„Zeit zu sterben“ wäre ebenfalls ein passender Titel für diesen Krimi gewesen, zumal der Monolog zum Auftakt wie ein Vermächtnis klingt. Während die Bilder nächtlich vernebelte Gassen zeigen und die Musik im Hintergrund düster dräut, erzählt ein Mann von der Angst, die ihn schon sein ganzes Leben begleitet: als Kind vor der Dunkelheit und vor Dämonen, als Erwachsener davor, dass sein Dasein „zu einer Abfolge wiederkehrender Niederlagen und Enttäuschungen“ geraten könne. Mit dem Erfolg hätten sich „neue Ängste, neue Dämonen“ eingestellt. Er verschwindet in der Nacht, zutiefst verunsichert zwar, aber dennoch, wie sich später zeigt, bereit für einen Neuanfang; doch dazu kommt es nicht.
„Zeit zu beten“ ist der fünfte „Passau-Krimi“. Die Vorgeschichte der Hauptfigur scheint endgültig Vergangenheit, selbst wenn sie indirekt der Grund dafür ist, warum Frederike Bader (Marie Leuenberger) ins Kloster geht. Die Polizistin hat einst einen Berliner Clanchef hinter Gitter gebracht und lebt nun samt Tochter Mia mit neuer Identität in Passau. Der einheimische Kommissar Mohn (Stefan Rudolf), ihr Betreuer im Zeugenschutz, bittet sie um einen Gefallen: Anwalt Jürgen Ritter (Peter Fieseler), neuer Lebensgefährte seiner Ex-Frau, hat sich mit dubiosen Auftraggebern eingelassen, die in der Gegend eine Schönheitsklinik errichten wollen. Das Projekt dient jedoch vermutlich der Geldwäsche. Frederike soll Ritter durchleuchten. Ein klösterliches Resilienzseminar bietet eine ausgezeichnete Gelegenheit, ihm näherzukommen; aber dann stirbt er direkt neben ihr.
Abgesehen von der weiterhin unheilvollen Musik (Manu Kurz), die den Puls des Films bildet, wirkt „Zeit zu beten“ harmlos, zumal sich die gute Bildgestaltung (Robert Oberrainer) am beginnenden Frühling erfreut und die Handlung zwischendurch gemeinsam mit Mia (Nadja Sabersky) einen Ausflug nach Altötting macht; doch der Schein trügt. Ritters Monolog zu Beginn stammt aus einem Video an seinen Klienten: Der Anwalt wollte aussteigen. Weil ihm klar war, dass das nicht so einfach ist, hat er vorgesorgt: Sollte ihm etwas zustoßen, werde die Polizei automatisch einen Brief erhalten, der die Machenschaften enthüllt. Ein Gangster soll das um jeden Preis verhindern; und jetzt wandelt sich die Geschichte des erfahrenen Autors Michael Vershinin, der bislang alle Drehbücher für die Reihe geschrieben hat, zum Thriller.
Natürlich resultiert die Spannung nun auch aus dem Schicksal von Mohns entführtem kleinem Sohn, aber in den Krimis aus Passau sterben keine Kinder. Viel interessanter ist daher Vershinins Idee, sämtliche wichtige Figuren aus der Bahn zu schubsen. Dieses Prinzip gilt auch für die zentralen Charaktere: hier die frühere Hauptkommissarin, dort der ehemalige Supermarkt-Filialeiter Zankl (Michael Ostrowski) aus Österreich, der sich einen Kindheitstraum erfüllt hat und Privatdetektiv geworden ist. Mohn, mittlerweile Kripo-Chef, ist nicht nur krank vor Sorge, sondern nach einem heftigen Schlag auf den Schädel auch erheblich lädiert; in seiner Umnachtung schießt er sogar mal auf Frederike. Selbst Ritter ist nicht unsympathisch. Noch interessanter ist die Rolle des Entführers. Till Wonka, der skrupellose Typen vermutlich im Schlaf spielen kann, vermittelt auf subtile Weise, dass es der Killer womöglich nicht übers Herz brächte, den Jungen umzubringen. Sehr besonders sind auch die wenigen wortkargen Auftritte von Özgür Karadeniz als Schuhmacher, dem Ritter den Umschlag anvertraut hat. Im Grunde agiert der Schauspieler, vom Krimifan als väterlicher Revierleiter aus der ZDF-„Nachtschicht“ geschätzt, hier nur mit seinen Augen.
Der Rest ist Freude an Buchdetails. Zankl kommt Ritters Geheimnis auf die Spur, weil der Anwalt neben einem Faible für Maß-Schuhe & Kriminalromane auch eine beachtliche Sammlung geheimdienstlicher Devotionalien besaß. Eher überflüssig ist die Pilgerfahrt zur Altöttinger Gnadenkapelle, die wie ein Vorwand wirkt, um den Erzählstrang mit der in der letzten Episode („Der Fluss ist sein Grab“) schwerverletzten Konditorin (Bettina Mittendorfer) fortzuführen und Mia von der Verehrung der Schwarzen Madonna erzählen zu lassen; zuletzt war die angehende Journalistin eine gleichberechtigte Figur neben Zankl und ihrer Mutter. Immerhin ist ihr Epilog über helle Kraftorte das Gegenstück zur düsteren Einführung. Regie führte die Österreicherin Johanna Moder, deren erster deutscher TV-Krimi nicht nur in den Klosterszenen recht entschleunigt daherkommt.