Herbst liegt über der Landschaft. Der Wind fegt über den Westerwald. Der Forstwirt Oskar fährt seiner Wege oder zieht sich kartographierend an seinen Schreibtisch zurück. Zwischendurch versorgt er seinen todkranken Vater. Mehr hält das Leben nicht für ihn bereit. Das Einzige, was sich um ihn herum bewegt, sind die Windräder. Erst als ein achtjähriges Mädchen brutal ermordet wird und Oskars jüngerer Bruder unter Verdacht gerät, muss der passionierte Einsiedler endlich raus aus seinem Schneckenhaus.
Dieser Oskar ist eine Rolle wie geschaffen für Joachim Król. Er ist der Meister der kleinen Gesten und der perfekt platzierten Andeutung. Minimalistisch ist sein Ausdruck. Allenfalls mit wachen Augen und nach innen gewandtem Blick gibt er in dem ARD-Fernsehfilm „Windland“ Einblicke in das Seelenleben seiner vereinsamten Figur. Über die Lippen kommt ihr nur selten etwas Persönliches. Reduktion ist auch das Grundprinzip dieser Geschichte von der Annäherung zweier Brüder, die vor dem Hintergrund eines Kriminalfalls erzählt wird. Michael Schenk schrieb sie und er spielt auch Oskars Bruder Theo. Als junger Mann hat Theo ein minderjähriges Mädchen angefasst, wurde zu einer mehrjährigen Jugendstrafe verurteilt und ist nicht wieder in sein Heimatdorf zurückgekehrt. Zur Beerdigung des Vaters holt er es nach. Dem gereiften Mann schlagen erwartungsgemäß nur Vorurteile und Verachtung entgegen. Der Tod des Mädchens macht die Situation noch verfahrener.
Dem kollektiven Dorfgewissen bringt der stille Forstwirt anfangs – wie allem in seinem bescheidenen Leben – Verständnis entgegen. Der Bruder schafft es aber, den seltsam leblosen Helden aus der Reserve zu locken. Er provoziert ihn dazu, Farbe zu bekennen. Oskar wehrt sich in der Folge gegen die Anfeindungen, die sein Bruder im Dorf erfährt, und begegnet den hilflosen Verdächtigungen der Polizei mit eigenen Recherchen. Dabei kommt er auch der Mutter des getöteten Mädchens unerwartet nahe.
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„Windland“ ist kein Krimi. Die Mordgeschichte ist nur ein wirkungsvolles Mittel zum Zweck der Verbrüderung. Die Handlung lässt den Zuschauer, der stets sehr viel mehr weiß als die Figuren, kaum im Unklaren darüber, ob der Bruder etwas mit dem Mord zu tun hat oder nicht. Auch wenn Autor Schenk den Zuschauer gelegentlich auf eine falsche Spur lockt und er Króls geschiedenem Forstwirt eine Tochter ins Drehbuch geschrieben hat, so wird das für einen Krimi so typische Motiv der kindlichen Bedrohung nicht dramaturgisch ausgespielt. Wie die Geschichte so wird auch die Inszenierung von leisen Tönen getragen. Edward Berger („Bloch“) spielt atmosphärisch mit Nähe und Distanz und wechselt geschickt die Perspektiven. Je weniger die Menschen sprechen, umso mehr wissen die Bilder zu erzählen. Bergers Erzählstil ist von Reduktion geprägt. Ein Grund mehr, weshalb Joachim Król diesen Theo spielen musste.