Sat 1 hat die gebrochene Heldin entdeckt: In „Amokspiel“ litt eine Verhandlungsspezialistin unter dem Suizid ihrer Tochter, in „Jung, blond, tot“, dem ersten Fall für Julia Durant, erholt sich die von Sandra Borgmann gespielte Frankfurter Fallanalytikerin von einem Messer-Angriff, der ihr Herz nur um Millimeter verfehlt hat. Die körperliche Wunde ist verheilt, die seelische mutmaßlich noch nicht. Das ist zumindest die Überzeugung des Kollegen, der ihr als Partner zugeteilt wird. Der Mann kann die für ihre Alleingänge bekannte Hauptkommissarin ohnehin nicht leiden; beste Voraussetzungen für eine gute Zusammenarbeit. Dabei ist die Herausforderung viel zu ernst für Animositäten: Ein Serienmörder hält die Stadt in Atem. Der Täter hat es auf junge blonde Frauen abgesehen, die Gesichter der Leichen sind grausam verstümmelt. Ein viertes Opfer passt nur auf den ersten Blick ins Muster; anders als ihre Kollegen ist Durant überzeugt, dass dieser Mord die Tat eines Trittbrettfahrers war. Daher ahnt sie auch, dass eine weitere Frau in Lebensgefahr schwebt, als der Fall scheinbar gelöst ist.
Die Geschichte orientiert sich am üblichen Serienmördermuster, weshalb das Motiv ähnlich an den Haaren herbeigezogen wirkt wie in den meisten anderen Filmen dieser Art: Als Erklärung muss wieder mal die Mutter herhalten. Dass der Krimi trotzdem sehenswert ist, liegt vor allem an der Umsetzung durch Maria von Heland und Cristian Pirjol. Der Kameramann hat für Sat 1 schon bei „Das Nebelhaus“ eine eindrucksvolle Thriller-Atmosphäre erzeugt. Für die Regisseurin ist das Genre dagegen eher ungewohnt: Die vergleichsweise überschaubare Filmografie der gebürtigen Schwedin bestand bislang aus allerdings überwiegend sehenswerten Märchenfilmen wie „Die Sterntaler“ (Bayerischer Fernsehpreis 2012) und einigen Komödien; der ARD-Freitagsfilm „Eltern und andere Wahrheiten“ (2017) erzählte nur vordergründig komisch von der Herausforderung, Kinder und Karriere miteinander zu kombinieren, „Göttliche Funken“ (2014, ebenfalls von der ARD-Tochter Degeto) war ein ausgezeichnet gespieltes romantisches Liebesdrama. Für Sat 1 hat sie bereits vor über zehn Jahren die anspruchsvolle Romanze „Frühstück mit einer Unbekannten“ (2007) gedreht. Es wäre interessant zu erfahren, was Sender und Produzenten bewogen hat, Heland diesen Thrillerstoff anzuvertrauen. Eine Rolle hat sicher der Umstand gespielt, dass sich ihre Filme – mit kleinen Abstrichen bei dem ARD-Märchen „Der Teufel mit den drei goldenen Haaren“ (2013) – stets durch eine vorzügliche Führung der Darsteller ausgezeichnet haben; das ist für eine Geschichte, deren Protagonisten allesamt aus der Spur geraten sind, nicht unwesentlich. Dass sich solche Wesensmerkmale in verfremdeten Aufnahmen äußern, versteht sich fast von selbst. Trotzdem ist die Bildgestaltung außergewöhnlich, und das nicht nur, weil sich vor Pirjols Kamera viel ereignet; gerade bei den von vielen Komparsen bevölkerten Szenen tut sich auch im Hintergrund eine Menge, was die optische Ebene sehr aufwändig wirken lässt. Dass die Polizei ihre Pressekonferenzen unter freiem Himmel auf einer Dachterrasse veranstaltet, ist zwar nicht realistisch, sorgt aber für schöne Skyline-Bilder.
Entscheidender sind jedoch die flüssig montierten Schnittsequenzen, in denen Vergangenheit und Gegenwart fast unmerklich ineinander übergehen, sodass die Zeitsprünge kein bisschen sprunghaft sind: Die Hauptkommissarin hat ein untrügliches Gespür fürs Detail. Helands Inszenierung lässt dabei offen, ob auch übersinnliche Fähigkeiten im Spiel sind. Beim Besuch einer Frau, deren Tochter verschwunden ist, entdeckt Julia eine Scherbe auf dem Boden und hat umgehend eine Vision der Ereignisse: Es gab Streit, die Tochter hat ein Glas nach der Mutter geworfen und anschließend wütend das Haus verlassen. Julia rekonstruiert, von der Kamera begleitet, den Weg der jungen Frau. Rückblenden bestätigen, dass sie auf der richtigen Spur ist, bis sie schließlich im Wald die Leiche des Mädchens findet; der Schmerz in Borgmanns Gesicht ist so glaubwürdig, dass es beinahe wehtut. Spätestens jetzt offenbart sich auch die Qualität der Musik (Thomas Klemm), die in den dramatischen Szenen wie auch in den Thriller-Passagen immer für die richtige Untermalung sorgt.
Die Besetzung der Hauptfigur ist ähnlich interessant wie die Regievergabe. Sandra Borgmann gehört zwar seit zwanzig Jahren zum festen Kreis der Schauspielerinnen und Schauspieler, die regelmäßig für Filme und Serien engagiert werden, ist aber keiner jener Stars, die ständig die Titelblätter schmücken. Auch deshalb ist sie eine gute Wahl für die versehrte Hauptfigur, die zwar trotz einer hässlichen Narbe auf der Brust viel Selbstbewusstsein ausstrahlt, aber natürlich immer noch unter dem Trauma der Messerattacke leidet. Borgmann unterstreicht die Individualität der Ermittlerin, indem sie einige Dialogszenen mit einem mimischen Schlusspunkt beendet. Was bei anderen Schauspielerinnen womöglich aufgesetzt wirken würde, weil sie „ein Gesicht machen“, unterstreicht, dass Julia Durant eine besondere Frau ist; das verdeutlichen auch ihre gelegentlichen grimmigen Scherze. Heland hat womöglich einen ähnlich sardonischen Humor: Die Litschi in Julias Gin Tonic erinnert frappant an die Augen, die der Mörder einem seiner Opfer entfernt hat.
Der Status der Hauptfigur zeigt sich nicht zuletzt an ihrem souveränen Umgang mit den männlichen Kontrahenten. Aus dem Rahmen fällt allein die feindselige Stimmung zwischen Julia und ihrem Zwangspartner Schulz. Guido Broscheit ist als Typ interessant, auch und gerade in der Kombination mit Borgmann, aber die Animositäten zwischen der psychologisch geschulten Analytikerin und dem kernigen Kommissar sind Kindergarten und wirken angesichts der Mordserie komplett deplatziert; trotzdem kann aus dem Paar was werden. Ähnlich ambivalent sind die weiteren Männer, wobei Rüdiger Klink als protziger Vermögensberater mit Vorliebe für hübsche junge Frauen noch die schlichteste Figur ist; er hat das letzte Opfer, die Freundin seines Sohnes, geschwängert und gilt daher als Hauptverdächtiger. Zwischen den Fronten bewegen sich der Anwalt (Torben Liebrecht) des Finanzmaklers, ein smarter und attraktiver Typ, mit dem Durant gleich mal eine Nacht verbringt, sowie dessen Laufpartner (Julian Weigend), ein Psychologe, dessen Patientenkartei überwiegend aus den unglücklichen Töchtern der Frankfurter High Society besteht.
Das Drehbuch ist von Kai-Uwe Hasenheit, Lancelot von Naso und Produzent Andreas Bareiss. Regisseur Naso steht vor allem für die Verfilmungen der ebenfalls in Frankfurt spielenden „Kommissar Marthaler“-Romane im ZDF und arbeitet seit seinem Debüt („Waffenstillstand“, 2010) regelmäßig mit Hasenheit zusammen, unter anderem auch bei dem sehenswerten Thriller „Mein Mann, ein Mörder“ (ZDF 2016). Vorlage für das Drehbuch war der 1996 erschienene gleichnamige Auftakt der „Julia Durant“-Krimis von Andreas Franz (Droemer Knaur). Sollte Sat 1 alle Romane verfilmen, darf sich Hauptdarstellerin Sandra Borgmann in den nächsten Jahren nicht viel anderes vornehmen: Die nach Franz’ Tod (2011) von Daniel Holbe fortgesetzte Reihe umfasst bislang 18 Bücher.