Wer wenn nicht wir

Lena Lauzemis, August Diehl, Andres Veiel. Liebe, Sex, Literatur & etwas Politik

Foto: SWR / Zero One / Markus Jans
Foto Thomas Gehringer

Das Private ist politisch? Hier ganz bestimmt. Andres Veiel erzählt in seinem Spielfilm-Debüt von der Beziehung zwischen Bernward Vesper und Gudrun Ensslin, von 1968, der Auseinandersetzung mit den Vätern und dem Abdriften in terroristische Gewalt. Ein konzentriertes, von Lena Lauzemis und August Diehl glänzend gespieltes Psychogramm zweier Persönlichkeiten. „Wer wenn nicht wir“ ist also eher ein Liebes- & Familiendrama als ein weiterer RAF-Film – und doch zugleich ein spannendes Stück Zeitgeschichte.

Bernward Vesper ist Anfang der 1960er Jahre ein von der Literatur beseelter Germanistik-Student in Tübingen. „Ich schreibe so, wie wenn man mit der Faust in die Fresse der Gesellschaft haut“, erklärt er zwei Kommilitoninnen im Zug. Eine der beiden ist Gudrun Ensslin, mit der Vesper wenig später einen eigenen Verlag gründet. Er will ein Buch seines Vaters, des Blut-und-Boden-Dichters Will Vesper, neu herausbringen. Vesper und Ensslin suchen sich eine gemeinsame Wohnung. Es herrscht Aufbruchstimmung. Schreibmaschinen-Geklapper, Zigaretten-Qualm, Liebe, Sex und Literatur. Politik und die damals noch stark verdrängte deutsche Vergangenheit sickern erst nach und nach in diesen Film ein.

Der Dokumentarfilmer Andres Veiel hat sich bereits in „Black Box BRD“ (2001) mit dem RAF-Terrorismus auseinandergesetzt. In seinem Spielfilm-Debüt greift er nun auf eines der wichtigsten Zeugnisse der 68er-Generation zurück, den autobiographischen Roman „Die Reise“ von Bernward Vesper, der posthum, sechs Jahre nach Vespers Selbstmord, im Jahr 1977 erschienen ist. Und der bereits 1986 von Markus Imhoof erstmals verfilmt worden war. Zugleich bezieht sich Veiel auf Gerd Koenens Buch „Vesper, Ensslin, Baader – Urszenen des deutschen Terrorismus“ (2003), in dem das „scheinbar schon oft Gesagte neu und anders dargestellt“ werde. Und so will auch der mehrfache Grimme-Preisträger den Aufbruch dieser Generation anders erzählen – „weg von den bekannten Bilderschleifen und hin zu den persönlichen, politischen, den historischen, biografischen und sozialen Treibsätzen“.

Als buntes, schillerndes Panorama einer bewegten Zeit taugt Veiels Ansatz weniger. Der Autor und Regisseur sucht nach Ursachen und stellt die persönliche Entwicklung der Hauptfiguren Vesper und Ensslin ins Zentrum. Insofern wirkt seine chronologische Erzählweise vielleicht konventionell, aber konsequent und einleuchtend. Mit einigen dokumentarischen Einschüben wird das Geschehen zeitlich verortet. Hier kommen dann doch „bekannte Bilderschleifen“ wie die Kennedy-Rede in Berlin und die Proteste gegen den Schah-Besuch zum Einsatz, begleitet von zeitgenössischen Hits wie „Keep on Running“ oder „Summer in the City“. Aber auf die üblichen Bilder von der RAF, von Ensslin und Andreas Baader etwa, verzichtet der Regisseur.

Wer wenn nicht wirFoto: SWR / Zero One / Markus Jans
Die Politik des Privaten. Vesper (August Diehl), Ensslin (Laura Lauzemis), Baader (Alexander Fehling), Kunzelmann (Martin Butzke) in Veiels „Wer wenn nicht wir“

Veiel arbeitet mit einem erstklassigen Ensemble und bringt dessen Qualität auch zur Geltung. Lena Lauzemis brilliert als eine Gudrun Ensslin, die mehr Facetten hat, als ihr üblicherweise zugeschrieben werden. Die zornige Pfarrerstochter, die Frau, die der Entschlossenheit und dem pöbelnden Charme eines Andreas Baader verfällt, ist ebenso eine Wankelmütige, eine Mutter, die sich keineswegs kühlen Herzens von ihrem Kind trennt, um in den Untergrund abzutauchen. Lauzemis ist als Ensslin verführerisch, verletzlich, selbstzerstörerisch, zunehmend hart und ätzend, doch ihre Darstellung bewahrt Widersprüchlichkeiten und macht aus dieser Figur der Zeitgeschichte keinen simplen Neu-Aufguss.

August Diehl hat es als Bernward Vesper leichter, ist freier von vermeintlichen historischen Gewissheiten. Er ist der lebenshungrige Student und Jung-Verleger, ein intellektuell naiver Hansdampf, der die wahre Rolle seines Vaters im Nationalsozialismus nicht erkennen will. Dann der Umzug mit Ensslin nach Berlin. Scharfe intellektuelle Debatten in verräucherten Zimmern (sehr schönes Accessoire: der Zigaretten-Igel), privates Kinderglück, das sich überschneidet mit zunehmender Radikalisierung. „Reden ohne Handeln geht nicht“, sagt Gudrun Ensslin. Im Streit um die richtigen Mittel bleibt Vesper jedoch ein Mann der Bücher, der sich um den gemeinsamen Sohn Felix kümmert, der auf Baader eifersüchtig ist und an der Trennung von Ensslin leidet, der sich unter Drogen-Einfluss in seine Innenwelt zurückzieht. Diehl gibt Vesper etwas Fiebriges mit – und spiegelt damit dezent die halluzinatorische Sprache, die Satzfetzen, die das Roman-Fragment „Die Reise“ über weite Teile prägen.

Bernward Vespers literarisch verarbeiteter Zorn auf den autoritären Vater, das Leiden an einer von Strenge und Disziplin geprägten Kindheit findet sich in diesem Film irritierender Weise nicht wieder. Dafür erzählt Veiel, wie schwer es den Kindern der Nachkriegszeit fiel, sich von ihren Vätern (und Müttern) zu lösen. Viele im Film scheinen zu wissen, welche Bedeutung Will Vespers Bücher in der Nazizeit hatten oder dass er die Bücherverbrennung mitorganisiert hatte, nur dessen Sohn will dies nicht wahrhaben – während dagegen Gudrun Ensslin häufig und lautstark die vermeintliche Feigheit ihres weitaus weniger belasteten Vaters anprangert.

Ganz stark, wie Veiel mit wenigen, aber eindrucksvollen Szenen die ebenfalls ausgezeichnet besetzten Nebenfiguren charakterisiert. Will Vesper etwa, den der massige Thomas Thieme in der Eingangsszene wie einen harmlosen Märchenonkel spielt. Sanft erklärt er seinem Sohn, warum er dessen geliebte Katze („die Juden unter den Tieren“) erschoss. So sanft, dass dies erst recht Gänsehaut erzeugt. Glänzend auch Imogen Kogge als jede Berührung fürchtende Mutter von Bernward Vesper. Susanne Lothar ist hier in einer ihrer letzten Rollen als Ensslin-Mutter zu sehen und auch am Rande auffällig und präsent, außerdem ragt Sebastian Blomberg als spitzzüngiger Schriftsteller Klaus Roehler heraus. (Text-Stand: 13.6.2014)

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Kinofilm

ARD Degeto, SWR, WDR

Mit August Diehl, Lena Lauzemis, Alexander Fehling, Thomas Thieme, Imogen Kogge, Michael Wittenborn, Susanne Lothar, Sebastian Blomberg, Benjamin Sadler

Kamera: Judith Kaufmann

Schnitt: Hansjörg Weissbrich

Soundtrack: u.a. Patsy Cline („I Fall to Pieces“), Spencer Davis Group („Keep On Running“), Python Lee Jackson feat. Rod Stewart („In a Broken Dream“), Billie Holiday („Don’t Explain“), Booker T & The MGs („Green Onions“)

Produktionsfirma: zero one film

Drehbuch: Andres Veiel

Regie: Andres Veiel

EA: 17.07.2014 22:45 Uhr | ARD

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