„Die berühmteste Frau Deutschlands“ klagt gegen „den größten Spielzeugkonzern“: Der Zeitungsjunge preist sein „Extrablatt“ 1919 vor dem Leipziger Reichsgericht verkaufsfördernd mit Superlativen an. Die dramaturgische Klammer in dem Biopic über Käthe Kruse bildet ein Urheberrechtsprozess. Der Bing-Konzern hat billige „Imitationen der Käthe-Kruse-Puppen“ auf den Markt geworfen, zum Schaden der gerade erst vor fünf Jahren in Bad Kösen gegründeten Kruse-Manufaktur. Käthe Kruse wehrt sich vor Gericht, obwohl dort bisher noch nie ein Markenschutz für Spielwaren durchgesetzt wurde. „Wo ich herkomme, kann man kämpfen“, erklärt sie zu Beginn einem Reporter in einem recht hölzernen Dialog, der wichtige Motive des Films schon mal mundgerecht präsentiert. Doch wenn Käthe Kruse am Ende vor dem Richter aus einem „Haufen Schmutz“ mit den Händen ein Kindergesicht formt, um ihre Kunst und die Einzigartigkeit ihrer Puppen zu demonstrieren, dann finden Drehbuch und Inszenierung ein aussagekräftiges und emotionales Finale.
Foto: Degeto / Rich & Famous Overnight
„Käthe Kruse“ ergänzt die mittlerweile stattliche Zahl historischer Biopics in den vergangenen Jahren, in denen vom Kampf bedeutender Frauen um Anerkennung und eine eigenständige berufliche Existenz erzählt wird. Mit Friederike Becht ist der Film weniger prominent besetzt als etwa „Margarete Steiff“ (Heike Makatsch), „Beate Uhse – Das Recht auf Liebe“ (Franka Potente) oder „Clara Immerwahr“ (Katharina Schüttler). Doch das ist kein Nachteil, denn die 1986 geborene Becht, die in Nebenrollen auch schon die junge Hannah Arendt und die junge Cosima Wagner spielte, bringt nicht nur ein bezauberndes Lächeln mit, sondern auch Ausstrahlung und schauspielerisches Talent. Die Entwicklung einer jungen, lebenshungrigen Frau zu einer Unternehmerin und mehrfachen Mutter meistert sie souverän.
Deutlich werden Mut und Tatkraft von Käthe Kruse, geborene Simon, die sich über Konventionen hinwegsetzt und beruflich erfolgreicher wird als ihr Mann – zu einer Zeit, als für die Frauen eigentlich nur die Rolle als Hausfrau und Mutter vorgesehen ist. Zuerst schlägt sie die Warnungen ihrer Mutter (Ursula Strauss) vor dem deutlich älteren Bildhauer Max Kruse (Fritz Karl) in den Wind, einem künstlerischen Freigeist, den sie erst zur Hochzeit (und damit zu sozialer Absicherung) überreden kann, als das dritte Kind unterwegs ist. Kruse ist eine aufgeschlossene Frau, aber keine Frauenrechtlerin, ihre Emanzipation ergibt sich eher aus wirtschaftlicher Notwendigkeit. Was zwangsläufig auch das Rollenverständnis ihres Mannes erschüttert („Ich will nicht von deinen Puppen leben. Ich bin der Mann im Haus“). Am Ende unterstützt er seine Frau vor Gericht. Sein Auftritt wird zwar übertrieben großartig inszeniert, dennoch überzeugt der Ansatz des Films, den Kampf um Gleichberechtigung weniger als Geschlechterkrieg, sondern als gemeinsame Anstrengung von Mann und Frau zu erzählen.
Foto: Degeto / Rich & Famous Overnight
Doch bei allem Respekt für Becht, die gut besetzten Nebenrollen und das überzeugend erzählte Beziehungsdrama, auch für Kostüm- und Szenenbild: Die Fernseh-Inszenierung kann das Potenzial, das sich in dieser enorm spannenden Gründergeschichte auf dem Übergang von wilhelminischer Epoche, Erstem Weltkrieg und Weimarer Republik verbirgt, nicht wirklich ausschöpfen. Nicht nur weil die Ausstattung zum Beispiel der Ausstellung im Warenhaus Tietz, bei der die Käthe-Kruse-Puppen erstmals für Aufsehen sorgen, nicht übermäßig opulent ausfällt. Die Armut in der Jugend, die aufregende Zeit als gefeierte Schauspielerin in einem Berliner Theater, das Leben unter Künstlern und Freigeistern im Tessin, die finanzielle Not an der Seite des Bildhauers Max Kruse, schließlich die aufblühende Manufaktur in der Provinz – all das wird nur in Ansätzen lebendig, die Figuren wirken isoliert.
Wenn Kruse im Jahr 1908 zu der Künstlerkolonie auf den Monte Verita zieht, sieht man zwar in der Ferne ein paar Nackte auf der Wiese tanzen, doch bis auf einige plakative Dialoge („Bleibt nicht Puppen, Freundinnen – werdet Menschen!“) bei einem kleinen Fest erfährt man nichts über das Leben der Hippie-Vorläufer vor über 100 Jahren. Immerhin hat dieser Ort als romantisch-ländliches Idyll Atmosphäre. Kruse lebt dort mit ihrer kranken Mutter und den beiden Töchtern abgeschieden in einem bescheidenen Häuschen. Kontakt haben sie nur zu dem jungen Anwalt David (Franz Dinda), den Käthe noch aus Berlin kennt. Das Drehbuch nimmt sich die Freiheit, mit Hilfe dieser erfundenen Figur ein Liebes-Dreieck zu konstruieren. Ein nicht ganz unübliches Mittel, um in einem Biopic an den Schrauben Emotion und Spannung zu drehen. Hier unterstreicht es noch das Bild von Käthe Kruse als fürsorgliche Mutter, denn sie entscheidet sich letztlich wegen der Kinder gegen David.
Die Neigung zur Überhöhung der Titelfigur in einem Biopic hat auch seine Tücken. Im Ersten Weltkrieg leidet Kruse mit ihren Näherinnen, die Ehemänner und Söhne an der Front verlieren. Dass die Manufaktur damals der Kriegsbegeisterung mit Soldatenpuppen geschäftstüchtig Rechnung trug, bleibt im Film ausgespart. Was ein bisschen so wirkt, als sollte das durchweg positive Bild einer sich aus der Armut empor kämpfenden Frau, Künstlerin und Unternehmerin nicht durch (aus heutiger Sicht) zweifelhafte Details getrübt werden. (Text-Stand: 6.3.2015)