Martin Schell fällt es schwer, einen klaren Kopf zu behalten. Der Professor für Meeresbiologie wird während einer Polarexpedition mit seiner Beziehungsunlust konfrontiert. Im arktischen Spitzbergen sieht er sich nicht nur den Vorhaltungen seines greisen Vaters ausgesetzt, der sich als blinder Passagier an Bord geschlichen hat, sondern auch seine alte, große Liebe, die Wissenschaftsjournalistin Nina, und seine aktuelle Partnerin bringen ihn zum Nachdenken. Zu welchem Ergebnis er kommen wird, ist so klar wie der Himmel über den Gletschern. Immerhin handelt es sich bei „Sterne über dem Eis“ um eine Degeto-Produktion.
Die Story ist ausgedacht, die Konflikte sind bemüht, für eine ernsthafte Problembewältigung bleibt wenig Zeit. Die Musik säuselt unerträglich. Und selbst die wahrhaft prächtigen Landschaften werden nicht als Projektionsfläche für die Seelenlagen der Protagonisten benutzt, sondern fungieren allein als Gefühlsverstärker. Die alte, verlorene Liebe, die wieder aufkeimt, ist ein beliebtes Rührstück-Motiv. Man hat es tausende Male gesehen, doch so wie in dem Film von Sigi Rothemund hat man es noch nicht gesehen! Die Banalität des dramaturgischen Großen und Ganzen wird in leisen, intimen Szenen beiläufig weggespielt von Michael Fitz, Birge Schade und Franziska Schlattner. Es herrscht ein Alltagston, der bereits in den Dialogen angelegt ist. Eine launige Bereicherung ist Horst Sachtlebens kauziger Alter. Und die Kamera von Dragan Rogulj trägt das Übrige bei zu diesem Lichtblick am Freitagabend.
Das Melodram ist ein Genre wie jedes andere auch. Seine Affekte sind nicht minderwertiger als die, die im Krimi zum Tragen kommen. Doch Degeto, Pilcher & Co haben das Genre in Verruf gebracht. Gutes Emotionsfernsehen ist eine größere Leistung als gutes Spannungs-TV. Das liegt zum einen daran, dass es der Krimi in unserem popkulturell unterbelichteten Land in den letzten 40 Jahren geschafft hat, in den Kanon der (Populär-)Kultur aufgenommen zu werden. Das Melodram hat es nicht geschafft. Und das liegt nicht nur an den Machern. Auch die Fernsehkritik weigert sich, Qualitätsunterschiede zu sehen. Und das Publikum ist zerrissen. Weder gibt es so etwas wie eine kollektive Wertigkeit von Gefühlen, noch haben sich für die Darstellungen emotionaler Stoffe verbindliche Qualitätsstandards durchgesetzt. Ein Anfang wäre es, wenn die Produzenten mehr „gute“ Regisseure, Autoren und Schauspieler an dieses zu Unrecht verrufene Genre ranlassen würden. „Sterne über dem Eis“ ist in diesem Jahr nach „Fünf Tage Vollmond“ oder „Liebe verlernt man nicht“ zumindest ein Hoffnungsstreif am Fernsehhorizont des vermeintlich Trivialen. (Text-Stand: 4.12.2009)