Kolleginnen – Das böse Kind

Caroline Peters, Natalia Belitski, Götz Schubert, Simon, Jopp. Fliehende Pferde

Foto: ZDF / Julia Terjung
Foto Tilmann P. Gangloff

Um in der Krimischwemme aufzufallen, setzen einige Sender immer noch gern gern auf krasse Kontraste zwischen den Hauptfiguren. Das gilt auch für die Auftaktepisode der neuen ZDF-Reihe „Kolleginnen“ (Real Film): Die Berliner Kommissarin Gaup ist herzlich, bodenständig und vorurteilsfrei, ihre Partnerin ist das exakte Gegenteil, außerdem deutlich jünger und – die aktuelle Lebensgefährtin ihres Ex-Manns. Das klingt nach Komödien-Potenzial, aber „Das böse Kind“ ist in erster Linie ein Krimidrama. Mit Caroline Peters und Natalia Belitski sind die Rollen zwar passend und sehr gut besetzt, aber dass in der ersten Filmhälfte nahezu alle Szenen der beiden konfrontativ ablaufen müssen, ist etwas anstrengend. Dafür gewinnt der tragische Fall im Verlauf der Handlung, insbesondere auch deshalb, weil er an einem Kindheitstrauma der so bodenständig wirkenden Kommissarin rührt. Und auch die Stimmung & die Gesichtszüge der Kommissarinnen nähern sich auf der Zielgeraden an.

„Kolleginnen“: Das klingt auf den ersten Blick denkbar harmlos, gerade für eine Krimireihe. Natürlich trügt der Schein, denn auch in diesen Geschichten wird es um Mord und Totschlag gehen. Die personelle Konstellation würde allerdings auch zu einer Komödie passen: Julia Jungklausen (Natalia Belitski), neue Kommissarin beim Berliner LKA, ist die aktuelle Lebensgefährtin des Ex-Mannes ihrer Partnerin, Irene Gaup (Caroline Peters). Das Ehepaar Gaup hat sich vor einigen Jahren getrennt, allerdings so einvernehmlich, dass es bis heute nicht geschieden ist. Die beiden sehen sich ohnehin regelmäßig, denn Hans Gaup (Götz Schubert) ist Staatsanwalt. Darüber hinaus haben Autorin Annette Simon und Regisseurin Vanessa Jopp das Konfliktpotenzial auf die Spitze getrieben und die beiden Frauen nicht nur äußerlich denkbar gegensätzlich gestaltet: Die blonde Berlinerin Gaup ist herzlich, bodenständig, zweckmäßig gekleidet, benutzt wenig Make-up und fährt Fahrrad. Die brünette Mini-Fahrerin Jungklausen stammt aus Thüringen, ist deutlich jünger, gibt sich betont distanziert, schüttet ständig ein Energiegetränk in sich hinein und legt sichtbar viel Wert auf ein elegantes Erscheinungsbild. Vor allem aber zeichnet sie sich durch einen erschreckenden Mangel an sozialer Kompetenz aus. Wo Gaup behutsam und mit Empathie vorgeht, treibt sie die Menschen in die Enge. Dass die Wohnungen der beiden Frauen ihre Persönlichkeiten widerspiegeln – hier gemütlich, dort kühl und grau – versteht sich fast von selbst.

Kolleginnen – Das böse KindFoto: ZDF / Julia Terjung
Nicht nur an den esoterischen Bewohnern des Pfisterhofs, allen voran Gudrun Enzensberger (Karoline Eichhorn), scheiden sich die Geister der Kommissarinnen.

Warum Buch und Regie Julia Jungklausen derart negativ anlegen, wird nicht recht ersichtlich. Offenbar ging es in erster Linie darum, einen möglichst großen Kontrast zur Kollegin herzustellen; andere Ermittler-Teams machen das zwar auch, aber selten ist das auf Dauer attraktiv. Auffallend häufig sind es Frauen wie im Odenthal- oder Lindholm-„Tatort“, die bei ihren ersten Begegnungen wie Feuer und Wasser aufeinander reagieren. Die Inkompatibilität hat auch in „Das böse Kind“ prompt zur Folge, dass die Ermittlerinnen nicht an einem Strang ziehen. Hinzu kommt, dass der aktuelle Fall an einem Kindheitstrauma Gaups rührt: In einem Waldstück in der Nähe eines Bauernhofs an der Grenze zu Brandenburg wird ein erschlagener junger Mann gefunden. Jungklausen ist umgehend überzeugt, dass die Hofbewohner in die Tat verwickelt sind: Bei der Gruppe handelt es sich um eine kapitalismuskritische Kommune, die sich selbst versorgt; einen Schamanen gibt es auch. Für die die Neue „alles Spinner“.

Der Film beginnt allerdings ganz anders: Im effektvoll gestalteten Spielplatzprolog schaukelt ein Mädchen aus der unscharfen Tiefe des Raumes in den Vordergrund; wenn das Bild scharf wird, zeigt sich eine Träne unterm linken Auge. Dann hüpft das Kind von der Schaukel, schaut neugierig in eine Handtasche, die jemand auf einer Bank zurückgelassen hat, findet einen Polizeiausweis und geht ans klingelnde Telefon: „Hier ist das Handy von Kriminalhaupt-Kommissarin Irene Gaup“; die Besitzerin der Tasche ist wie vom Erdboden verschluckt. In der nun folgenden Rückblende erzählen Annette Simon und Vanessa Jopp, wie sich die beiden Titelfiguren kennen lernen und warum Gaup durch die Kette des Toten an einen vier Jahre zurückliegenden Fall erinnert wird. Damals hat eine Dreizehnjährige ein Baby zur Welt gebracht. Nach der Geburt sind beide spurlos verschwunden; die Kette mit ihrem besonderen Anhänger ist das erste Lebenszeichen. Der Fall ist Gaup damals sehr nahe gegangen, weil er an eine persönliche alte Wunde rührte, und die bricht nun erneut wieder auf.

Kolleginnen – Das böse KindFoto: ZDF / Julia Terjung
Der aktuelle Fall holt einen alten Fall aus der Versenkung und rührt an einem Kindheitstrauma von Kommissarin Gaup. Emilie Neumeister und Madeleine Tanfal

Mindestens so wichtig wie die Suche nach Emma ist jedoch das Mit- und Gegeneinander der Kommissarinnen. Immerhin vertraut Jungklausen gegen Ende auf die Intuition der Kollegin und solidarisiert sich sogar mit ihr gegen den Staatsanwalt. Davon abgesehen ist jeder ihrer Auftritte die pure Konfrontation, ganz gleich, wer ihr Gegenüber ist. Wenigstens wirkt das Verhalten dank Natalia Belitski weder bemüht noch aufgesetzt, sodass die Rolle in sich schlüssig bleibt. Das macht die Figur zwar nicht sympathischer, aber auf gewisse Weise cool. Ansonsten sind außerhalb der Polizei ausnahmslos alle weiteren Rollen negativ gezeichnet. Während die von Emilie Neumeister als ziemlich gruselige Episodentitelrolle verkörperte Emma angesichts ihres Schicksals zumindest mildernde Umstände geltend machen könnte, muss sich ihre Mutter (Kathrin Wehlisch) von Gaup zu Recht als Monster beschimpfen lassen.

Es mag Zufall sein, aber diese Stigmatisierung der Nebenfiguren war auch ein Merkmal der ohnehin nicht rundum gelungenen bisherigen TV-Krimis von Grimme-Preisträgerin Jopp („Klimawechsel“), die für ihre ersten Arbeiten („Vergiss Amerika“, 2000; „Engel & Joe“, 2001) vielfach ausgezeichnet worden ist und deren Kinokomödien (zuletzt „Gut gegen Nordwind“, 2019) stets sehenswert waren. Eine überraschend positive Rolle spielt dagegen der notorisch als Bösewicht besetzte Marek Harloff: Schamane Keanu erweist sich als rettender Engel für die seelisch zutiefst verletzte Kommissarin Gaup. Dank eines Abreiß-Kalenders erfreut der Film ohnehin durch diverse fernöstliche Weisheiten. Die letzte lautet „Hüte dich vor fliehenden Pferden“. Als sie das liest, weiß „die Neue“, wo sie Gaup finden wird. Ob die beiden jemals Freundinnen werden, ist dennoch fraglich. Jungklausens Blick, mit dem sie töten könnte, wird auf jeden Fall zunehmend weicher und einmal ringt sie sich sogar ein Lächeln ab. Kolleginnen werden sie vorerst bleiben: Ein zweiter Film ist bereits abgedreht.

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Reihe

ZDF

Mit Caroline Peters, Natalia Belitski, Götz Schubert, Karsten Antonio Mielke, Petra Hartung, Cino Djavid, Karoline Eichhorn, Emilie Neumeister, Marek Harloff, Kathrin Wehlisch

Kamera: Hans Fromm

Szenenbild: K.D. Gruber

Kostüm: Petra Kray

Schnitt: Brigitta Tauchner

Musik: Alex Komlew, Songs: Loy Wesselburg

Redaktion: Matthias Pfeifer

Produktionsfirma: Real Film

Produktion: Katrin Goetter, Michael Lehmann

Drehbuch: Annette Simon – Idee: Alexander M. Rümelin

Regie: Vanessa Jopp

Quote: 6,99 Mio. Zuschauer (23,8% MA)

EA: 29.01.2022 20:15 Uhr | ZDF

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