Ein verpatzter Einsatz mit zwei Toten, einem Flüchtigen und einem schwer verletzten Polizisten ist die letzte Aktion, mit der die SEK-Einheit um Gruppenleiter Mendes (Misel Maticevic) von sich reden macht. Er und seine Jungs sind angezählt. Offenbar hält der eine oder andere von ihnen schon mal die Hand auf, jetzt fehlen sogar 30.000 € – der Polizeichef (Thomas Thieme) schäumt. Also heißt es, den Ball flach halten. Doch wohin mit der Wut und dem Testosteron? Als der 13-jährige Nasim (Mohamed Issa), der um die Plattenbauten streift und vergeblich nach „Freunden“ sucht, aus Angst eine Falschaussage macht und einen Unschuldigen belastet, löst er eine blutige Kettenreaktion aus: Involviert sind zwei rivalisierende Banden, die eine um Großmaul Jacek (Frederick Lau), die andere um den besonnenen Thorsten (Tilman Strauss). Aber auch die „SEKies“ mit Mendes, Kevin (Ronald Zehrfeld) & Brandes (Hendrik Duryn) sehen sich nicht mehr an den offiziellen Weg gebunden; sie nehmen eines Nachts das Recht selbst in die Hand und prügeln und treten auf den jungen Mann ein, den sie für den Mörder zweier ihrer Kollegen halten. Als sich herausstellt, dass sie den Falschen „erwischt“ haben und dieser möglicherweise aufgrund ihrer „Abreibung“ tödlich verunglückt ist, spaltet sich die Einheit. Auch einen Verräter scheint es in der Truppe zu geben. „Was macht den Unterschied zwischen uns und denen, wenn wir mit so was durchkommen?“, fragen die einen. „Weil wir es können“, sagen die anderen.
Der Polizeithriller „Wir waren Könige“ beginnt furios. Die Elite-Truppe vor und während eines Einsatzes – das ist Spannung in filmischer Reinkultur: in der Zielwohnung dröhnt das Chaos, im Treppenhaus könnte man ein Streichholz fallen hören; wenig später eskaliert die Situation. Ganz so physisch, dynamisch und packend geht es dann erst mal nicht weiter in Philipp Leinemanns zweitem Kinofilm. Den Jungs ist fürs Erste der Stachel gezogen. Jetzt heißt es, sich der Solidarität der anderen versichern. Das geht immer noch am besten mit Besäufnissen. Die auf der anderen Seite des Gesetzes machen das nicht viel anders – und so kommt es eines Abends beim Bowlen zur Verbrüderung. Die Männerbündelei kennt nicht viele Sprachen: eine heißt Gewalt – und die bricht sich bald Bahn. Die Männer vom SEK haben sich längst ihre eigenen Regeln geschaffen, Moral ist immer das, was der Gruppe nutzt, und das Chaos, das dabei herauskommt, wird „von oben“ gedeckt. Alle halten dicht, das System der harten Männer funktioniert. Mit Schauspielern wie Zehrfeld, Maticevic, Thieme oder Lau funktioniert das auch filmisch. Saufen, schwitzen, schießen, das Dreigestirn der testosterongetränkten Männerwelt sah man so atmosphärisch, so genrestark und im Detail überzeugend im deutschen Film und Fernsehen seit „Im Angesicht des Verbrechens“ von Dominik Graf (der mit „Die Sieger“ 1994 quasi eine Blaupause für Männerfilme dieser Art schuf) nicht mehr.
Foto: ZDF / Christian Stangassinger
Im Bandenkrieg sich nicht ausschließlich „Problem-Migranten“ die Köpfe einschlagen zu sehen, wurde schon zu recht von Kritikern zum Kinostart positiv hervorgehoben. Umso mehr überrascht die relativ schwache Dramaturgie von „Wir waren Könige“, die bemühte Zufallskonstruktion, die den tödlichen Mechanismus in Gang setzt. Der gedrechselte Plot unterläuft somit ein Stück weit sogar das ästhetische Realismus-Konzept Leinemanns mit seinen tristen, dunklen Bildern und dem vermeintlichen Alltagsrhythmus als Taktgeber der Erzählung. Zu einer solchen klassischen Tragödie wäre vielleicht eine ähnlich überhöhte Filmsprache die adäquate Form gewesen. Ungeachtet dessen aber ist Philipp Leinemann, Jahrgang 1979, als Regisseur ein Riesentalent – und so hat er bereits drei weitere Filme abgedreht, Fernsehfilme, auf die man gespannt sein darf: einer ist der neue „Polizeiruf 110“ aus Rostock, Arbeitstitel „Im Schatten“, bei dem er mit Charly Hübner und Anneke Kim Sarnau sicherlich seine Vorliebe für den physischen Genrefilm weiter kultivieren durfte.
„Leinemann gelingt ein konsequent düsterer und rauer Genrefilm, wie man ihn nur selten im deutschen Kinoprogramm sieht. Getragen von einem Ensemble auffallend präzise besetzter Schauspieler und unterlegt mit einem dezenten Score, lebt er zuvorderst von der Dynamik zwischen seinen Figuren.“ (Zeit online)
„In düsteren Bildern aus einem trostlosen deutschen Niemandsland verschwimmen die Grenzen zwischen Gut und Böse, taumelt eine Gesellschaft am Abgrund.“ (TV-Spielfilm)
„Ein gutes Dutzend Gestalten lässt Leinemann durch die ortlosen Schluchten der Hochhäuser jagen. Sie haben Kontur und Tiefe. Alle sind sie ehrlich und lebendig. Vom Boden des Grundgesetzes ungefähr gleich weit entfernt und garantiert eines nicht – niedlich. Darauf lässt sich aufbauen.“ (Die Welt)