„Der Legende nach lastet ein Fluch auf dieser Schrift. Wer immer sie sich aneignet, dem bringt sie Tod und Verderben“, doziert der smarte Chefbibliothekar der Deutschen Bücherei in seiner Vorlesung. Gesagt, geschehen. Eine wohlhabende, leidenschaftliche Sammlerin wird tot aufgefunden. „Langsam ausgeblutet“, stellt der Gerichtsmediziner fachmännisch fest. Aderlass bis zum Tod? Selbstmord? Die Kommissare Ehrlicher und Kain vermuten zunächst einen okkulten Hintergrund. Denn bei der Leiche wird die Kopie der sogenannten „Blutschrift“ gefunden, die seit Jahrzehnten als verschollen gilt. Jemand muss dieses etwa 1000 Jahre alte Manuskript, das ein Mönch mit seinem Blut geschrieben hat, der Händlerin angeboten haben.
Wie die Kommissare wähnt sich auch der Zuschauer anfangs in diesem „Tatort“ aus Leipzig im Reich unerklärlicher satanischer Kräfte. So reinigt die Cousine der Verstorbenen deren Lasterhöhle mit Weihwasser, Bücher fallen unvermittelt aus Regalen und so manche Bibliotheksangestellte setzt den ganz bösen Blick auf. Selbst Bernadette Heerwagen, sonst eher die sympathische Blonde von nebenan, hetzt abgedreht durch die Szenerie. Der Film von Schimanski-Vater Hajo Gies vergisst aber nie das nötige Augenzwinkern, das ein solcher Stoff braucht, um in der sonst eher realistisch anmutenden Krimi-Reihe bestehen zu können.
Vor allem Kains altkluges und Ehrlichers onkelhaftes Gewitzel, das zuletzt in den „Tatorten“ vom MDR so sehr die Geduld des Zuschauers strapazierte, ist in „Blutschrift“ der passende Kontrapunkt zu einer Welt, in der es nur vordergründig um Kultur geht. Vielmehr werden alle von der Gier getrieben. Da wirken die beiden Kommissare wie aus einem anderen Film. Das erinnert ein wenig an „Columbo“. Die einen träumen vom großen Geld, die anderen freuen sich auf ihr Bier am Abend. Und wie der amerikanische Knautsch-Kommissar macht auch Ehrlicher dieses Mal besonders auffallend auf trottelig. Es kommt hinzu, dass sich Peter Sodann physiognomisch zunehmend dem Aussehen von Stan Laurel annähert.
Zur Ironie kommt in „Blutschrift“ auch ein für Leipziger Verhältnisse höheres Tempo. Vor allem die Kommissare werden weniger statisch als gewohnt ins Bild gesetzt. Die Kamera sucht die Bewegung, die Szenen die Montage. So werden gleich zu Beginn drei parallel erzählte Handlungsstränge ins Bild gesetzt. Diese Dynamik im Detail hat der Film aber auch nötig, weil der Plot, eine klassische Wer-ist-der-Mörder-Story, sich von Szene zu Szene hangelt. Da kommt ein Verdächtiger nach dem anderen in das am Ende nicht mehr ganz so okkulte Spiel. Dass die zum Teil skurril-verschrobenen Figuren von „Gesichtern“ wie Gerd Baltus, Mina Tander, Hans-Werner Meyer oder Karin Gregorek verkörpert werden, tut diesem Krimi gut, den man vor allem als einen Genre-Spaß sehen sollte. (Text-Stand: 5.6.2006)