Schon der Titel lockt auf eine falsche Fährte. Mit der heilen Welt, wie sie Roy Black vor über fünfzig Jahren in seinem Schlager besungen hat, hat dieser Thriller von Johannes Fabrick nichts zu tun. „Du bist nicht allein“: Das ist in diesem Fall kein Trost, sondern eine Drohung. So empfindet zumindest Lehrerin Eva Kormann (Sophie von Kessel) den Gruß, den sie eines Tages in der Post findet: Der Umschlag enthält neben der Botschaft auch mehrere Fotos, die sie nackt in ihrem Schlafzimmer zeigen. Irgendjemand ist ihr derart nahe gekommen, dass selbst ihre eigenen vier Wände, für die meisten Menschen das letzte Refugium, keine Sicherheit mehr bieten. Zum Glück bekommt sie unerwartete Hilfe: Vor einigen Tagen ist sie ihrem früheren Freund über den Weg gelaufen. Tom (Marcus Mittermeier) hatte sie einst wegen einer anderen verlassen, würde aber gern wieder dort anknüpfen, wo er und Eva, die sich gerade von ihrem Mann Roman (Fritz Karl) scheiden lässt, vor 15 Jahren aufgehört haben. Ihr geht das zwar alles zu schnell, doch als sich die beängstigenden Ereignisse häufen, ist sie froh, dass Tom ihr ritterlich zur Seite steht. Nach einer gemeinsam verbrachten Nacht dämmert ihr, dass seine Motive womöglich nicht ganz uneigennützig waren.
Foto: ZDF / Hendrik Heiden
Für Johannes Fabrick ist das ein durchaus ungewöhnlicher Stoff. Der Österreicher steht für namhaft besetzte und stets exzellent gespielte existenzielle Dramen, in denen es oft todtraurig zugeht, wie zum Teil schon die Titel verdeutlichen: „Ein langer Abschied“ (2006) schildert das Sterben eines Kindes und einer Liebe; „Der letzte schöne Tag“ (2012, Grimme-Preis) handelt vom Umgang mit dem Selbstmord eines geliebten Menschen; in „Pass gut auf ihn auf!“ (2013) will eine an Krebs erkrankte Frau dafür sorgen, dass der Gatte nach ihrem Tod zu seiner früheren Frau zurückkehrt; in der Vater/Sohn-Geschichte „Wenn es am schönsten ist“ (2014) will sich ein Mann vor seinem Krebstod mit seinem Sohn versöhnen; in „Nie mehr wie es war“ (2017) findet ein Vater heraus, dass er 16 Jahre lang ein Kuckuckskind groß gezogen hat. Es gelingt ohnehin nur wenigen Regisseuren, in eindrucksvoller Regelmäßigkeit Arbeiten von derart hoher Qualität abzuliefern, aber Fabricks Filme zeichnen sich zudem durch eine beständige emotionale Tiefe aus, die im deutschen Fernsehen ihresgleichen sucht. Dass er nun einen Thriller gedreht hat, ist interessanterweise kein Widerspruch, denn es zeigt sich, dass sein Feingefühl sowie die Fähigkeit, Stimmungen zu vermitteln, die perfekten Voraussetzungen sind, um die Geschichte in der Schwebe zu halten: weil über weite Strecken offen bleibt, ob die Hauptfigur in ihren Reaktionen nicht womöglich maßlos übertreibt.
Foto: ZDF / Hendrik Heiden
Schon der Auftakt sorgt für eine erste Verunsicherung: Die Kamera zeigt Eva beim Joggen, als urplötzlich ein Mann hinter ihr auftaucht. In der zweiten Szene liegt sie allein im Bett. Die andere Hälfte neben ihr ist leer, dort befindet sich nicht mal Bettwäsche; eine bildsprachlich denkbar knapp formulierte Information über den Beziehungsstatus. Die anschließende Duschszene wirkt zunächst wie einer jener Reize, die ein männliches Publikum bei der Stange halten sollen, zumal es nicht bei dieser einen Nacktszene bleibt, doch die ohnehin nicht voyeuristisch gefilmten Aufnahmen (Kamera, wie meist bei Fabrick: Helmut Pirnat) setzen keine plumpen Reizpunkte, sondern sind Teil der Geschichte: sie signalisieren Attraktivität und Selbstbewusstsein. Außerdem meistert Sophie von Kessel, mit der der Regisseur früher öfter zusammengearbeitet hat (zuletzt bei dem Psychokrimi „Die Tochter des Mörders“), diese für keine Schauspielerin angenehmen Szenen mit großer Souveränität. Andererseits wirkt Eva in diesen Momenten sehr verletzlich. Mehrere Außenaufnahmen, die die Hauptfigur sehr klein aus der Vogelperspektive zeigen, unterstreichen diesen Eindruck. Dazu trägt ein weiteres Detail bei: Die elegant gekleidete sowie bei Kollegen und Mitschülern beliebte Lehrerin, die sich so selbstbestimmt gibt, leidet unter Arachnophobie. Zunächst mutet es etwas übertrieben an, als sie angsterfüllt erstarrt, weil eine harmlose Spinne ihren Weg im Lehrerzimmer kreuzt. Der Vorfall fügt sich jedoch in eine Kette von Ereignissen ein, die ihr langsam, aber sicher den Boden unter den Füßen wegziehen. Nun wird auch klar, warum sie, bevor sie das Haus verlässt, großzügig Insektenspray an den Türen versprüht. Als sich trotzdem eine Spinne in ihr Bad verirrt, schlägt sie in Panik auf das Tier ein. Just jetzt klingelt es an der Haustür: Roman will sein Surfbrett aus dem Keller holen; der zukünftige Ex macht keinen Hehl aus seiner Feindseligkeit. Dass Fritz Karl bereit war, diese kleine Rolle in einem Film seines Landsmanns zu übernehmen, unterstreicht die Bedeutung Fabricks. Gleiches gilt für Matthias Koeberlin. Er spielt einen Kollegen Evas, der sich bei jeder Begegnung plump an sie ranmacht.
Die namhaften Besetzungen dienen indes keinem Selbstzweck. Gerade Karl, vor allem vom weiblichen TV-Publikum wegen seines Charmes geschätzt, hat ja auch diverse Schurkenrollen vorzuweisen. Bei Marcus Mittermeier reicht das Rollenspektrum ebenfalls vom romantischen Liebhaber bis zum gestörten Mörder. Außerdem sorgt die vorzügliche Thriller-Musik (Manu Kurz) dafür, dass sich Eva permanent auf dünnem Eis bewegt: weil das Grauen jederzeit zuschlagen kann. Auf diese Weise bekommen harmlose Einstellungen eine gewisse Abgründigkeit. Selbst ein unschuldiger Rosenstrauß wird zu einem Omen des Bösen, vom etwas bedrohlichen wirkenden neuen Nachbarn (Heinz-Josef Braun) ganz zu schweigen. Weil Fabrick dieser Balanceakt so ausgezeichnet gelingt, nimmt die Spannung paradoxerweise ab, als der Stalker endlich sein wahres Gesicht zeigt, und selbstredend kommt der Angriff aus einer völlig anderen Richtung als erwartet. Jetzt, im letzten Akt, erliegt „Du bist nicht allein“ dann doch noch dem üblichen Schema vieler Psychothriller. Bis dahin bewegt sich der Film jedoch weit überm Durchschnitt, wenn auch mit einer kleinen Einschränkung: Die Gespräche zwischen Eva und ihrer besten Freundin (Anna Schäfer) fallen völlig aus dem Rahmen, denn Britta ist ein typisches Klischee aus der romantischen Komödie und wirkt mit ihren oberflächlichen Modernismen („Süße“, „Hab’ Spaß“, „no risk, no fun“) völlig deplatziert.