Es mag eine zufällige Koinzidenz sein, aber seit die ARD mit ihren „Heiter bis tödlich“-Serien im Vorabendprogramm Schiffbruch in großem Stil erlitten hat, sind die ZDF-Samstagsreihen deutlich ernster geworden. Waren „Wilsberg“ & „Ein starkes Team“ früher meist Krimi-Komödien, beschränkt sich der Humor mittlerweile weitgehend auf gelegentliche Pointen. Auch der „Wilsberg“-Krimi „Kein Weg zurück“ ist eher tödlich als heiter. Alles andere hätte auch nicht zur Geschichte gepasst: Enno Fellner ist vor Jahren allein aufgrund von Indizien zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt worden, weil er angeblich in einem Hotelzimmer ein Zimmermädchen vergewaltigt hat. Aus seiner Sicht stellt sich das Ereignis anders dar: Er hat die Frau beim Klauen erwischt. Die Haftstrafe hat sein Leben ruiniert, sie dagegen hat es zur Mitbesitzerin eines offenbar florierenden Gasthofs gebracht. Ins Rollen kommt die Handlung, weil sich Fellner dem Ausflugslokal nicht nähern darf, was für ihn als Fahrer eines auf Ausflugsfahrten spezialisierten Busunternehmens einem Berufsverbot gleichkommt.
Schon allein die Besetzung dieser Rolle mit Bernd Michael Lade war eine ausgezeichnete Idee. Seit dem Ende des Leipziger „Tatort“-Duos Ehrlicher/Kain muss der Schauspieler meist Schurken verkörpern. Auch Fellner ist ein vierschrötiger, impulsiver Typ, dem nicht nur Anwältin Alex (Ina Paule Klink) eine Vergewaltigung zutraut. Der Mann hat zwar stets seine Unschuld beteuert, zumal ein entlastendes Gutachten beim Prozess nicht berücksichtigt worden ist, aber er hat eben auch eine bedrohliche Ausstrahlung. Von der zweiten guten Idee profitiert Oliver Korittke: Ekki Talkötter hat eine veritable Krise und sucht eine Therapeutin auf. Wie auch immer die Autoren Sönke Lars Neuwöhner & Natalia Geb diese Figur angelegt haben: Christina Hecke spielt sie ganz wunderbar. Die süffisante Psychologin triezt Ekki mit gezielten Provokationen und ermuntert ihn damit indirekt, im Fall Fellner eine entscheidende Rolle zu übernehmen. Als sich herausstellt, dass sie die Verfasserin des ignorierten Gutachtens war, ist der vermeintliche Nebenschauplatz endgültig Teil der zentralen Erzählung.
Foto: ZDF / Thomas Kost
Privatdetektiv Wilsberg (Leonard Lansink) wiederum kommt ins Spiel, weil Alex ihn aus Furcht vor Fellner als Bodyguard engagiert, und da er von Berufs wegen ein Gewohnheitsschwindler ist, durchschaut er rasch, dass das Opfer von einst unter Pseudologie leidet: Kamilla Marks (Katja Studt) ist eine zwanghafte Lügnerin. Während dieser Umstand noch einigermaßen überraschend ist, werden versierte Krimifans ein anderes Komplott womöglich bereits erahnen, noch bevor der Film diese Möglichkeit überhaupt andeutet. In solchen Fällen rächt es sich, vermeintlich unwichtige Nebenfiguren prominent zu besetzen; das nimmt der Geschichte einen entscheidenden Überraschungseffekt.
Davon abgesehen aber ist „Kein Weg zurück“ nicht zuletzt dank der ausgefeilten Dialoge ein sehenswerter Krimi. Die Inszenierung ist zwar bis auf einige wenige ungewöhnliche Einstellungen etwa aus dem Kofferraum eines Busses heraus oder durch ein Einschussloch in einer Scheibe unauffällig, aber Martin Enlen hat das Drehbuch im besten Sinne routiniert umgesetzt. Die Schauspielerführung ist ohnehin ausgezeichnet. Das feste Ensemble käme mittlerweile vermutlich auch ohne Regieanweisungen aus, doch auch die Gastdarsteller sind perfekt integriert. Die personelle Konstellation hat zudem zur Folge, dass sich Korittke dank der gemeinsamen Szenen mit Hecke und Lade stärker als zuletzt profilieren kann. Abgerundet wird die Gesamtqualität von „Wilsberg – Kein Weg zurück“ durch die beiläufige Art, mit der in vielen Szenen die Fragwürdigkeit männlicher Verhaltensweisen gegenüber Frauen thematisiert wird, sei es in den gedankenlos sexistischen Bemerkungen von Alex’ Chef oder in der Penetranz, mit der sich Kommissar Overbeck (Roland Jankowsky) an die hübsche Bedienung (Henriette Richter-Röhl) im Lokal heranmacht. (Text-Stand: 7.12.2014)