“Ich bin nicht einsam, ich bin nur öfter mal allein.” Die Staatsanwältin Iris Hermann scheint ihr Leben gut im Griff zu haben. Sie ist Single, erfolgreich im Beruf, hat ab und an einen One-Night-Stand, liebt ihren durchgeknallten Vater und ihr Pferd, das genau so wild und bockig sein kann wie sie selbst. Als man bei ihr die unheilbare Nervenkrankheit ALS diagnostiziert, ist die Frau, die bislang alles so gut zu meistern schien, emotional überfordert und spielt mit dem Gedanken, ihrem Leben ein Ende zu setzen.
“Sterne leuchten auch am Tag” ist mehr als eine Krankengeschichte. Für die Heldin (ohne Fehl und Tadel: Veronica Ferres) gibt es keine irdische Hoffnung. Indem der Film sowohl für seine Figuren als auch für die Zuschauer den Tod in unmittelbare Nähe rückt, erzählt er auch sehr viel über die richtige Art zu leben – nicht nur im Angesicht des Todes. Die Krankheit wird zum Medium für drei Menschen, um sich zu finden und dem Sinn des Lebens näher zu kommen. Zunächst ist es der im Rollstuhl sitzende Sohn (großes Talent: Frederick Lau) ihres Arztes und Kurzzeit-Liebhabers (starke Ausstrahlung: Merab Ninidze), der ihr mit seiner erfrischenden Art, mit seinem Handikap umzugehen, die Todessehnsucht nimmt. Schnell wird die zum Eigensinn neigende Frau übermütig, fällt vom Pferd, bricht sich das Bein und muss wie ihr junger Freund durchs Leben rollen. Jetzt bemüht sich auch ihr Arzt nicht nur um die Krankheit, sondern auch um die Seele seiner Patientin.
Dramen um Krankheit, Tod und (Über-)Lebenswillen sind eine Gratwanderung zwischen Problembewusstsein und Rührseligkeit. Autor Richard Reitinger gelingt es weitgehend, mit fürs Genre ungewöhnlichen Dialogen voller Lakonie und leiser Melancholie, die Balance zu halten. Auch Roland Suso Richter weiß, mit Emotionen zu haushalten. Melodramatisch gedämpft hat seine Inszenierung mitunter etwas Sprödes. Veronica Ferres spielt ihr Selbstfindungs-Intermezzo bis in den Tod lange Zeit trotzig und widerspenstig. Ihre Heldin will sich nicht helfen lassen, schon gar nicht von einem Mann – und doch sehnt sie sich nach einer starken Hand. (Text-Stand: 27.8.2004)