Schauspielerin im Karrieretief coacht den schlechtesten Pfarrer von Berlin
„Aber Geld ist nicht alles“ – mit diesem Satz macht sich die Schauspielerin Rebecca (Andrea Sawatzki) seit Jahren was vor. Denn sie lebt ihre Leidenschaft ein Stück weit auch auf Kosten ihrer Mitbewohnerin Sina (Steffi Kühnert); und weil sie sich ständig nur um sich selber dreht, haben sie und ihr Sohn Leo (Johannes Heinrichs) sich schon lange nichts mehr zu sagen. Doch Besserung ist in Sicht: neue Rolle, neue Phantasien, bald aber auch neue Illusionen und neue Lügen, denn die Traumrolle in einem Kellertheater erweist sich als Zuschussgeschäft – Rebecca spielt ohne Gage! Also muss ihr Zweitjob Früchte tragen: das Coachen eines uncharismatischen, rhetorisch talentfreien Jungpfarrers. Eigentlich suchte Rebecca nur nach einer Recherchemöglichkeit für ihre Theaterrolle einer Pfarrerin, die an sich und ihrem Glauben zweifelt. Da ihr alter Schulfreund Michael (Oliver Breite) Bischof und sein Sohn Thaddäus (Franz Hartwig) jener schlechteste Pfarrer von Berlin ist, ergab sich für sie eine doppelte Win-win-Situation. Doch der junge Mann fühlt sich bedrängt, kontrolliert und ist genervt. Als Rebecca dann noch mit einer „Lockerungsübung“, Klauen und die Kraft des Adrenalins spüren, übers Ziel hinausschießt, ist erst mal Schluss mit Training. Sie merkt aber, dass Thaddäus auf einem anderen heiklen Feld gern von ihr lernen würde: in Liebesdingen.
Foto: ZDF / Conny Klein
90 Filmminuten beste Unterhaltung mit lebensphilosophischem Mehrwert
„Zwei verlorene Schafe“ erzählt von zwei Menschen, die sich auf sehr unterschiedliche Weise in ihrer kleinen Welt eingerichtet haben – beide sind groß im Verdrängen, die Schauspielerin im alles schönreden und schön lächeln, der Pfarrer im Ausreden finden. Für eine Komödie mit tragisch-existentiellem Unterton ist das eine gute Voraussetzung für eine duale Lösung. Die Doppelstruktur der Beziehung der zwei Hauptfiguren ist der Handlungskern der Geschichte: Hier wird nicht einseitig geholfen – und vor allem werden die „Heilung“ und die „Klarsicht“ auf einen amüsanten Lernprozess verteilt. Der Weg zur Erkenntnis ist das Ziel. Für den Film bedeutet das: 90 Minuten beste Unterhaltung mit lebensphilosophischem Mehrwert. Dezentes Überbande spielen bei den Eltern-Kind-Beziehungen, die als einseitige Nicht-Beziehungen dargestellt werden (Rebecca kann nicht zuhören, der Bischof hat nie Zeit, dafür immer Recht), gehören ebenso dazu wie das Spiel mit Rollen, Ängsten und Identitäten, die dem Ganzen einen selbstironischen Rahmen geben. Und so erspart der Film dem Zuschauer denn auch die eine grundlegende Erkenntnis. „Dank Ihrer Rolle hat sich mein Leben verändert“, dieser Satz nach einer Theateraufführung geht einer Schauspielerin runter wie Öl. Der Pfarrer hat es gern eine Nummer kleiner: „Begleiten statt verändern.“ Die Erzählhaltung der klugen Geschichte moderiert quasi zwischen den beiden: Die Zurückhaltung des Pfarrers ist zwar nicht verkehrt, aber etwas mehr Begeisterung & Euphorie könnten auch ihm nicht schaden.
Foto: ZDF / Conny Klein
Tragikomödie mit viel Alltag, Witz, Ironie & Anschlussmöglichkeiten
Der ZDF-Fernsehfilm von Sylke Enders nach dem Drehbuch von Edda Leesch hält die Mitte – zwischen den beiden Charakteren, zwischen zwei Generationen, zwischen zwei Haltungen und vor allem zwischen Drama und Komödie, zwischen Problembewusstsein und leichter Gangart. In dieser Tragikomödie versteckt sich viel Alltag und Normalität, was den Zuschauern (psychologische) Anschlussmöglichkeiten gibt, ohne dass man hier den Eindruck einer fiktionalen Ratgebersendung haben müsste. Am Ende gibt es auch nicht das typische hollywoodeske Paukenschlag-Finale, die Riesenabrechnung, die von Null-auf-100-Läuterung. Ein bisschen Wohlfühlen ist dennoch Pflicht in einem Donnerstagsfilm im ZDF – die Normalisierung der Beziehungen ist also gewissermaßen die Voraussetzung dafür; dazu gehört aber ebenso ein bisschen Offenheit für all das, was das Leben für die beiden Hauptfiguren noch bereit halten könnte. Geschickt fährt die Regisseurin die Emotionen, aber auch die Bilder am Ende herunter, nimmt zunächst das Drama, dann teilweise den Ton heraus. Diese Ausblende-Technik entspricht Enders’ Realismuskonzept. Für große Gefühle in wunderbar kleinen Momenten gibt es allerdings dennoch Platz in diesem Film. Nachdem Rebecca zum „Liebescoach“ wurde, gibt es ein Rollenspiel zwischen ihr und Thaddäus, bei dem sie in die Rolle der jungen Frau schlüpft, in die sich der Pfarrer verguckt hat. Ein Monolog, der Balsam für die Seele des unsicheren Verliebten ist und der mit einem spontanen Wangenkuss endet.
Foto: ZDF / Conny Klein
Das Coaching-Prinzip und die Hinterfragung des Selbstoptimierungswahns
„Zwei verlorene Schafe“ macht aus zwei „Problemfällen“ keine Superhelden, gibt auch kein Patentrezept, wie man den Unwägbarkeiten des Lebens am besten begegnet, und „Augen zu und durch“, die Leistungsformel der vor allem vom Schicksal gebeutelten Heldinnen der 00er Jahre, ist für Leesch und Enders längst keine gangbare Alternative mehr. Dass sie den Konflikt auch nicht allein in der (Familien-)Psyche ihrer Charaktere verpanzern, sondern auch die Gesellschaft – die Probleme der Kirche mit dem mangelnden Zuspruch von außen sind ja gar nicht so weit entfernt von denen des Theaters – mit ins Spiel bringen, ist eine weitere Stärke der Geschichte. Es ist eben nicht für eine Hauptfigur in einem Film damit getan, über sich hinauszuwachsen, wie einem eine konventionelle (und sehr konservative) Dramaturgie weismachen will. Und so ist eine mögliche Lesart dieser „zwei verlorenen Schafe“ die Absage an diesen ganzen Selbstoptimierungsquatsch. Zwar bekommt man als Zuschauer einen mehr oder weniger erfolgreichen Coaching-Prozess präsentiert, ein Loblied auf dieses die eigenen Möglichkeiten ausschöpfende Kommunikationstraining, das so perfekt unseren Glauben an das „technisch“ Machbare spiegelt, wird hier allerdings nicht gesungen. Denn erst muss man wissen, ob man seine „Potenziale“ überhaupt ausschöpfen möchte: ob das, was man tut, auch das ist, was man wirklich tun will. Man muss davon überzeugt sein.
Ob Karikierung eines Typs oder tragikomisch: Sawatzki ist einzigartig!
Die weibliche Hauptfigur ist trotz der manisch-depressiven Disposition, die ihr Beruf mit sich bringt, über derlei Selbstzweifel hinweg. Was nicht ausschließt, dass sie immer mal wieder im Tal der Tränen landet. Andrea Sawatzki spielt diese zwanghafte, hyperaktive Egozentrikerin – und niemand hierzulande hätte diese Rolle überzeugender verkörpern können. Konkurrenzlos gut ist sie, wenn es um punktgenaue Karikierung eines Menschen-Typs geht wie beispielsweise in „Das große Comeback“ oder „Herztöne“, aber auch wenn wie hier oder in den sechs Filmen der wegweisenden „Bella“-Reihe der Komik-Pegel stärker in Richtung Tragikomödie ausschlägt, hat sie alles, was man braucht für diese Rolle: Tempo in den Aktionen, schnelles und flexibles Umschalten, die Lust auf komödiantische Zuspitzung und – trotz des Verdachts auf Dauerironie – durchaus auch Akzentuierungen in emotionale Tiefen, die man bei diesem Film noch in der ersten Hälfte niemals vermutet hätte. So weiß man als Zuschauer in dem oben beschriebenen Rollenspiel inklusive bewegendem Sawatzki-Monolog nicht genau, wie viel Wahrheit und wie viel Spiel (wie viel „billiger kleiner Trick“) von Seiten der Figur Rebecca in diesem filmischen Ausnahmemoment steckt. Man kann es nicht wissen. Diese Doppelbödigkeit ist einer der Vorteile, den das Genre Komödie gegenüber dem Drama besitzt. Diese „Verunsicherung“, dieses nicht genau wissen ist auch eine Chance für den Zuschauer: der kann diesem Moment eine eigene Wahrheit geben, kann ihn „füllen“ mit dem, was er meint zu hören, was er glaubt zu sehen oder was er fühlen möchte. Voraussetzung dafür ist natürlich ein Film, dessen Geschichte stimmt und der einem Vieles anbietet, neben einer Ausnahme-Komödiantin auch Kollegen, die deren Spiel-im-Spiel-Performance Paroli bieten können wie Steffi Kühnert, Margit Bendokat oder auch Franz Hartwig, der die Humorlosigkeit seiner Figur launig zu variieren versteht. „Zwei verlorene Schafe“ ist also auf den zweiten Blick noch klüger als auf den ersten Lacher. (Text-Stand: 18.9.2016)