, der dem Jungen glaubt. Er tastet sich behutsam vor, folgt den Phantasien des Kindes und dringt nach und nach zu den Hintergründen der Tat vor. Die kluge Fall-Analytikerin Mila Sahin mischt unaufgeregt und selbstbewusst mit und übernimmt die grenzüberschreitenden Ermittlungen in Dänemark. Borowski ist „von starken Frauen umgeben“, wie der Kommissar einmal mit altväterlicher Ironie in der Stimme erklärt. Das tut dem altgedienten Ermittler gut, aber er bleibt doch tonangebend. Für die ausgesprochen talentierte Almila Bagriacik („NSU – Mitten in Deutschland“, „4 Blocks“), die hier etwas im Schatten Milbergs steht, wäre ein stärkerer Part im Kieler „Tatort“-Team jedenfalls wieder wünschenswert.