Stralsund – Schattenlinien

Wackernagel, Held, Imboden. Routinekrimi mit dem Versprechen auf Steigerung

Foto: ZDF / Gordon Timpen
Foto Harald Keller

Auf dem Strelasund zwischen Rügen und dem Festland explodiert eine Yacht. Handelte es sich um einen Anschlag? Wenn ja, wem galt er? Einmal mehr bezieht die Reihe „Stralsund“ (ZDF / Network Movie Köln) ihren kriminalistischen Plot aus Verbrechen der DDR-Vergangenheit: in der Folge „Schattenlinien“ aus der Existenz von Kinder- und Jugendheimen, deren Bewohner systematisch gequält und sexuell ausgenutzt wurden. Ein erschütternder Stoff, basierend auf verbürgten Sachverhalten, aber wenig aufregend filmisch umgesetzt. Immerhin: Auf einer zweiten Erzählebene werden neue Konflikte zwischen den Ermittlern angelegt, die in den kommenden Folgen für dramatische Würze sorgen könnten.

Kurz schien es mal so, als könnten Kriminalkommissarin Nina Petersen (Katharina Wackernagel) und Dienststellenleiterin Caroline Seibert (Therese Hämer) nach einem ziemlich kühlen Beginn ihrer Zusammenarbeit doch noch zu einem kollegialen Verhältnis finden. Aber gegen Ende des Films „Schattenlinie“ aus der ZDF-Reihe „Stralsund“ entdeckt Petersen ein Schriftstück, aus dem möglicherweise neuer Zwist entstehen wird. Womit die personellen Verhältnisse und Beziehungen innerhalb des Kommissariats, wie in den ersten Episoden, wieder brisant und somit zu einer wirkungsvollen zweiten Erzählebene werden könnten. Auch beginnt Petersen eine Liebschaft mit dem SEK-Beamten Thomas Jung (Johannes Zirner), eine Beziehung, die, wie sich bereits andeutet, gleichfalls nicht frei von Konflikten bleiben wird.

Autor Olaf Kraemer, ein Neuzugang unter den „Stralsund“-Autoren, denkt augenscheinlich in Fortsetzungen. Das entspricht den aktuellen Entwicklungen des Erzählfernsehens, wird aber konterkariert durch die Praxis des ZDF, die einzelnen Folgen seiner Reihenkrimis in großen Abständen auszustrahlen. Die letzte „Stralsund“-Episode lief am 10. November 2018. Selbst Zuschauer mit gutem Gedächtnis dürften Mühe haben, bei solchen Spannen an konsekutiv erzählte Inhalte anzuschließen. Vielleicht haben sie auch bereits vergessen, dass gerade erst bei dem voraufgegangenen Film mit dem Titel „Waffenbrüder“ Sprengstoff aus alten NVA-Beständen als Mordwaffe diente. Offenbar ist noch reichlich davon vorhanden. Genug zumindest, um im aktuellen Beitrag zur Reihe eine Yacht in die Luft zu jagen. An Bord befand sich ein frisch getrautes Ehepaar. Jan Böhring ist tot, seine Ehefrau überlebt schwer verletzt. Die polizeilichen Ermittlungen beginnen am frühen Morgen, von Regisseur Markus Imboden sehr passend Grau in Grau in Szene gesetzt. Kurzzeitig fällt Autor Kraemer in die für diese Reihe typische Unsitte zurück, den Stand der Dinge in aufgesetzten Erklärdialogen zu referieren. Als sie im Auto unterwegs sind, um Böhrings Eltern über den Tod ihres Sohnes zu informieren, fragt Kommissar Karl Hidde (Alexander Held) seine Kollegin Petersen: „Was ist eigentlich mit dem Disziplinarverfahren gegen dich?“ Das wirkt absolut unpassend und klingt dermaßen weltfremd, dass man fast versucht ist, aus der Geschichte auszusteigen.

„In den ‚Forschungen zur DDR-Gesellschaft‘ stieß ich auf Aussagen von 14- und 15-Jährigen, die von der Staatssicherheit zur Prostitution gezwungen wurden, und im Archiv des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes gibt es Videos, die westliche Freier mit ostdeutschen Prostituierten zeigen, die dann zur Erpressung verwandt wurden.“ (Drehbuchautor Olaf Kraemer)

Stralsund – SchattenlinienFoto: ZDF / Gordon Timpen
Im Angesicht des Todes. Nina Petersen (Katharina Wackernagel), Karim Uthmann (Karim Günes), Karl Hidde (Alexander Held)

Immerhin, es wird besser. Vorübergehend zumindest. Die polizeiliche Ermittlung, die Viktimologie, Zeugenbefragungen, kriminaltechnischen Untersuchungen werden plausibel, die unterschiedlichen Formen von Trauer sensibel erzählt. Die Ermittlungsergebnisse führen zurück in DDR-Tage, in ein Heim, in dem Kinder von Republikflüchtlingen und anderen Abweichlern untergebracht wurden. Nina Petersen wird darauf aufmerksam gemacht, dass die Zöglinge misshandelt und systematisch sexuell missbraucht wurden. Es kam zu auffällig vielen Todesfällen. Auch Robert Wegener starb dort. Sein Bruder Dirk (Marek Harloff) ist tatverdächtig. Er war Militärtaucher, sein Kamerad Sprengmeister. Die Verbindung zu den Opfern: Annegret Böhring (Angela Roy) war in jungen Jahren in dem Heim als Ärztin tätig und mindestens Mitwisserin der grausamen Verbrechen.

Im letzten Drittel fallen die Macher zurück in allzu vertraute Strickmuster. Es gibt eine Lösegeldübergabe in einem verlassenen Industriegebäude, versteckte Scharfschützen, den behelmten, nicht erkennbaren Motorradfahrer. Und immer findet sich irgendwo eine Datsche, wo sich die Gesuchten verstecken können. Versatzstücke, allenfalls routiniert in Szene gesetzt. Am Ende geht es in kurzen Einstellungen so hastig durch den Showdown, als müsse auf den letzten Metern noch Boden gutgemacht werden. Dramaturgisch uneben, so wie die überstürzte Liebesgeschichte zwischen Nina Petersen und Thomas Jung. Auch diese Inhalte abseits der Krimihandlung hätten in eigener Art für Spannung sorgen können, durch eine schrittweise Annäherung, spielerische Flirts, vielleicht das eine oder andere Missverständnis, ein behutsames Vor und Zurück. Für die Stammschauspieler hätte sich die Möglichkeit geboten, andere Facetten ihrer Figuren und des eigenen darstellerischen Können zu zeigen.

Ein typisches  Beispiel für das, woran es noch immer hapert in der seriellen Epik aus deutscher TV-Produktion: Das gekonnte Zerdehnen einer Handlung, der Spannungsgewinn durch vielschichtigere Darstellung und subtile psychologische Erkundungen der Charaktere sowie Intensivierung der Inhalte findet sich immer noch viel zu selten. Häufig übertragen deutsche Serienschaffende den schnellen Aktionismus der Kinodramaturgie auf die barockere Fernsehform. Ein grandioses Missverständnis – gerade die Serien meist US-amerikanischer Herkunft, die gern als Vorbilder zitiert werden, lösen sich von dieser Blockbuster-Ästhetik. Und eben das macht sie so interessant. (Text-Stand: 25.12.2018)

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Reihe

ZDF

Mit Katharina Wackernagel, Alexander Held, Andreas Schröders, Karim Günes, Johannes Zirner, Therese Hämer, Marek Harloff, Wolf-Dietrich Sprenger, Markus Boysen

Kamera: Carl-Friedrich Koschnick

Szenenbild: Claus Kottmann

Kostüm: Frank Bohn

Schnitt: Marco Baumhof

Musik: Oliver Kranz.

Casting: Sandra Köppe

Redaktion: Martin R. Neumann

Produktionsfirma: Network Movie

Produktion: Wolfgang Cimera

Drehbuch: Olaf Kraemer

Regie: Markus Imboden

Quote: 6,10 Mio. Zuschauer (19,8% MA)

EA: 25.01.2019 10:00 Uhr | ZDF-Mediathek

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