Actionreich der Einstieg: Bei einem brutalen Raubüberfall auf einen Kunsttransporter wird ein wertvolles Bild von Paul Klee gestohlen. Ein Wachmann stirbt. Und auch Tereza (Ellenie Salvo González), schwangere Freundin von Hauptkommissars Robert Marthaler (Matthias Koeberlin), die den Kunsttransport begleitet hat, wird schwer verletzt. So hat der Krimi auch jede Menge Emotionen zu bieten: Marthaler bangt um Tereza und das ungeborene Kind, will die Täter finden und rastet beim Verhör eines Kunsthändlers aus. Folge: Sein Chef Herrmann (Peter Lerchbaumer) zieht ihn von dem Fall ab. So ermittelt der Kommissar auf eigene Faust und wird durch einen Hinweis mit einem Jahrzehnte zurückliegenden Mord an der Prostituierten Karin Rosenherz (Roni Zorina) konfrontiert. Der Zusammenhang der beiden Fälle lässt Marthaler keine Ruhe – bis zum spektakulären Showdown.
Der Roman trägt den Titel „Die Akte Rosenherz“. Es ist der vierte Kriminalfall von Jan Seghers (hinter dem Pseudonym verbirgt sich der Journalist Matthias Altenburg). Und auch der vierte, der für das ZDF (vorausgestrahlt bei Arte) verfilmt wurde. Ein Mordfall aus der Wirklichkeit bilden den Kern der Geschichte: 1966 wurde die Edelprostituierte Helga Matura in ihrer Frankfurter Wohnung ermordet. Der Autor hat die reale Bluttat, die stark an den Fall Rosemarie Nittribitt erinnert, fiktionalisiert und mit einem spektakulären Kunstraub verknüpft. Eine starke, spektakuläre Geschichte, die Kai-Uwe Hasenheit und Lancelot von Naso, der auch Regie führt, fürs Fernsehen umgesetzt haben. Matthias Koeberlin ist mit seinem unspektakulären, burschikosen Spiel – das haben auch schon die drei bisherigen Marthaler-Krimis gezeigt – eine gute Besetzung für den zupackenden Frankfurter Ermittler. Er hat die lauten und die leisen Töne drauf, gibt diesen Marthaler weder als Über- noch als Edelmensch.
Der Kommissar ist in diesem Fall durch seine schwer verletzte schwangere Freundin persönlich involviert, durchlebt Höhen und Tiefen, ist ein Ausgeschlossener, der mit dem Kopf durch die Wand will, dann wieder tragische Figur, wenn er im Krankenhaus erfolgreich und erfolglos zugleich um Freundin und Kind bangt. Das illustre Ermittlerteam um Koeberlin herum – Jürgen Tonkel, Julia Jentsch, Tim Seyfi – hat dagegen wenig Möglichkeiten zur Entfaltung. Die Story ist zu sehr auf die Hauptfigur zugeschnitten. Einzig Claudia Caiolo als Carlo Sabato, der Mann, der tagsüber Spuren sichert und abends ein italienisches Ristorante betreibt, sorgt für Momente, die nicht nur die übliche, zu oft gesehene Ermittlungsarbeit zeigen. Einen wirklich starken Gegenspieler hat der Krimi nicht zu bieten; Rüdiger Voglers Figur taucht erst sehr spät auf. Einzig Marthalers Chef Herrmann, von Peter Lerchbaumer gewohnt ruhig, präzise und kontrolliert emotional gespielt, kann da konkurrieren.
Doch diese Figur zeigt auch eine Schwäche des Films. Zu früh lässt die Inszenierung zu, dass Herrmanns Verstrickung in den weit zurückliegenden Fall deutlich wird. Das nimmt die Spannung. Auch wenn der Showdown dafür durchaus ein wenig entschädigt. Regisseur Lancelot von Naso setzt auf einen coolen, düsteren Look. Viele Szenen spielen nachts, die Stimmung, die atmosphärische Dichte, die Bilderfolge – all das erinnert über weite Strecken an skandinavische Krimis. Dennoch hat von Naso, der auch die bisherigen drei Marthaler-Krimis in Szene gesetzt hat, eine eigene Handschrift. So ist „Engel des Todes“ streckenweise mehr als solide Krimi-Unterhaltung, gut gefilmt, aber nicht sonderlich überraschend in der Dramaturgie. In puncto authentische Charaktere und Lokalkolorit, die an Jan Seghers Roman so gelobt werden, ist der Film aber eher enttäuschend. Und beinahe ärgerlich ist, wenn Andreas Hoppe das Klischee vom abgehalfterten Sensationsreporter (Marthaler: „Wie lautet denn ihre Schlagzeile?“; Journalist: „Der Friedhofskiller“; Marthaler: „Wow, keinen Gedanken haben und den nicht formulieren können, das nenne ich Journalismus“) bedienen muss. So sehr er sich auch müht, es kommt stets der Mario Kopper durch. Fazit: Den vierten Marthaler-Krimi kann man (gut) sehen … muss man aber nicht. (Text-Stand: 25.8.2015)