Helen Dorn (Anna Loos) trinkt Kaffee auf dem Hausboot. Standesgemäß für eine Neu-Hanseatin mit Hang zum Eremitentum. Ansonsten wirkt alles, als hätte sie nie woanders ermittelt. Die Kompetenzen sind geregelt, das Haar streng aus dem Gesicht gekämmt. Auch bei der Geiselnahme in einem Privathaus am Elbstrand war schnell klar, wer reingeht: Dorn. Leider ging alles schief. Wir kennen Ermittler, die sich jetzt erstmal therapieren ließen. Nicht so Helen Dorn. Die sitzt auf dem Hausboot, erzählt Kollege Weyer (Tristan Seith), dass sich da jemand vor ihren Augen den Kopf weggeschossen hat, nimmt die Meldung vom nächsten Leichenfund entgegen, steht auf und sagt: „An die Arbeit“. Die Tote ist Medizinstudentin Valerie (Amelie Hennig). Die Ermittlungen führen auf die onkologische Station einer Hamburger Klinik. Dort bangt Taxifahrerin Maria (bewegend: Lo Rivera) um das Leben ihrer Schwester. Die Chemo schlägt nicht an. Irgendwas läuft falsch. Kurz vor ihrem Tod verspricht Valerie der verzweifelten Maria, sie werde deren Schwester helfen. Maria wird Dorns wichtigste Verbündete im Fall Valerie. Sie weiß um das Doppelleben des Opfers und ist im Besitz von Unterlagen, die auf einen illegalen Deal mit Zytostatika hinweisen. Anscheinend gibt es Absprachen zwischen Valeries Vorgesetztem, Oberarzt Dr. Boll (Sebastian Rudolph) und ihrem Freund, Apothekenbetreiber Adrian Jessen (Florian Stetter).
Apotheke ist das Stichwort. „Die letzte Rettung“ von Friedemann Fromm, sein erster von vier Episoden der Reihe in den Jahren 2020/21, erweist sich schnell als Krimi nach gängigem Rezept. Der Action zum Anfang folgt die Nachdenklichkeit einer angefassten Kommissarin, die sich kurz erklärt und dann weitermacht wie bisher. Gegen Ende dann der Link, der den Selbstmord zu Beginn mit dem eigentlichen Fall verbindet. Die dramatisch endende Geiselnahme zu Anfang unterstreicht, wie spätere Rückblenden auf Helen Dorns erste Lebensmonate, die psychische Belastung, unter der Dorn ihren Job macht. Eigene Befindlichkeiten muss sie wegdrücken, sobald es ein Einsatz erfordert. Und der Fall fordert Dorn. Bald schon muss sie die nächste Geiselnahme verhindern. In die Bredouille geraten zwei verdächtige Männer aus dem Bekanntenkreis der Toten. Die Frauen in diesem Fall kämpfen – auf der Straße oder „auf Intensiv“ – um ihr Auskommen und für die Gerechtigkeit. Und Helen Dorn kämpft ihre privaten Kämpfe. Auf der Toilette der Onkologie atmet sie sich durch einen Panikanfall. Das Krankenhaus evoziert Bilder in ihrem Kopf. Wir sehen sie als Rückblenden auf eine junge Frau mit Säugling im Arm. Helens Mutter mit ihrem ersten und einzigen Kind. Als es drei Monate ist, stirbt die Mutter an Krebs. Erinnerungen aus den ersten drei Lebensmonaten zwingen eine Frau in die Knie, die nach einem Selbstmord vor ihren Augen einfach weitermacht. Man glaubt es kaum, aber die Psyche ist ein weites Feld.
Mit Ralf Noack (die beiden „Metzger“-Krimis, „Tatort – Der treue Roy“) hat „Die letzte Rettung“ einen Kameramann an Bord, der Hamburg in schicke Bilder kleidet. Blauer Himmel mit Tupferwolken, Schiffe, Kräne, Landungsbrücken. Möwengeschrei über der Hafencity, Abendrot in der Speicherstadt und die Elbphilharmonie hinten links. Solides Handwerk und Motive, an denen sich so schnell kein Nicht-Hamburger satt sieht. Während die Kamera draußen gern in den Himmel steigt, kreist sie im Kommissariat als Gegenbewegung zu Helen Dorns unbeweglichem Gesicht um den Besprechungstisch. Intimere Szenen in Büro oder Verhörraum spielen leider kaum eine Rolle. Stattdessen drückt Kommissarin Dorn den Verdächtigen in schöner Regelmäßigkeit ihre Karte in die Hand und entlässt sie mit den Worten „Falls Ihnen noch was einfällt…“ Schade ist das, weil Anna Loos den Wechsel vom Harschen ins Feinfühlige allein durch den Wechsel ihrer Stimmlage bestens beherrscht.
Fürs Feingefühl ist Helens Vater Richard Dorn (Ernst Stötzner) mit an die Elbe gezogen. Inzwischen Kneipenbesitzer auf dem Kiez, erinnert er sich auf Bitten seiner Tochter in einem erzählerischen Nebenstrang an das Sterben seiner Frau. Eine starke Szene, auch wenn man sich an den Eigenbrötler als Kneipenwirt noch gewöhnen muss. Im Gegensatz zu „Vadder“ und Boxclubbesitzer Bukow im Polizeiruf 110 aus Rostock wirkt Ernst Stötzner in seiner Bar auf St. Pauli noch ein wenig wie ein Kapitän auf verlorenem Posten. Wenn dann in Minute 40 ausgerechnet Johnny Cash mit seiner Version von „First time ever I saw your face“ die Trauernummer gibt (2013 aufgenommen, also in dieser Version unmöglich der Lieblingssong von Helens verstorbener Mutter) möchte man den Machern dieser Folge zumindest fürs musikalische Beiwerk eine Karte zustecken: „Falls ihnen nichts mehr einfällt…“