Es hätte ein schöner Abend werden sollen. Ein Wiedersehen zweier bester Freundinnen aus Studienzeiten. Nach neun Jahren aber gibt es offenbar mehr Differenzen als Gemeinsamkeiten zwischen den beiden: Katrin (Britta Hammelstein) ist erfolgreich im Kultur-Marketing unterwegs, während Sandra (Mira Bartuschek), an der Uni noch die geistige Überfliegerin, in der Rolle der liebevollen Übermutter und perfekten Hausfrau aufzugehen scheint. Von den Schattenseiten dieser Frauenrollen wissen die Ehemänner ein Lied zu singen: Erik (Holger Stockhaus), mittelständischer Unternehmer und selbstgefälliger Hausbesitzer, übt Kritik an seiner Helikopter-Ehefrau allerdings anfangs eher hintenrum, während sich Katrins Partner Steffen (Felix Knopp) darin ergeht, tiefenentspannt den Hausmann, Kinderversteher und Umweltfreund zu zelebrieren. Für einen Familienversorger und Imprägniermittelhersteller wie Erik ein rotes Tuch. Mit dem Alkoholspiegel schlägt dann der Unverschämtheitspegel zunehmend stärker aus. Immer unberechenbarer entwickelt sich besonders das Verhältnis der alten Freundinnen. Was mit zwei Lächeln und dezenten Anspielungen beginnt, wächst sich zu einem handfesten Zickenkrieg aus, bei dem am Ende alle Fassaden einstürzen.
Foto: SWR / Johannes Krieg
So unterschiedlich sich die Frauen auch nach der Studienzeit entwickelt haben, in einem Punkt ähneln sich die beiden doch: Die Beziehungen zu ihren Partnern und die so selbstbewusst vertretenen Lebenskonzepte präsentieren sie anfangs arg geschönt. Als diese Wunschbilder im Laufe des Sommerabends infrage gestellt werden und sich jeder der vier mehrfach massiv in die Enge gedrängt sieht, kommt jeder irgendwann zu dem Titel gebenden Schluss: „Zur Hölle mit den anderen“. Dabei beginnt der ARD-Fernsehfilm noch ganz harmlos. Was man als objektiver Beobachter noch als Verlegenheitswitzchen („Katrin hat früher ganz schön viel gesoffen“) oder unbedachte Äußerungen („Ich kann das nicht so ohne Aufgabe, so nur im geistigen Stillstand versumpfen“) durchgehen lassen kann, das arbeitet allerdings erkennbar im Gegenüber und es kratzt an dessen Selbstbewusstsein. Es folgen versteckte Spitzen, dezente Retourkutschen, falsche Zwischentöne, dazu spielt den Frauen noch ihr Ego Projektionsstreiche („Was war zu viel?!“) – und irgendwann schreit dann die Situation nur noch nach Entladung. Einer macht den Anfang, dann setzt der andere einen drauf. Wie du mir, so ich dir. Gut für die Akteure, dass die vier glücklicherweise „erwachsene Menschen“ sind, zivilisiert, aufgeklärt, modern, und dass mit einer Entschuldigung zur rechten Zeit die Lage deeskaliert und die Abfahrt das Gästepaars verhindert werden kann. Und noch besser, zumindest für den Zuschauer, dass diese Vernunft nicht von Dauer ist. Nach einer Filmstunde scheint zwar große Versöhnung angesagt, alle können nur noch lachen über ihr kindisches Verhalten von eben, aber die selbstironische Supervision hat ihre Grenzen und die Unmengen an Alkohol, die für diesen Frieden notwendig waren, haben einen noch höheren Preis. Mit Hochprozentigem als Enthemmungsbeschleuniger ist auf der Zielgeraden wieder alles möglich: vom verzweifelten Seelenstriptease bis zu diversen Handgreiflichkeiten.
Foto: SWR / Johannes Krieg
Autorin Nicole Armbruster (preisgekrönt für „Freistatt“) versteht es, diese Kampfzone der unterschiedlichen Lebenskonzepte dramaturgisch ganz vorzüglich zu akzentuieren. Es gelingt ihr, psychologisch plausibel, aber auch mit kleinen Drehbuch-Tricks das Ende des (un)gemütlichen Beisammenseins immer wieder aufzuschieben, für Entlastung der extrem angespannten Situation zu sorgen, damit auch der „Normalzuschauer“ der Geschichte Glauben schenken kann. Denn obwohl „Zur Hölle mit den anderen“ eine Komödie ist, wirkt es zu Beginn, als habe Realismus-Liebhaber Stefan Krohmer den Film ganz der Wirklichkeit abgelauscht und als wohne der Zuschauer als ein weiterer Gast diesem göttlichen Gemetzel bei. Der besondere Matchplan für das Funktionieren einer solchen im Kern vorhersehbaren Handlung ist die Mehrschichtigkeit der Beziehungskrisen. Armbruster arbeitet mit drei Spannungsfeldern: So prallen nicht nur die Haltungen der beiden Paare aufeinander, auch in den Beziehungen selber kriselt es deutlich. Und so versucht jeder der vier sich gelegentlich auch vom eigentlich verhassten Paar oder zumindest einem der beiden Zustimmung zu holen, um den eigenen Partner vorzuführen oder gar zu demütigen. Die Logistik der Krisen, insbe-sondere die Auswechslung des Prügelknaben (wann geht es gegen den Partner und wann ist es an der Zeit, sich wieder mit ihm gegen das „andere“ Paar zu verbünden?), läuft mit der Präzision eines Schweizer Uhrwerks. Dadurch entstehen immer wieder neue Koalitionen, reizvolle Spiel-Situationen, und nach und nach erfährt man immer mehr von den „wunden Punkten“ aller Beteiligten. Je mehr Alkohol fließt, umso gnadenloser die Vorwürfe und Enthüllungen. Ist Sandra tatsächlich eine so überzeugte Nur-Mutter? Und was ist dran an den zwei Flaschen Wein, die Katrin offenbar braucht, um abends runterzukommen? Einer der Männer lässt dann lieber gleich selbst – wortwörtlich – die Hose runter. Klar ist: Ob Öko-Linke oder hemdsärmelige, jungdynamische Kleinbürger, im sich selbst belügen steht keiner dem anderen nach; allein die Beziehung des verheirateten Paares (Erik zu Sandra: „Du bist wie deine beschissene Mutter“) mit den traditionellen Rollenbildern scheint kaputter zu sein.
Foto: SWR / Johannes Krieg
Gewiss wird es Zuschauer geben, die das anders sehen. Interessant dürfte auch die Frage sein, welche Rolle bei der Rezeption der Wiedererkennungsfaktor spielt. Denn Armbruster & Krohmer überzeichnen zwar die an sich realistische Ausgangssituation in Richtung auf eine zwischenmenschliche Katastrophengeschichte, karikieren dabei aber die Charaktere nur in Maßen. Und so wird es viele Zuschauer geben, die sagen werden: „Ich kenne auch so jemanden“. Und vielleicht wird es ja auch welche geben, die feststellen müssen: „Ich war bzw. bin auch so ähnlich.“ So urkomisch der Film (in seiner Anlage) auch ist, die Macher gehen schon sehr nahe mit dem Spiegel ran an die Generation der Enddreißiger – und an deren erste Niederlagen, an die verpassten Chancen, die ungesunden Kompromisse, die auf Dauer nicht ohne Schmerz zu verkraften sind. Und so bleibt wohl auch beim Zuschauer, selbst bei dem, der nicht dieser Generation angehört, gelegentlich ein Gefühl von Betroffenheit oder Scham. Zu sagen: Das ist doch „nur“ eine Komödie, bei der man sich auf Kosten der anderen, der Charaktere, die die Hölle sind, amüsieren kann, das geht bei dieser SWR-Eigenproduktion nicht so ohne Weiteres. Dafür ist die Dramaturgie nicht aberwitzig genug und sind vor allem die Figuren viel zu alltagsnah: Und das ist die ganz große Stärke dieses Films; man kann sich nicht so einfach raushalten. Die Geschichte ist so angelegt und die vortreffliche Besetzung so gewählt, dass die meisten Zuschauer mit irgendeinem der Vier sympathisieren werden. Figuren moralisch zu entlarven, ohne sie offen – wie beispielsweise bei „Stromberg“ – dem Fremdschämen des Betrachters auszusetzen, und dabei drei von vier (Holger Stockhaus’ Erik dürfte wohl am wenigsten Fans finden) sogar mit einem ganz beträchtlichen Identifikationspotenzial auszustatten, das findet man nicht oft in einer TV-Komödie. Da würde man gern als Kritiker in den Wohnzimmern Mäuschen spielen… (Text-Stand: 6.12.2017)