Wilsberg – Schmeckt nach Mord

Lansink, Korittke, Jankowsky, Stefan Rogall, Philipp Osthus. Schleier des Nichtwissens

Foto: ZDF / Thomas Kost
Foto Tilmann P. Gangloff

Der 76. „Wilsberg“-Film ist gerade im Vergleich zu den raffinierten letzten Episoden nur Durchschnitt. Die Handlung ist zwar komplex und hat allerlei interessantes Personal zu bieten, aber der Ankündigung von Kommissar Overbeck, es braue sich was zusammen, werden sowohl der Plot als auch die solide Inszenierung nur bedingt gerecht. Dass „Schmeckt nach Mord“ (ZDF / Warner) kaum bleibende Erinnerungen hinterlässt, hat nicht zuletzt mit dem erzählerischen Schwerpunkt zu tun: Weil das Mordopfer der „Fleischkönig“ von Münster ist, geht es zwar um Fleischindustrie und Fleischersatz, aber das Thema bleibt viel zu sehr im Hintergrund; vordergründig geht es vor allem um Animositäten und Ambitionen. Reizvoller sind Overbecks philosophische Monologe, auch wenn der Diskurs zwischen Liberalisten und Utilitaristen nicht weiter vertieft wird, weil das den Rahmen sprengen würde.

Ein Fleischproduzent aus Westfalen, dessen Betrieb als einer der größten Wirtschaftsfaktoren der Gegend gilt: Da werden nicht nur die Menschen in Gelsenkirchen hellhörig. In der „Wilsberg“-Episode „Schmeckt nach Mord“ sind Ähnlichkeiten mit einem Unternehmer, der zwei Jahrzehnte die Geschicke von Schalke 04 bestimmt und mit seinem Stammwerk in Rheda-Wiedenbrück für allerlei Skandale gesorgt hat, jedoch rein zufällig. Tatsächlich ist die Krimifigur sogar weitgehend unbescholten, wie sich später zeigt; sofern diese Bezeichnung bei einem Fleischfabrikanten überhaupt angebracht ist. Allerdings gibt es einige unschöne Gerüchte über die Zustände in seinem Betrieb. Privatdetektiv Wilsberg (Leonard Lansink) soll dieser üblen Nachrede im Auftrag von Anwältin Tilker (Patricia Meeden) nachgehen, und selbstredend nimmt der Fall spätestens nach der Ermordung des „Fleischkönigs“ eine Größenordnung an, die weit über eine routinierte Nachforschung hinausgeht.

Wilsberg – Schmeckt nach MordFoto: ZDF / Thomas Kost
Lea Heitbrink (Anna Hausburg) erfährt von Anwältin Dr. Tessa Tilker (Patricia Meeden), dass sie nach dem Tod ihres Vaters Alleinerbin des Großunternehmens ist. Lea lebt vegetarisch und wollte mit der Firma ihres Vaters bisher nichts zu tun haben.

In den letzten Jahren waren die Beiträge zu der Reihe aus Münster immer am besten, wenn die Drehbücher dafür sorgten, dass der eifrige Oberkommissar Overbeck (Roland Jankowsky) bei seinen Ermittlungen fragwürdige Errungenschaften der Digitalisierung nutzte; oder wenn die Regisseure (bis auf zwei Ausnahmen, die lange zurückliegen, in der Tat ausschließlich Männer) ein Feuerwerk aus Anspielungen und Filmzitaten abbrannten. Gemessen daran ist Episode Nummer 76 ein gewöhnlicher Krimi: unterhaltsam zwar, auch solide in Umsetzung und Darstellung, doch im Rahmen von „Wilsberg“ bloß Durchschnitt. Regie führte Philipp Osthus, der die ersten vier Folgen der ausgezeichneten ARD-Freitagsreihe „Käthe und ich“ sowie zuletzt den sehenswerten ARD-Thriller „Der Beschützer“ mit Tobias Oertel gedreht hat. Sein „Wilsberg“-Debüt war die vorzügliche Folge „Gene lügen nicht“ (2022). Der Film brachte alles mit, was einen guten „Wilsberg“ ausmacht: eine Geschichte, die zunehmend komplexer wird, ein Wiedersehen mit Figuren aus früheren Episoden, ein großes, durch junge Gesichter ergänztes Ensemble, wunderbare Dialoge, viele kleine Überraschungen. Manches davon gibt es in „Schmeckt nach Mord“ zwar auch; aber in deutlich geringerer Dosis.

Umso komplexer ist die Handlung. Das Drehbuch von „Wilsberg“-Stammautor Stefan Rogall, der zuletzt zwei äußerst kurzweilige Geschichten im Agatha-Christie-Stil beigesteuert hat („Einer von uns“, 2021, und „Ungebetene Gäste“, 2022) hat eine Menge Personal und entsprechend viele Handlungsebenen zu bieten, aber Overbecks düsterer Ahnung „Hier braut sich was zusammen!“ wird es nicht gerecht. Zwar macht es wie immer Spaß, dem Ensemble zuzuschauen, zumal der Kommissar und der Detektiv auf gewohnt heitere Weise allerlei Nettigkeiten austauschen, aber eine bleibende Erinnerung hinterlässt der Film nicht. Das hat möglicherweise auch damit zu tun, dass das Hintergrundthema ebendort bleibt: Es ist dauernd die Rede von Fleischindustrie und Fleischersatz, aber vordergründig geht es um Animositäten und Ambitionen. Die interessanteste Beziehung ist die zwischen dem Fleischkönig, Thomas Heitbrink (Michael Schiller), und seiner Tochter Lea (Anna Hausburg): Sie liefert für ein vegetarisches Restaurant Essen aus und will mit dem Imperium des Vaters nichts zu tun haben. Dass sie kein Fleisch isst und außerdem lesbisch ist, konnte der Patriarch nicht mit seinem Weltbild vereinbaren; trotzdem hat er sie als seine Nachfolgerin vorgesehen.

Wilsberg – Schmeckt nach MordFoto: ZDF / Thomas Kost
Die Stimmung war auch schon mal besser: Wilsberg (Leonard Lansink) ist sich nicht sicher, ob er den Auftrag über Ermittlungen im Veterinäramt annehmen soll. Ekki (Oliver Korittke) hat in Hinblick auf die Gage für diesen Auftrag weniger Bedenken.

Ansonsten geht es vor allem um Beziehungen im Sinn des „Vitamin B“, exemplarisch verkörpert durch Hauptkommissarin Springer (Rita Russek), die mit dem verwaisten Posten der Kriminalrätin liebäugelt und sich auf eine Seilschaft mit ausgerechnet jenem einflussreichen Stadtrat (Stephan Schaad) einlässt, den Overbeck schließlich triumphierend als Heitbrinks Mörder präsentiert. Der Oberkommissar hat wieder mal die besten Dialoge, zumal er dank seiner Mitwirkung in einem philosophischen Zirkel seit einiger Zeit regelmäßig interessante Vorträge hält. Diesmal geht es um die von dem politischen Philosophen John Rawls in seinem Buch „A Theory of Justice“ beschriebene Ideologie des Egalitären Liberalismus. Wichtiger Bestandteil dieser Gerechtigkeitstheorie wie auch eines jeden Krimis ist der „Schleier des Nichtwissens“. Natürlich wird der Diskurs zwischen Rawls und seinen Gegenspielern, den Utilitaristen, nicht weiter vertieft, weil das den Rahmen sprengen würde, aber die entsprechende Oberflächlichkeit ist durchaus typisch für diesen Krimi.

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Reihe

ZDF

Mit Leonard Lansink, Oliver Korittke, Roland JankowskyLeonard Lansink, Oliver Korittke, Roland Jankowsky, Patricia Meeden, Rita Russek, Anna Hausburg, Stephan Schaad, Jaëla Probst, Shenja Lacher, Anya Fischer, Michael Schiller, Vittorio Alfieri

Kamera: Daniel Bussmann

Szenenbild: Oliver Mugalu

Kostüm: Sonia Bouabsa

Schnitt: Tatjana Schöps

Musik: Maurus Ronner.

Soundtrack: Stretch („Why Did You Do It?”), Falco („Der Kommissar”)

Redaktion: Martin R. Neumann, Florian Weber

Produktionsfirma: Warner Bros. ITVP Deutschland

Produktion: Anton Moho

Drehbuch: Stefan Rogall

Regie: Philipp Osthus

Quote: 7,17 Mio. Zuschauer (27,4% MA)

EA: 23.09.2022 10:00 Uhr | ZDF-Mediathek

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