Wir sind doch Schwestern

Speidel, Schmahl, Roll, Schwochow, Endemann. Der gute Ruf ist das halbe Leben

Foto: Degeto, WDR / Bernd Spauke
Foto Rainer Tittelbach

Der Fernsehfilm „Wir sind doch Schwestern“ (Ufa Fiction) ist entstanden nach dem Bestseller der Journalistin Anne Gesthuysen, die sich in ihrem Buch vom Leben dreier Großtanten inspirieren ließ. Wie der Roman, so interessiert sich auch der Film nicht für die Frage, wie man die 100 Jahre schafft, sondern was man in 100 Jahren alles schafft. Die drei Schwestern sind durch Kriege & Krisen gegangen, sie wurden von Schicksalsschlägen schwer getroffen, und immer wieder waren es die gesellschaftlichen Zwänge, die ihrem Glück im Weg standen. Heide Schwochow und Till Endemann ist ein nachhaltiges Generationen-Porträt gelungen, und es ist eine große Freude, Jutta Speidel, Hildegard Schmahl & Gertrud Roll, die alle auf sehr viel älter geschminkt wurden, zuzuschauen. Wie im klassischen Melodram bleibt die romantische Liebe unerfüllt, die Schwesternliebe aber sorgt für ein spätes Glück. Dem leisen Spiel & der klugen Dramaturgie ist es zu verdanken, dass Kitsch kaum eine Chance hat.

1994, ein Gutshof am Niederrhein. Seit über 40 Jahren herrscht Funkstille zwischen den beiden Schwestern, der eisernen Hiltrud (Hildegard Schmahl) und dem Nesthäkchen Betty (Jutta Speidel), das mittlerweile auch schon 84 Jahre alt ist. Zum hundertsten Geburtstag von Hiltrud hat sich die Dritte im Schwesternbunde, die nur zwei Jahre jüngere Martha (Gertrud Roll), entschlossen, endlich zwischen den beiden Sturköpfen zu vermitteln. Vielleicht ist es ja die letzte Chance zur Versöhnung. Auf dem Hof der Verhoevens soll die Jubelfeier stattfinden. Ausgerechnet dort: Denn der bereits verstorbene Heinrich Verhoeven (Benjamin Sadler) ist einer der Gründe, weshalb die beiden Schwestern so tief zerstritten sind. Er sei schuld am Tod seines Bruders, der im Ersten Weltkrieg gefallen ist, behauptet Hiltrud noch heute, und jener Franz war ihre erste und einzige Liebe. Endgültig entzweit hat die beiden ein Prozess im Jahre 1950, bei dem die Ältere, eine hochmoralische Schulleiterin, für die Jüngere und „ihren“ Heinrich eine Falschaussage gemacht haben soll. Der Gutsherr und spätere CDU-Politiker heiratete – nachdem seine erste Frau im Kindbett gestorben war – nämlich nicht die ihn seit Kindertagen anhimmelnde und ihm ein Leben lang treu ergebene Betty, sondern er ging vielmehr eine standesgemäße Verbindung ein. Glücklich wurden weder Betty noch „die Andere“ und Heinrich musste eine Anklage wegen Ehebruchs über sich ergehen lassen.

Der Fernsehfilm „Wir sind doch Schwestern“ ist entstanden nach dem gleichnamigen Bestseller der Journalistin Anne Gesthuysen, die sich in dem Buch vom Leben dreier Großtanten inspirieren ließ. Wie der Roman, so interessiert sich auch der Film nicht für die Frage, wie man die 100 Jahre schafft, sondern was man in 100 Jahren alles schafft. Die Hauptfiguren sind durch Kriege, Krisen und Katastrophen gegangen, und immer wieder wurden die drei Schwestern vom Schicksal schwer getroffen. Noch häufiger waren es gesellschaftliche Konventionen, die den Schwestern ihr Glück verwehrten. Der gute Ruf stand stets über allem. „Ist euch eigentlich schon einmal aufgefallen: Wir haben uns immer dann verletzt, wenn wir die Moral über alles gestellt haben, diese ekelhafte, verlogene Moral“, sagt Martha gegen Ende des Films. Eine großartige Szene. Die alten Damen liegen nebeneinander im Bett, erst ein Likörchen, dann folgt ein Querschnitt der verhärteten Ansichten der drei, noch beharrt jede auf ihrer „Wahrheit“. Schließlich aber obsiegt die Altersweisheit doch noch über den Starrsinn. „Wir sollten die Schuld nicht bei den anderen suchen“, gibt die Älteste am Ende den lebensklugen Tenor für die drei hochbetagten Frauen aus, während die Jüngste schon zu Beginn eine Weisheit zum Besten gibt, die an dieser Stelle noch wie ein Gemeinplatz klingt („Wenn wir anderen Menschen wehtun, verletzten wir am Ende immer auch uns selbst“), die aber spätestens im sinnlichen Schlussbild ihre lebenskluge Bestätigung findet. Und da sitzen sie nun, diese drei Frauen des letzten Jahrhunderts, friedlich im Grünen, die Gesichtszüge weich und entspannt, ohne das ewige Contra geben, und keine muss das letzte Wort haben.

Wir sind doch SchwesternFoto: Degeto, WDR / Bernd Spauke
„Egal, was passiert, wir bleiben doch immer Schwestern?“ In jungen Jahren gibt es keinen Grund, daran zu zweifeln. Caroline Hellwig, Natalie Lucia Hahnen, Charlotte Banholzer. Die Schwestern werden von drei verschiedenen Schauspielern dargestellt: durch die Handlung, die klare Rückblendenstruktur mit großen Zeitsprüngen (1915/16, 1945-50, 1994) und die Altersunterschiede der Figuren – kein Problem!

Diese drei Schwestern sind vom Wesen her sehr unterschiedlich. Die ältesten sind zwar beide Lehrerinnen, doch Martha ist eher eine ausgleichende Person, während die Gefeierte zeitlebens streng, dominant und herrisch gewesen ist. Die drei verhalten sich darüber hinaus auch recht typisch für ihre Geschwisterpositionen als Erstgeborene, als Nesthäkchen und als vermittelndes Sandwichkind. Und sie stehen ein Stück weit auch für ihre Generation und den Geist der Zeit. So hat Hiltrud als erwachsener Mensch noch das Kaiserreich erlebt, während Papas Liebling Betty in eine modernere Zeit hineingeboren wurde, obgleich auch sie in den Zwängen der Zeit gefangen bleibt. Sogar nach dem Krieg erfüllt sie die Rolle der treuen Dienerin ihres Dienstherrn, und als er sie bittet, „Würden Sie für mich eine Frau aussuchen, die vom Stand und vom Wesen zu mir passt?“, nimmt sie diese Verletzung hin, verkuppelt Heinrich mit einer Freundin und bleibt gebrochenen Herzens die gute Seele des Gutshofs.

Ihr Päckchen hatten alle zu tragen. Die mittlere der Schwestern fügte sich dem Befehl der älteren – und führte eine unbefriedigende Ehe mit einem homosexuellen Mann. Und Hiltrud verschrieb sich ganz ihrer Lehrertätigkeit und gab sich den deutschen Sekundärtugenden hin. „Weißt du, was ich bedauere“, lässt sie den Hausmeister, den sie noch von früher her kennt, wissen, „Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie bei einem Mann gelegen.“ Es ist aber nicht nur das Zusammentreffen der Schwestern, das das Verdrängte wieder ins Bewusstsein der alten Damen rückt. Auch die beiden Filmhochschülerinnen, die ein Porträt der 100-Jährigen und ihrer Schwestern machen wollen, spülen besonders bei Martha Erinnerungen an die Oberfläche, nachdem diese die jungen Frauen bei ihrem erotischen Liebesspiel beobachtet hat. Denn eine ähnliche Schlüssellochszene erlebte sie rund 50 Jahre zuvor: damals war es ihr Mann mit einem jungen Burschen, und es war der Beginn einer Horror-Ehe. Sexuell befriedigender verlief offenbar das Leben der Jüngsten. Als Nur-Geliebte ließ sich Betty einst demütigen – und noch immer kommuniziert sie kleinlaut („Ich schäme mich, dass es immer noch juckt und kribbelt“) mit dem überlebensgroßen Gemälde des gestrengen Gutsherrn.

Wir sind doch SchwesternFoto: Degeto, WDR / Bernd Spauke
Ein Jahrhundert, in dessen erster Hälfte die Männer für die Frauen noch der Nabel der Welt sind. Auch wenn Benjamin Sadlers Gutsherr aus heutiger Sicht ein unmöglicher Mensch ist, so zeigt der Film ihn zumindest ein Stück weit – in guter Melodram-Manier – auch als Opfer der Umstände, die er von klein auf gelernt hat zu akzeptieren.

Drehbuchautorin Heide Schwochow („Landgericht – Geschichte einer Familie“) und Regisseur Till Endemann („Das Programm“) ist mit „Wir sind doch Schwestern“ ein Generationen-Porträt gelungen, das von Minute zu Minute mehr in seinen Bann zieht. Sind in den ersten Einstellungen die ausgestellt ältlich und zittrig vorgetragenen Off-Texte noch gewöhnungsbedürftig, sind es danach die vom Leben zerfurchten Gesichter, die einen neugierig machen auf die Biographien dieser drei Frauen. Es ist eine große Freude, Jutta Speidel, Hildegard Schmahl & Gertrud Roll, diesen großen, auf sehr viel älter geschminkten Schauspielerdamen zuzuschauen. Ihre Maske lässt nur eine sparsame Mimik zu, die Gestik läuft im Zeitlupentempo ab, die Bewegungen besitzen häufig etwas Ungelenkes. „Ich habe über lange Zeit Studien betrieben, wie sich ein alter Mensch bewegt, wie er spricht, welche Eigenarten er im Gespräch besitzt“, sagt Speidel im Presseheft-Interview. Dabei stellte sie fest, „dass Alter individuell gar nicht festzumachen ist“. Und als Zuschauer hat man manchmal den Eindruck, als ob sich – besonders bei Schmahl – ein gewisser Verfremdungseffekt über das Spiel legen und man quasi dem Alter beim So-Sein zuschauen würde. Seltsam entrückt wirken einige Szenen: wenn die drei Schwestern zusammenliegen, wenn das Geburtstagskind einen Mann zu sich ins Bett bittet oder wenn jede der drei in ihre eigene Vergangenheit abtaucht.

„Unsere Erinnerungen sind unser ganzes Leben, wir sind, was sie sind“, meldet sich Bettys Stimme als erstes aus dem Off. „Die Vergangenheit ist immer auch Gegenwart; wir leben mit ihr und mit ihren Konsequenzen.“ Das sind Sätze, die zu Beginn des Films etwas unvermittelt und zu groß in den melodramatischen Raum gestellt werden. Die Eingangstotale eines Sonnenuntergangs über einem Getreidefeld des im Kinoformat gedrehten 95-Minüters verweist auf ein Gefühlsgenre jenseits konventioneller Rührstück-Ästhetik. Je mehr Geschichte ins Spiel kommt, umso mehr werden Gemeinplätze und große Emotionen ausgebremst. Am Ende stimmen die Eingangs(grund)sätze. Wie im klassischen Melodram bleibt die romantische Liebe zwar unerfüllt; filmisch aber hält sich „Wir sind doch Schwestern“ mit Gefühlsausbrüchen zurück. Hinzu kommt die Struktur der Erzählung: Aus den Wechselwirkungen zwischen den Erfahrungen der Heldinnen, aus den Verbindungen zwischen Gegenwart und Vergangenheit ergibt sich ein aus verschiedenen Perspektiven klar erzähltes Mosaik, das dem Kitsch keine Chance lässt. Regisseur Endemann findet dafür folgenden Vergleich: „Ich habe mir das immer vorgestellt wie bei einem Kaleidoskop, durch das der Zuschauer am Ende sieht und durch das die Seele dieses wunderbaren Porträts dreier starker Frauen mit all ihren Emotionen, Irrungen und Geheimnissen leuchtend sichtbar wird.“

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Fernsehfilm

ARD Degeto, WDR

Mit Jutta Speidel, Hildegard Schmahl, Gertrud Roll, Benjamin Sadler, Christiane Bärwald, Claudia Geisler-Bading, Caroline Ebner, Matthias Brenner, Anke Retzlaff, Victoria Schulz, Caroline Hellwig, Charlotte Banholzer

Kamera: Lars R. Liebold

Szenenbild: Thorsten Sabel

Kostüm: Lore Tesch

Schnitt: Jens Müller

Musik: Enis Rotthoff

Redaktion: Christine Strobl, Carolin Haasis (beide Degeto), Götz Bolten (WDR)

Produktionsfirma: UFA Fiction

Produktion: Nico Hofmann, Benjamin Benedict

Drehbuch: Heide Schwochow – nach dem Roman von Anne Gesthuysen

Regie: Till Endemann

Quote: 2,81 Mio. Zuschauer (8,9% MA)

EA: 22.12.2018 20:15 Uhr | ARD

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