Ein Toter mischte ein Dorf auf: Die einen hassten ihn, die anderen sind ihm verfallen
In einem Wald bei Magdeburg wird ein Pkw sichergestellt. Der Kofferraum ist voller Blut. Der Halter des Wagens, ein gewisser Jurij Rehberg, ist verschwunden. In dem Dorf, in dem er seit geraumer Zeit lebt, macht sich dessen schwangere Verlobte Annette Wolf (Katharina Heyer) große Sorgen um ihn, während ihr Vater (Hans Uwe Bauer) gut auf den windigen Burschen verzichten kann. Körperverletzung, Erpressung, Diebstahl – der Russe ist kein unbeschriebenes Blatt. Der DNA-Abgleich ergibt: Das Blut stammt von Rehberg – und der Menge nach zu urteilen, ist er tot. Doreen Brasch (Claudia Michelsen) und Dirk Köhler (Matthias Matschke) können sich verstärkt an die Befragungen der Dorfbewohner machen. Kein leichtes Unterfangen. Viel ist nicht herauszukriegen. Eines aber wird deutlich: Der Tote polarisierte. Der Dorfbäcker (Christian Beermann) lässt nichts auf seinen Freund kommen; seine Mutter (Jutta Wachowiak) und Frau (Katrin Wichmann) hingegen sehen diesen Mann sehr viel kritischer. Auch der Kfz-Mechaniker (Tom Keune) kriegt einen dicken Hals, wenn er nur den Namen Jurij hört. Die Frauen im Dorf überkommen da ganz andere Gefühle. Ein Mordmotiv haben also einige. Doch von der Leiche fehlt jede Spur. „Keine Leiche – kein Mord, kein Mord – kein Mörder!“, grinst Werner Wolf und bringt die Situation auf den Punkt.
Ein intelligenter, als Drama konzipierter Whodunit-Krimi mit klarer Erzählstruktur
Ein Mann mischt ein ganzes Dorf auf. Er hat etwas von einem Rattenfänger, erscheint in den Erzählungen als einer, der charmant und zugewandt sein konnte und im nächsten Moment unverschämt und grausam. Er brachte Leben in ein totes Dorf, aus dem es für seine Bewohner kein Entrinnen gibt, wurde zur Projektionsfläche für die eigenen unerfüllten Träume und Sehnsüchte, aber auch die eigenen Unzulänglichkeiten. Der „Polizeiruf 110 – Mörderische Dorfgemeinschaft“ erzählt von einem Toten. Obwohl man ihn nur in wenigen Rückblenden sieht, gelingt es dem Film, über die sparsamen, widersprüchlichen Aussagen der Dörfler einen ebenso charismatischen wie boshaften Charakter zu zeichnen. Dieser Mann ist eine einzige Provokation, der die „normalen“ Menschen gegen sich aufbringt. Nicht umsonst rahmte Drehbuchautorin Katrin Bühlig ihr Krimidrama mit der Episode eines realen Wolfes, der zum Abschuss freigegeben wurde; allerdings verfehlt ihn der Schuss des Försters (Ronald Zehrfeld in einer Gastrolle). Das Bild, das der Zuschauer von jenem unmoralischen Außenseiter bekommt, entwickelt sich im Laufe der Handlung – so sehr er auch dem Kleinbürger den Spiegel vorhält – zu dem eines Wolfs im Schafspelz‘, dessen Egoismus deutlich kriminelle Züge trägt. Damit erzählt dieser „Polizeiruf“ nicht nur einiges über mögliche Mordmotive, sondern auch über Gruppendynamiken und die Soziologie einer Dorfgemeinschaft. Der Film ist ein klassischer Whodunit und er ist zugleich ein kluger, als Drama konzipierter Krimi mit einer klaren Erzählstruktur. Und am Ende sitzen alle Verdächtigen an einem Tisch.
Der Film besitzt Sinnbilder & Metaphern voller Sehnsucht, Melancholie & Einsamkeit
Auch wenn Doreen Brasch ob der ausweglosen Ermittlungslage sich gelegentlich wütend Luft macht, so ist die taffe Problem-Kommissarin (geschlagen mit einer schlimmen Kindheit, was beiläufig in ein Gespräch einfließt) doch sehr viel umgänglicher geworden, schenkt ihrem Kollegen schon mal ein Lächeln, und sie ist offenbar auch bereit, an ihren Bindungsängsten zu arbeiten. Ihr Chef, Kriminalrat Uwe Lemp (Felix Vörtler), fragt sie einmal, als die beiden eines Abends noch allein im Büro sitzen, ob sie nicht Angst vor der Einsamkeit im Alter habe. Mehr denn je weiß Brasch, was zu tun wäre; jedoch schafft sie es noch nicht, sich voll und ganz auf ihren Kollegen, den Polizeipsychologen Niklas Wilke (Steven Scharf), einzulassen. Der Schlusssatz dieser Szene taugt auch als Motto für die gesamte Episode: „Am Ende wollen wir doch alle nur geliebt werden.“ Auch durch Leinemanns Inszenierung, insbesondere Jonas Schmagers Kamerablicke auf Distanz, entsteht ein Sinnbild für die Vereinsamung, die dieser Beruf im Falle Brasch mit sich bringt. Diese Szene korrespondiert mit dem eindringlichsten und nachhaltigsten Bild des Films: die schwangere Verlobte des Ermordeten auf einer Schaukel mitten in der Pampa von Sachsen-Anhalt. Gleich zwei Mal sieht man dieses von der Realität entrückte, ätherische Wesen im luftigen Flatterkleid, das im Schlussbild durch ein weißes Hochzeitskleid ersetzt wird. Ein Bild voller Sehnsucht und Melancholie.
Zur markanten, dynamischen Inszenierung gehören Rückblenden der Verzweiflung
„Mörderische Dorfgemeinschaft“ zeichnet sich durch eine markante filmästhetische Gestaltung aus. Die Bilder haben Stil, die Montage ist konzentriert und knackig, verzichtet auf langatmige Szenenüberleitungen. Und dynamisch ist nicht nur der Bilderfluss, auch der Score besitzt in einigen Szenen reichlich Schmackes. Dem entgegen steht die Ruhe auf dem Land. Der Sommer liegt über der Landschaft. Das sieht und spürt man vor allem im ersten Drittel des Films. Die Felder und Wiesen ächzen unter der Sonne; und auch in die dunklen Bauernhäuser scheint das warme Licht. Manchmal ergibt sich auch ein künstlich anmutender Vintage-Look. Gut austariert ist im Übrigen der Wechsel zwischen konzentrierten, psychologisch intensiv gespielten Innen- und atmosphärischen Outdoor-Szenen. Und auch Ironie kommt immer wieder ins Spiel. Matschkes Köhler legt diesmal eine erfrischende Hinterfotzigkeit an den Tag. Und Autorin Bühlig hat sich weitere ironische Situationen ausgedacht. So gibt in einer Szene ein Verdächtiger die von Köhler gestellte Frage an seinen Hiwi, der ein paar Meter hinter ihm steht, prompt und emotionslos weiter – und der gibt die Antwort. Dieses Spielchen läuft mehrfach ab, gewinnt aber gerade dadurch an Witz und Absurdität. Besondere dramaturgische Hingucker sind einige Rückblenden, in denen das von den Befragten Erzählte visualisiert wird. Doch das Bild sagt häufig etwas anderes aus als die Worte. So sind die Rückblenden auch Indiz dafür, wie sich manche Dorfbewohner die Realität schönreden oder Halbwahrheiten verbreiten. Und passend zu diesem Krimi, der ja auch Drama sein möchte, sind die Rückblenden sinnlich anschauliche Zeugnisse stiller Verzweiflung.