Ein Mann fährt mit einem Pick-up durch Wien – mit menschlicher Fracht auf der verschlossenen Ladefläche: Das Opfer ist gefesselt und geknebelt. Dann springt der Film ins „Dreimäderlhaus“ – sprich: zu den Emams, eine Familie, deren Wurzeln in Ägypten liegen: Afifa (Charlotte Schwab), eine ehemalige Konzertviolinistin, die wegen Gicht ihren Beruf aufgeben muss, trinkt, raucht und giftet herum. Tochter Fida (Melika Foroutan) ist engagierte Staatsanwältin und hat ein Kind mit dem verheirateten Michael Körner (Martin Niedermair), der zudem ihr Chef ist. Tochter Aline (Noelia Chirazi) pubertiert und verguckt sich in den radikalen Muslim Djamal Hemidi (Hassan Kello), der sie umgarnt, aber anderes im Schilde führt. Fida Emam wird mitten aus dem Gericht zu einem vermeintlichen Suizid gerufen. Ein Mann (der aus dem Pick-up), der später als Karl Burger identifiziert wird, baumelt von einer Brücke. Für den hemdsärmeligen Kommissar Glösl (Harald Windisch) ist klar, das war Mord. Er bittet die Staatsanwältin um die Obduktion der Leiche. Bald stellt sich heraus, die Tat steht in Zusammenhang mit einem radikal islamischen Verein um den Imam Ahmed Rahimsai (Stipe Erceg). Ausgerechnet für diesen hegt Fidas Tochter Aline mehr als nur Sympathien, sie trägt Kopftuch, hat den Koran unter dem Arm und merkt nicht, dass sie nur benutzt wird, um ihre Mutter aus dem Fall herauszukicken. Von einem Informanten, der bald schon ihr Verehrer wird, erfährt Fida, dass das Opfer bei der Österreichischen Finanzmarktaufsichtsbehörde (FMA) arbeitete und gegen eine Wiener Privatbank ermittelte, wegen des Verdachts auf Geldwäsche. Die Spur führt zu dem politisch weit rechts stehenden Vorstandschef der Bank, Stefan Meer (Harald Schrott), der zu einem grotesk hohen Preis über eine Briefkastenfirma ein Zinshaus in Wien erworben hat – und das von dem radikal islamischen Verein.
Autor Martin Ambrosch („Spuren des Bösen“, „Das finstere Tal“, „Maximilian – Das Spiel von Macht und Liebe“ ) geht in seinem Polit-Thriller in die Vollen: Es geht um harte Fakten, kühne Konstellationen und böse Intrigen. Ein ultrarechter Banker und ein radikaler Imam planen in einer unheiligen Allianz, Mitteleuropa nachhaltig zu destabilisieren. Politik und Religion als große gesellschaftliche Systeme wirken sich aber auch auf die Mikrostruktur Familie aus. Sie führen dort zu Konflikten, beeinflussen Familien- und Liebesbeziehungen. Die ägyptisch-wienerische Familie wird in die große politische Intrige hineingezogen, mittendrin eine unerschrockene, mit allerlei privaten Problemen kämpfende Staatsanwältin, die ihr Leben sowie ihre renitente Mutter und ihre Teenager-Tochter nicht in den Griff bekommt. Wien dient hier nicht als Stadt mit Schmäh und Tradition, sondern als Stadt der verschiedenen Kulturen, als moderne Metropole aus dem Blickwinkel jener Menschen, die nicht in Österreich geboren sind. Der Thriller spielt in einem brisanten Spannungsfeld aus Integration, Frauenemanzipation und Radikalisierung. Und er bietet eine spannende Verbrecherjagd vor der imposanten Kulisse der österreichischen Hauptstadt zwischen Hinterhofmoschee, Donauufer und Hauptbahnhof, der als Kulisse für den packenden Showdown dient – erstklassig eingefangen von Kameramann Martin Gschlacht.
Wunderbar rau und taff, aber auch weich und verletzlich, ist die Figur der Fida gezeichnet. Melika Foroutan („Begierde – Mord im Zeichen des Zen“), deutsche Schauspielerin mit iranischen Wurzeln, spielt die zwischen Beruf und Familie hin und her gerissene Frau, die tiefer und tiefer in ein Komplott hineingezogen und zum Spielball politisch extremer Männerfantasien wird, als unbestechliche Heldin mit Ecken, Kanten und Narben. Eine starke Leistung in einem nicht ganz so starken Film, dem es etwas an Tempo – die Geschichte kommt nur langsam in Gang – und auch an Strahlkraft mangelt. Barbara Eder, die zuletzt den wunderbar pointierten Wien-„Tatort – Her mit der Marie!“ inszeniert hat, gelingt es – wohl auch wegen der arg konstruierten Geschichte – zu wenig, mit Wiener Schmäh und Zynismus die allzu große Story ein bisschen herunterzubrechen. Die Zeichnung der drei Frauenfiguren aus drei Generationen, die alle ihren individuellen Sehnsüchten nachlaufen, die vielleicht falsch oder nie erreichbar sind, ist ihr aber glänzend gelungen: alt und verhärmt die eine, jugendlich-neugierig die andere, dazwischen streitbar und menschlich die zentrale Figur Fida. Eine Entdeckung ist zweifelsohne die junge, aus Syrien stammende Noelia Chirazi in ihrer ersten größeren Filmrolle. Sie spielt sehr frisch und glaubhaft ein Mädchen zwischen Erwachsenwerden, Rebellion und Naivität. Fazit: „Wiener Blut“ ist ein hochpolitischer Thriller, der sich brisanten gesellschaftlichen Problemen unserer Zeit – Integration, die Rolle der Frau, Generationskonflikte – widmet und in populistische Abgründe blicken lässt.