Zielfahnder – Blutiger Tango

Tscharre, Koffler, Makatsch, Hartmann, Basedow, Lacant. Sinn, Thrill & Sinnlichkeit

Foto: WDR / Degeto / W&B / Repro
Foto Rainer Tittelbach

Nach einem Man-Hunt-Movie durch Rumänien ist die zweite Episode aus der Event-Reihe „Zielfahnder“ (ARD / W&B Television), „Blutiger Tango“, eine Reise ins urbane Nachtleben des südamerikanischen Montevideo, eine atmosphärestarke Reise, bei der die Zielobjekte genauso in eine fremde Welt geworfen werden wie die LKA-Fahnder. Die Fremde wird zum faszinierenden Fremden auch für den Zuschauer. Basedows klares Drehbuch in klassischer Dreiakt-Form macht die physischen Charaktere zum Herzstück der Geschichte. Auch dem Regisseur Stephan Lacant sind Psychologie und emotionale, stimmungsvoll verpackte Kampfzonenpolitik wichtiger als Action. Und so wird dieser Film, der wie ein Kammerspiel in einer wilden, von Melancholie gezeichneten (und beschallten) Stadt wirkt – maßgeblich getragen von der Präsenz eines Top-Quartetts: Tscharre, Koffler, Makatsch, Hartmann.

Nach dem Ausflug in die wilden Karpaten verschlägt es LKA-Zielfahnderin Hanna Landauer (Ulrike C. Tscharre) diesmal nach Uruguay. Sie und ihr neuer Partner Lars Röwer (Hanno Koffler) müssen sich an die Fersen eines deutschen Ehepaars heften, das vor neun Jahren einen Industriellen entführt und zehn Millionen Euro erbeutet hatte. Das Geld ist bis heute verschollen – ebenso ein unbekannter Komplize. Nachdem Gisela (Heike Makatsch) und Uwe Tezloff (Jörg Hartmann) ihre Strafe verbüßt haben, ist anzunehmen, dass sie Kontakt mit dem „dritten Mann“ aufnehmen werden, um den Lohn für ihr Schweigen ausgezahlt zu bekommen. Doch bevor die Zielfahnder ihre Zielobjekte überwachen können, müssen sie sie erst einmal finden in der Millionenstadt Montevideo. Zwei Fakten ihres Lebenslaufs könnten dabei helfen: Er leidet unter Asthma, sie liebt den Tango. Da Uwe Tezloff übervorsichtig ist, setzen sie auf den Lebenshunger seiner Frau. Nachdem sich Landauer schon einige Nächte von fremden Männern übers Parkett schieben lassen musste, taucht die sichtlich nach Tango & Leidenschaft gierende Frau in einem der zahlreichen Milongas der Stadt auf. Doch so plötzlich wie sie kam, so schnell ist sie ihren LKA-Schatten auch wieder entwischt. In der nächsten Nacht haben die beiden mehr Glück. Doch dann schnappt sich Gisela Tezloff ihren Zielfahnder zum Tanz, bevor sie ihn in ein Stundenhotel abschleppt. Als ob er und Landauer nicht schon genügend Probleme hätten! Denn noch andere sind hinter den Tezloffs und ihren Millionen her.

Zielfahnder – Blutiger TangoFoto: WDR / Degeto / W&B / Repro
Und dann taucht das Zielobjekt plötzlich auf und schnappt sich ihren Zielfahnder (Hanno Koffler). „Tango steht in unserem Film für das Leben. Für Sexualität, Lust, Schmerz und Gefahr. Der Tango erfordert Hingabe, er ist keine halbe Sache … Er wird zu einer Sucht – und Gisela letztendlich zum Verhängnis.“ (Heike Makatsch)

„Flucht in die Karpaten“, der erste Film aus der Event-Reihe „Zielfahnder“ war ein Manhunt-Roadmovie in eine vorindustrielle Welt, bei dem der Gejagte einen deutlichen Heimvorteil hatte. „Blutiger Tango“ ist nun eine Reise in das urbane Nachtleben einer südamerikanischen Metropole, bei der die Zielobjekte genauso in eine fremde Welt geworfen werden wie die LKA-Fahnder. Beiden Filmen gemeinsam: Die Fremde wird zum faszinierenden Fremden für die Protagonisten – aber vor allem auch für den Zuschauer. Montevideo bei Nacht, die dunklen Kaschemmen, die leeren engen Gassen, die heruntergekommenen Häuser, das hat nichts mit touristischer Hochglanzästhetik zu tun. Regisseur Stephan Lacant („Freier Fall“ / „Toter Winkel“) und Kameramann Philipp Sichler („Tatort – Im Schmerz geboren“) gelingt es, diesem Nachtleben etwas betörend Sinnliches und leicht Verruchtes mitzugeben.

Im ersten Drittel steht nach einer knackig & kompakt erzählten Darstellung der dramatischen Vorgeschichte die Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen im Zentrum und die (Arbeits-) Beziehung zwischen Landauer und Röwer, die sich noch finden müssen. Im Mittelteil des Films wird das Zielobjekt eingekreist. Die Zielfahnder kommen Gisela Tezloff näher, wähnen sie, ihren und vor allem den „dritten Mann“ in der Falle. Aus dem atmosphärischen Dunkel erwächst nun mehr und mehr Spannung – und für die Protagonisten ist es bald häufiger Tag als Nacht. Ab der 65. Minute gibt Drehbuchautor Rolf Basedow dem Plot eine entscheidende Wende. Die Ereignisse überschlagen sich, und der Zuschauer weiß plötzlich mehr als die Hauptfiguren. So ist für die letzten 25 Minuten Hochspannung angesagt. Und der Film endet dort, wo er begann – mit jener Einstellung, in der hinter Glas und Regen aus der Unschärfe das Gesicht von Ulrike C. Tscharre auftauchte. Jetzt sieht man: Landauer und Röwer befinden sich in einem Café in Montevideo. Der Himmel weint noch immer. Und ein letzter wehmütiger Tango setzt den Schlusspunkt in einem ungewöhnlich stimmungsvollen TV-Thriller.

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Wann sieht Tezloff (Jörg Hartmann) endlich seinen Anteil von den zehn Millionen? Er ist unsicher und introvertiert – die Eskapaden seiner Noch-Ehefrau schmerzen ihn.

Das Drehbuch ist gut, was man von einem mehrfachen Grimme-Preisträger auch erwartet – sprich: klar gebaut und ohne ablenkenden Firlefanz, eine klassische Dreiaktform, die Dialoge sind knapp und auf den Punkt. „Sie hat mich ausgesucht, nicht ich sie“, sagt Röwer, als ihm Landauer Vorhaltungen macht wegen seines Schäferstündchens mit dem Zielobjekt. Antwort: „Man kann auch ablehnen.“ Selbst Überzeugungen sind straff & eingängig formuliert: „Wenn man das Richtige tun will, muss man sich manchmal für die falschen Dinge entscheiden.“ Die Sprache passt zur starken Physis der Charaktere. Und diese sind das Herzstück des Films. „Der Krimiplot ist gar nicht das Entscheidende“, sagt denn auch Tezloff-Darsteller Jörg Hartmann, „es sind die Figuren in ihren Zuständen, in ihrer Einsamkeit, die im Vordergrund stehen“. Da wundert es einen nicht, dass die nachhaltigste Szene den Antagonisten gehört.

In einem Hotelzimmer im Plattenbau-Chic gehen sich die beiden an die Gurgel. Es ein Kampf mit Worten. „Du bist ein mieser, kleiner Feigling, ein Schwächling“, beschimpft sie ihn. Heike Makatsch spielt diese Frau, die nach den Jahren der Haft sich endlich wieder spüren will, großartig. Wenn ihre Figur nachts auf der Jagd ist, legt sie alles in ihre Erscheinung, ihre Gesten, ihre Blicke. Mit Ende 40 sieht die Schauspielerin hier der Knef ähnlicher als in ihrem Biopic „Hilde“. Hartmanns Tezloff bleibt in der Defensive, da er seine Frau noch immer liebt und sie nicht verlieren will; dabei stehen die Zeichen auf Trennung. Sie will endlich das Geld, um ihr eigenes Leben zu leben. Und er will ihrer Forderung nachkommen. Also verlässt er sein Versteck. Noch droht er dem „dritten Mann“ nur mit Worten. Später wird er die sexuelle Demütigung, die er von seiner Frau erfahren hat, an diesen weitergeben: Der Mann, der ertragen muss, wie seine Frau die Stunden zwischen Tango-Club und Stundenhotel genießt, steckt dem Komplizen von einst seine Pistole tief und geradezu genüsslich in den Hals.

Zielfahnder – Blutiger TangoFoto: WDR / Degeto / W&B / Repro
Zielfahnderin Hanna Landauer (Ulrike C. Tscharre) und ihr Partner Lars Röwer (Hanno Koffler). Ein Tango zum Abschied. Melancholie liegt auch über den Schlussbildern des Films.

Der Weg ist wie so oft das Ziel. Der Weg zur Überführung des Komplizen und zum Lösegeld, das Wie, macht den Reiz dieses Auslandsthrillers aus. Sinn und Sinnlichkeit, Narration und Filmästhetik fließen zusammen, sie bedingen sich gegenseitig, sind keine Gegensätze. Und das wird in jeder Szene, jedem Bild sichtbar. Die Geschichte bietet dem Tango und dem Nachtleben Montevideos ein Schaufenster. Der Zuschauer aber verliert sich nicht in der Millionenstadt, denn die Kamera hat immer die Charaktere im Blick. Wie ein Kammerspiel in einer wilden, von Melancholie gezeichneten (und beschallten) Stadt wirkt „Blutiger Tango“ in seinen zahlreichen Nachtszenen. Das reizvolle Ambiente gibt der Suche und Beschattung eine eigene Note. In dem Moment, in dem sich das Zielobjekt beim Tanz an Röwer anschmiegt, lässt sich die Kollegin von den Vorzügen gleichgeschlechtlicher Erotik überzeugen. Zog sich in „Flucht in die Karpaten“ die Verfolgung durch ein fremdes Land, bei dem der Gejagte Ziel-„Objekt“ blieb, lässt Basedow („Sperling“ / „Lotte Jäger“) in seinem zweiten Drehbuch zur Reihe das observierte Paar schmerzhaft lebendig werden. Auch Lacant sind Psychologie und emotionale, atmosphärisch verpackte Kampfzonenpolitik wichtiger als Action.

Da war es richtig, Schwergewichte wie Makatsch und Hartmann zu besetzen. Bei den Nebendarstellern hatte man dann wohl nicht mehr die nötigen Ressourcen. Und so wurden deutsche Figuren mit erkennbar südamerikanischen Schauspielern besetzt. Für den ausländischen Markt, auf dem dieser visuell anspruchsvolle Thriller gute Chancen haben wird, kein Problem, für deutsche Zuschauer allerdings gewöhnungsbedürftig. Dafür hat dieser „Zielfahnder“ für das, was er erzählt, mit 90 Minuten die richtige Länge, versucht also nicht, den kostspieligen Auslandsdreh mit Überlänge zu kompensieren (und den Minutenpreis zu drücken). Und so ist „Blutiger Tango“ am Ende ein Film geworden, der sehr wenig mit den oft stereotypen ARD-Auslandskrimis gemeinsam hat. Wäre schön, wenn man auf die nächste Operation von Landauer & Co keine drei Jahre warten müsste.

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Reihe

ARD Degeto, WDR

Mit Ulrike C. Tscharre, Hanno Koffler, Heike Makatsch, Jörg Hartmann, Soledad Gilmet, Javier Drolas, Helene Grass

Kamera: Philipp Sichler

Szenenbild: Stefan Schönberg

Kostüm: Sonja Hesse, Pilar González

Schnitt: Monika Schindler

Musik: Dürbeck & Dohmen

Redaktion: Katja Kirchen (Degeto), Frank Tönsmann (WDR)

Produktionsfirma: W&B Television

Produktion: Quirin Berg, Max Wiedemann

Drehbuch: Rolf Basedow

Regie: Stephan Lacant

Quote: 4,15 Mio. Zuschauer (14,1% MA)

EA: 26.10.2019 20:15 Uhr | ARD

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