Ziemlich russische Freunde

Mommsen, Simon, Sitochin, Prakopenka, Gronenborn. Ziemlich witzig & detailverliebt

Foto: Degeto, ORF / Petro Domenigg
Foto Tilmann P. Gangloff

Der Fund einer Fliegerbombe vernichtet das zarte Pflänzchen einer gerade erst geschlossenen deutsch-russischen Freundschaft: Das ist der Satz, auf den sich diese fröhliche Komödie reduzieren lässt. Tatsächlich ist die Geschichte jedoch weit komplexer, weil das Drehbuch außerdem eine „Romeo und Julia“-Geschichte einbaut, diverse unerwartete Haken schlägt und zudem allerlei amüsante Spiele mit Klischees und Vorurteilen treibt. Zu einem endgültig sehenswerten Freitagsfilm im „Ersten“ wird „Ziemlich russische Freunde“ (Degeto / Tivoli) durch die flotte Inszenierung durch Esther Gronenborn, die muntere Musik und ein gleichermaßen spielfreudiges wie treffend besetztes Ensemble, in dem neben Oliver Mommsen und Jevgenij Sitochin vor allem Barbara Prakopenka starke Akzente setzt.

Schon die erste Szene des Films schürt geschickt die Neugier: Ein Vater und sein Sohn stellen auf einer Wiese ein Schild auf. Während der junge Mann den Holzpfahl mit einem Vorschlaghammer in die Erde treibt, zeigt die Kamera, dass die beiden in großer Gefahr schweben: Mit jedem Schlag nähert sich der Pfahl einer Fliegerbombe. Selbstverständlich wird diese Bombe später noch eine entscheidende Rolle spielen, aber das können die Weigels aus Wiesbaden und ihre neuen russischen Bekannten, die Galkins, noch nicht ahnen, als sie den Verkauf der Wiese mit Sekt und Wodka begießen. Kurz darauf setzt sich der zupackende Viktor Galkin (Jevgenij Sitochin) auf einen Bagger, um mit den Arbeiten für das geplante Eigenheim zu beginnen. Natürlich stößt er umgehend auf den explosiven Fund. Bernd Weigel (Oliver Mommsen) kann ihm zwar glaubhaft versichern, dass weder er noch Gattin Daniela (Susanna Simon) von dem Blindgänger wussten, aber er soll Viktor beim Abtransport helfen; der Russe glaubt ihm nicht, dass in Deutschland der Staat für die Beseitigung solcher Weltkriegsrelikte aufkommt. Weil Filme dieser Art davon leben, dass sich die Dinge stets ganz anders entwickeln als geplant, ist das Ende vom Lied eine Rechnung in Höhe von über 120.000 Euro; und wie der Volksmund weiß, hört bei Geld jede Freundschaft auf.

Ziemlich russische FreundeFoto: Degeto / Philipp Brozsek
Gruppenbild mit Bombe. Natalia Bobyleva, Jevgenij Sitochin, Katerina Medvedeva, Barbara Prakopenka, Anton von Lucke, Oliver Mommsen, Susanna Simon, Wolfgang Stumph

Das allein wäre schon ein dankbarer Komödienstoff, aber das Autorenduo Michael Vershinin und Heino V. Kronberg – hinter dem Pseudonym verbirgt sich der Regisseur Zoltan Spirandelli – ergänzt die Handlung um eine Romanze, die sich an den Eltern vorbei immer stärker in den Vordergrund schiebt: Johannes (Anton von Lucke), der brave Sohn der Weigels, findet großen Gefallen an der selbstbewussten Irina (Barbara Prakopenka), und die ist wider Erwarten durchaus angetan von seinen Bemühungen, sie zu beeindrucken. Der Streit der Eltern wird zur ersten echten Belastungsprobe für die Beziehung, zumal Viktor und Svetlana (Katerina Medvedeva) ausgerechnet Irinas Ex, den Anwalt Sascha (Nikolai Selikovsky), mit der Vertretung ihrer Interessen betrauen. Auch hier zeigt sich die große Erzählkunst des erfahrenen Autors Vershinin, der sämtliche Erzählstränge mit kleinen Umwegen versieht. Einige sind offenkundig: Als sich Irina mit ihren Eltern streitet und vorübergehend zu Sascha zieht, sieht Johannes seine Felle davon schwimmen. Andere streut Regisseurin Esther Gronenborn eher beiläufig ein; da genügt auch mal ein Blick auf eine funkelnagelneue Espresso-Maschine, um eine komplette Szene auf eine Einstellung zu reduzieren.

Es sind ohnehin nicht zuletzt die vielen Nebenschauplätze mit ihren einfallsreichen und oft witzigen Details, die der Handlung immer wieder neue Nahrung geben. Dazu zählen auch einige logistisch vermutlich anspruchsvolle Außenaufnahmen wie der Bombentransport durch die Innenstadt, den Gronenborn mit Musik aus dem Tschaikowski-Ballett „Schwanensee“ unterlegt hat. Verblüffend ist auch der Moment, in dem es Johannes endgültig erwischt: Bei der feuchtfröhlichen ersten Begegnung der beiden Familien in der Wohnung der Galkins hat Daniela ihren Wodka kurzerhand ins Aquarium gekippt. Weil das dem einzigen Bewohner nicht gut bekommen ist, soll Irina einen neuen Fisch kaufen. Sie nimmt Johannes mit, was dazu führt, dass er in der Schlüsselszene des romantischen Erzählstrangs buchstäblich ihrer Magie erliegt. Nun könnte die Liebe ihren Lauf nehmen, aber da ist ja noch Sascha. Um das materielle Gefälle zwischen den beiden Männern zu verdeutlichen, lässt Gronenborn den Anwalt mit einem teuren Sportflitzer vorfahren. Da kann Johannes mit dem altersschwachen Auto seiner Eltern, das ausgerechnet jetzt nicht anspringen will, natürlich nicht mithalten, aber zum Glück lässt sich Irina von solchen Äußerlichkeiten nicht blenden.

Die beiden Väter sind zwar die wichtigsten Akteure, zumal gerade Jevgenij Sitochin sichtbar viel Freude an seiner Rolle hat, aber letztlich ist „Ziemlich beste Freunde“ ein Ensemblefilm; weitere wichtige Figuren sind Großvater Weigel (Wolfgang Stumph) und Großmutter Galkin (Natalia Bobyleva), die das Geldproblem auf unkonventionelle Weise lösen wollen. Am Ende verhindern jedoch die vom Verhalten ihrer Eltern schockierten Kinder, dass der Streit vollends eskaliert. Nicht nur deshalb ist Barbara Prakopenka der heimliche Star des Films. Die gebürtige Weißrussin, die als Zweijährige mit ihren Eltern nach Deutschland gekommen ist, hat schon die Titelheldin der „Inga Lindström“-Komödie „Die Braut vom Götakanal“ sehr erfrischend und sympathisch verkörpert.

Ziemlich russische FreundeFoto: Degeto, ORF / Petro Domenigg
Barbara Prakopenka ist der heimliche Star von „Ziemlich russische Freunde“

Esther Gronenborn wiederum knüpft mit der Komödie an die Qualität ihres letzten Films an: „Ein Wochenende im August“ (2019), ebenfalls im Auftrag der ARD-Tochter Degeto entstanden, war eine sehenswerte Liebesgeschichte mit Nadja Uhl als verheiratete Frau, deren Leben durch die Begegnung mit einem Fremden in Unordnung gerät. Nach ihrem Debüt „alaska.de“ (2000), einem düsteren Berlin-Drama im Dogma-Stil, für das sie mit dem Deutschen Filmpreis 2001 für die Beste Regie und dem Bayerischen Filmpreis als Beste Nachwuchsregisseurin ausgezeichnet wurde, waren weitere Arbeiten von Gronenborn, die einige Jahre für die FFA (Filmförderungsanstalt) und den Bundesverband Regie tätig war, beispielsweise das ZDF-Drama „Ich werde nicht schweigen“ (2018) über eine Weltkriegs-Witwe, die ein abscheuliches Verbrechen aufdeckt, weniger überzeugend. Dagegen weiß der Freitagsfilm „Ziemlich russische Freunde“ sein Potenzial zu nutzen, zumal das Drehbuch die klischeehaft überspitzten kulturellen und charakterlichen Unterschiede – hier die angeblich weltoffenen, in Wirklichkeit jedoch ziemlich intoleranten Deutschen, dort die gastfreundlichen, aber auch etwas chaotischen Russen – weidlich auskostet. Außerdem legt der Film auch dank der russisch angehauchten und entsprechend munteren Musik (Gert Wilden jr.) ein ziemlich flottes Tempo vor.

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Fernsehfilm

ARD Degeto

Mit Oliver Mommsen, Susanna Simon, Jevgenij Sitochin, Barbara Prakopenka, Anton von Lucke, Wolfgang Stumph, Katerina Medvedeva, Natalia Bobyleva

Kamera: Birgit Gudjonsdottir

Szenenbild: Bertram Reiter

Kostüm: Christine Ludwig

Schnitt: Sabine Brose

Musik: Gert Wilden jr.

Soundtrack: Modern Talking („You’re My Heart, You’re My Soul“, „Cheri Cheri Lady“), André Rieu („Jazz Suite No. 2”), Earth, Wind & Fire („December”)

Redaktion: Stefan Kruppa, Christoph Pellander

Produktionsfirma: Tivoli Film

Produktion: Thomas Hroch, Gerald Podgornig

Drehbuch: Michael Vershinin, Heino V. Kronberg

Regie: Esther Gronenborn

Quote: 4,49 Mio. Zuschauer (13,7% MA)

EA: 27.11.2020 20:15 Uhr | ARD

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