Beim kommerziellen Hamburger Lokalsender Seven FM hat man sich die krass-lustige „Ab-in-die-Wüste-Schlussmacherwoche“ ausgedacht. Moderatorin Milla (Katrin Bauerfeind) lädt das Publikum ein, einschlägige Erfahrungen mit ihr und der Hörerschaft zu teilen. Erster Anrufer ist Mustapha (Arnel Taci), genannt Mufti. Er möchte die Beziehung zu seiner Freundin Sharronda (Alina Levshin) beenden, traut sich aber nicht, mit ihr zu reden. Milla soll das für ihn übernehmen. Mufti reicht den Hörer weiter und verzieht sich. Milla zögert, aber angestachelt durch ihren Redakteur (Hans-Jochen Wagner) tut sie, wie von Mufti geheißen. Eine zynische Aktion, die der Nachtschicht des KDD noch viel Arbeit bescheren wird.
Denn Sharrondas Brüder sind gewaltbereite Neonazis, und auch sie hat Zugang zu Waffen. Wütend feuert sie zunächst in die Decke, verlässt dann die Wohnung. Der Schuss bewirkt einen Einsatz der Beamten Lisa Brenner (Barbara Auer) und Erichsen (Armin Rohde), die obendrein auch noch einen Toten in der Nachbarwohnung entdecken. Sharronda fordert derweil von ihrer früheren Arbeitgeberin (Chiara Schoras) ihren ausstehenden Lohn. Die Blumenladenbesitzerin lehnt ab. Wieder zückt die zutiefst verletzte Sharronda ihre Waffe, nimmt Geiseln. Durch ihr unorthodoxes Eingreifen können Brenner und Erichsen die heikle Situation friedlich lösen. Erichsen begegnet Sharronda sogar mit einer gewissen Sympathie und dreht die Geschichte fürs Protokoll in Richtung Ruhestörung statt Geiselnahme. Doch die Nacht ist noch jung. Sharrondas Brüder Dexter & Gordon verfolgen Mufti, der als Pizzabote unterwegs ist, und wollen ihm eine Abreibung verpassen. Stattdessen werden sie Zeugen, wie ein Maskierter den jungen Mann über den Haufen schießt. Auch Gordon bekommt eine Kugel verpasst. Die Ermittler des Kriminaldauerdienstes erwartet eine aufregende Nacht, in deren Verlauf auch ein Kollege schwer verwundet wird. Und das erst macht einen Krimi spannend: Wenn man damit rechnen muss, dass auch Sympathiefiguren zu Schaden kommen.
Der Autor und Regisseur Lars Becker bleibt sich und seinen Figuren treu. Wie stets in den Filmen der Reihe „Nachtschicht“ beschränkt er die Erzählung auf eine Nacht, wobei er Ereignisse schildert, die sich in spiralförmiger Dramaturgie immer weiter steigern und, wie sich peu à peu zeigt, sämtlich miteinander verbunden sind, auch wenn es zunächst anders erscheinen mag. In „Wir sind alle keine Engel“, dem 12. Film der Reihe, beginnt er mit einer Situation, die andere auf neunzig Minuten strecken würden: einer klassischen Geiselnahme. Doch die wird relativ schnell beendet. Nur um die Dynamik der Geschichte nun rasant zu steigern und mit immer neuen Überraschungen aufzuwarten. Augenzwinkernd gesprochen: Becker beginnt mit einem Feuerwerk. Und legt im Weiteren immer noch eins drauf.
Soundtrack: u.a. Klingande („Jubel“), Avicii („Hey Brother“), Lenny Kravitz („Are You Gonna Go My Way“), Augustines („Walkabout“), Terence Trent d’Arby („Sign Your Name“), Snoop Lion feat. Drake & Cori B. („No Guns Allowed“), Black Eyed Peas („I Gotta Feeling“), David Guetta feat. Sia („Titanium“), Kinks („Lola“), The Chambers Brothers („Time Has Come Today“), Bruce Springsteen („Radio Nowhere“), The Clash („The Guns of Brixton“), Led Zeppelin („Whole Lotta Love“), The Weather Girls („It’s Raining Men“), Steve Harley & Cockney Rebel („Make Me Smile“), Black Eyed Peas feat. Jack Johnson („Going Gone“)
Beckers Kunst besteht darin, die Erzählung stetig voranzutreiben, ohne sie darüber in pure Turbulenz ausarten zu lassen. Er lässt den Figuren Raum, schafft glaubwürdige Milieus, nimmt sich Zeit für nachdenkliche Momente und für komische Szenen. Beckers Ansatz zeigt sich schon in der Auftaktsequenz, genretypisch ein Reigen von Hamburg-Impressionen – anders als üblich aber nicht nur Luftbilder und besonnte Sehenswürdigkeiten, sondern ebenso aus der Nähe gewonnene Momentaufnahmen aus dem gewöhnlichen Alltag der Menschen.
Die Stimmigkeit des Ganzen wird nicht zuletzt über die Dialoge erzielt. Der Sprachwitz ist im besten Sinne volkstümlich. Nur in einem Punkt verstößt Becker gegen diese Haltung: Die Vornamen der radikal-nationalen, aber ziemlich tölpeligen Brüder Dexter (Tristan Seith) und Gordon (Edin Hasanovic) wirken als Anspielung auf den Jazzsaxofonisten Dexter Gordon, der in Bertrand Taverniers Notturno „Um Mitternacht“ auch als Schauspieler zu sehen war, unangemessen und sowieso arg plakativ, wie eine überbetonte Geste in Richtung Hochkultur-Publikum. Betrachtet man zudem das Naturell der Mutter (Margarita Broich) der beiden, wären Namen wie Rod und Stewart deutlich passender gewesen. Zumal sie sich als Neonazis ausgerechnet für die Musik der schwarz-amerikanischen Soul-Rock-Band The Chambers Brothers („Time Has Come Today“) begeistern. Wie es diesen bemitleidenswerten Gestalten überhaupt schwerfällt, den von ihrer Ideologie gebotenen Rassismus im täglichen Umgang mit Familie und Mitbürgern aufrecht zu halten. Einen so unverkrampften und zugleich entlarvenden Umgang mit dem Thema Rassismus sieht man selten. Aber gerne.