Inga Lindström – Die Braut vom Götakanal

Barbara Prakopenka, Felix Everding, Sadlo, Kiefersauer. Vielschichtiges "Herzkino"

Foto: ZDF / Arvid Uhlig
Foto Tilmann P. Gangloff

Die Geschichte der 77. „Inga Lindström“-Dramedy „Die Braut vom Götakanal“ (ZDF / Bavaria Fiction) lässt sich auf den Titel einer Hollywood-Komödie reduzieren: „Die Braut, die sich nicht traut“. Weil die Sonntagsfilme im ZDF aber häufig komplexer sind als ihr Ruf, ist die Flucht der Heldin kurz vorm Ja-Wort bloß der Auslöser eines sympathisch erzählten kunterbunten Beziehungsreigens, denn im Verlauf der kurzweiligen Handlung ergeben sich diverse amouröse Verwicklungen zwischen den Mitgliedern der Hochzeitsgesellschaft. Matthias Kiefersauer hat das Drehbuch von Lindström-Autorin Christiane Sadlo mit dem richtigen Tempo und vor allem mit einem gut aufgelegten Ensemble umgesetzt.

Selbst die Kernzielgruppe der Sonntagsromanzen im ZDF wird diesen Film vermutlich recht bald wieder vergessen, aber er ist ein gutes Beispiel dafür, dass auch vermeintlich leichte TV-Ware durchaus gewissen Ansprüchen genügen kann. Dabei ist der Handlungskern auf den ersten Blick nicht sehr originell, denn Christiane Sadlos Drehbuch lässt sich auf den Titel einer Hollywood-Erfolgskomödie reduzieren: „Die Braut, die sich nicht traut“. Die Geschichten, die das „Zweite“ auf seinem „Herzkino“-Sendeplatz erzählt, sind jedoch dem Vorurteil zum Trotz nicht selten von einer erstaunlichen Vielschichtigkeit, und das gilt auch für „Die Braut vom Götakanal“. Das zeigt sich schon allein an der Vielzahl der Mitwirkenden: Es gibt 13 wichtige Sprechrollen, die zudem anders als beispielsweise in den „Pilcher“-Filmen ausnahmslos mit deutschen Schauspielern besetzt sind. Würde man Fotos der Beteiligten aufhängen und sie ihren Beziehungen gemäß wie in einem Krimi mit Strichen verbinden, ergäbe sich ein komplexes Bild, denn Sadlos romantische Dramedy erzählt von einem kunterbunten Reigen.

Zentrale Figur ist natürlich die von Barbara Prakopenka sehr erfrischend und sympathisch verkörperte Titelheldin, die unmittelbar vor dem Ja-Wort das Weite sucht. Mit Emmas Flucht auf einem geklauten Fahrrad beginnt der Film auch, um dann nachzurechen, was in den drei Stunden zuvor passiert ist. Die erfahrene Autorin, von der die meisten „Lindström“-Bücher stammen, braucht nicht lange, um Emmas Unbehagen nachvollziehbar zu machen. Bräutigam Paul (Felix Everding) ist zwar ein netter Kerl, hat aber ebenso wie sein Vater (Rainer Sellien) keine Chance gegen den alles erdrückenden Kontrollzwang seiner perfektionistischen Mutter (Sabine Vitua). Kirsten hat nicht nur die Hochzeit, sondern auch das weitere Leben von Emma und Paul bis ins Detail geplant. Ihre Akribie gibt dem Begriff „minutiös“ eine ganz neue Bedeutung; kein Wunder, dass die Braut angesichts eines bereits fix und fertig eingerichteten Modells ihres zukünftigen Heims das Weite sucht. Im Grunde ist das jedoch nur der Prolog der Geschichte. Als der Film die Rückblende einholt, ist Emma in einem Hotel gestrandet. Dessen Betreiber hat allerdings ein seltsames Geschäftsgebaren, denn er pflegt potenzielle Gäste abzuwimmeln und ist daher auch nur mäßig erfreut, als in Emmas Gefolge die ganze Hochzeitsgesellschaft bei ihm absteigt. Nun beginnt auch der Reigen, denn es zeigt sich, dass fast alle Figuren neben ihrer offiziellen Beziehung noch eine zweite haben. Und weil die Welt im „Herzkino“ ein Dorf ist, entpuppt sich der vor 27 Jahren nach Südamerika ausgewanderte vermeintliche Hotelbesitzer Hans (Michael von Au), der das Haus für seine urlaubende Schwester hütet, als Jugendliebe von Emmas Mutter. Eigentlich wollte Frida (Katja Weitzenböck) ihn damals begleiten, aber sie hat ebenso wie ihre Tochter im letzten Momente kalte Füße bekommen; und das ist nicht das einzige, was Emma mit Hans verbindet.

Inga Lindström – Die Braut vom GötakanalFoto: ZDF / Arvid Uhlig
Emma (Barbara Prakopenka) & Paul (Felix Everding) verstehen sich blendend. Doch am Tag ihrer Hochzeit ist sich Emma nicht mehr sicher, ob sie Paul heiraten möchte.

Soundtrack:
James Brown („Papa’s Go a Brand New Bag“), Sam & Dave („Soul Man”), Procol Harum („A Whiter Shade of Pale”), The Marvelettes („Destination Anywhere”)

Matthias Kiefersauer ist keiner jener routinierten Sonntagsfilmregisseure, deren Inszenierungen viel zu oft bloß aus den üblichen „Lindström“-Versatzstücken mit Sonnenuntergängen überm Meer und farbenfrohen Bullerbü-Häusern bestehen; sein letzter Film als Autor war die Episode „Die ganze Stadt ein Depp“ aus der ZDF-Reihe „München Mord“. Dass „Die Braut vom Götakanal“ trotzdem nicht aus dem Rahmen des Sendeplatzes fällt, liegt auch an der Tralala-Musik von Christoph Zirngibl; dabei kann der auch ganz anders, wie seine Kompositionen für die ZDF-Krimireihe „Neben der Spur“ beweisen. Kiefersauers Inszenierung zeichnet sich vor allem durch die sorgfältige Arbeit mit den Schauspielern aus. Die Nebendarsteller sind zwar längst nicht so bekannt wie die zentralen Figuren, zu denen auch Heio von Stetten (als Vater der Braut) gehört, aber trotzdem gibt es keinen einzigen Ausfall, was bei dieser Rollenvielzahl durchaus bemerkenswert ist. Die Vielköpfigkeit des Ensembles und die verschiedenen amourösen Verlockungen sind ausgesprochen kurzweilig, zumal Kiefersauer die Geschichte mit dem nötigen Tempo erzählt. Sadlo wiederum hat die Handlung mit allerlei Heiterkeiten gewürzt, aus denen bei unsachgemäßer Umsetzung auch plumpes Boulevardtheater hätte werden können: Auf der Flucht vor Hans gerät Frida versehentlich ins Zimmer ihrer zweiten Tochter (Muriel Bielenberg), die sich gerade mit ihrem zukünftigen Schwager Viktor (Linus Schütz) amüsiert und den jungen Mann kurzerhand aus dem Bett schubst, denn Viktor ist eigentlich bereits vergeben; seine Freundin wird später natürlich ebenfalls auftauchen. Emma wiederum findet großen Gefallen an dem abenteuerlustigen Kellner vom Hochzeitsfest. Moritz (Niklas Osterloh) ist ein völlig anderer Typ als ihr braver Paul. Bei der Begegnung mit ihm wird Emma klar, dass ein vorgeplantes Leben, wie es Pauls Mutter vorschwebt, nicht das richtige für sie ist. Ihre Oma hat das längst erkannt. Die alte Frau entspricht zwar dem filmischen Stereotyp der anarchischen Großmutter, die Zigarillos raucht, süffisante Giftpfeile verschießt und den Widrigkeiten des Lebens mit einem Single Malt trotzt, aber Sylvia Eisenberger spielt locker über diese Klischees hinweg. Und dann ist ja noch die Hauptdarstellerin. Das ZDF bleibt mit Barbara Prakopenka seiner erfolgreichen Linie treu, hoffnungsvollen Nachwuchsschauspielerinnen im „Herzkino“ die Chance zu geben, sich in einer Hauptrolle zu beweisen. Die gebürtige Weißrussin, die schon als Zweijährige nach Deutschland gekommen ist, war 2012 bis 2014 eine der Hauptdarstellerinnen der RTL-Serie „Unter uns“, hat seither in diversen Nebenrollen etwa in „Hotel Heidelberg“, „Helen Dorn“ oder „Zwei Leben. Eine Hoffnung“ überzeugt und verkörpert Emmas Zweifel ebenso glaubwürdig wie ihre Lebenslust.

Inga Lindström – Die Braut vom GötakanalFoto: ZDF / Arvid Uhlig
Und es kommt, wie es kommen muss: Auf ihrer Flucht vor der Hochzeitsgesellschaft trifft Emma (Prakopenka) abermals auf den sympathischen Moritz (Niklas Osterloh).

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Reihe

ZDF

Mit Barbara Prakopenka, Felix Everding, Katja Weitzenböck, Michael von Au, Sabine Vitua, Heio von Stetten, Rainer Sellien, Niklas Osterloh, Sylvia Eisenberger, Muriel Bielenberg, Linus Schütz, Sina Zadra, Julia Urban

Kamera: Thomas Etzold

Szenenbild: Dieter Bächle

Kostüm: Martina Korte

Schnitt: Sabine Matula

Musik: Christoph Zirngibl

Redaktion: Alexander S. Tung

Produktionsfirma: Bavaria Fiction

Produktion: Ronald Mühlfellner

Drehbuch: Christiane Sadlo

Regie: Matthias Kiefersauer

Quote: 4,62 Mio. Zuschauer (12,8% MA); Wh. (2021): 4,39 Mio. (15,5% MA)

EA: 28.10.2018 20:15 Uhr | ZDF

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