Weingut Wader – Die Erbschaft / Das Familiengeheimnis

Richter-Röhl, Malton, von Pufendorf, Hartig, Feiler/Kock, Wigand. Diese Waders

Foto Rainer Tittelbach

Der Plot der neuen ARD-Reihe „Weingut Wader“ (Degeto / U5 Filmproduktion) lässt eine ebenso weinselige wie seifige Familiensaga befürchten. Doch vom ersten Bild an hinterlässt die Auftaktepisode „Die Erbschaft“ einen völlig anderen Eindruck und zeigt einmal mehr, dass es ganz besonders im Unterhaltungsfach auf das Wie ankommt. Der Look ist vorzüglich, was vor allem mit der realistischen Lichtsetzung, dem geschmackvollen Szenenbild und einem süffigen Erzählfluss zu tun hat. Ein noch größererer Pluspunkt: Die Handlung geht von den Charakteren aus. Es sind Menschen wie Du und ich, die sehr unterschiedliche, oft aus der Not geborene Bedürfnisse haben und dem anderen zumeist nichts Schlimmes wollen. Die Familieninteraktion besitzt eine Dynamik, die so gar nichts mit Gut/Böse-Dramaturgie und pfälzischem Intrigantenstadl zu tun hat, obgleich „Das Familiengeheimnis“ ein bisschen ins Fahrwasser herkömmlicher die Lebenslügen der Vergangenheit aufdeckenden Familien-Seifenopern gerät. Sieht man’s aber im Genre: ein Highlight der ARD-Freitagsreihen!

Die Sterne-Vergabe im Detail: Die Auftaktepisode, „Die Erbschaft“ hat sich 4,5 Sterne verdient. „Das Familiengeheimnis“ kommt gerade noch auf vier Sterne.

Anne (Henriette Richter-Röhl), eine Pfälzer Winzerin aus Leidenschaft, muss um ihren Lebenstraum bangen. Sie sollte später einmal den traditionsreichen Familienbetrieb, das Weingut Wader, übernehmen, doch der plötzliche Tod ihres Vaters Albert bringt alles durcheinander. Denn unter dem Testament fehlt die Unterschrift. Eine Nachlässigkeit, die ungewöhnlich ist für den Patriarchen. Hatte sein Zögern einen Grund? Jetzt jedenfalls steht Anne nur ein Viertel des Weinguts zu, und ob sich ihr Bruder Matthias (Max von Pufendorf), der dabei ist, sein Restaurant in die Pleite zu treiben, und ihre etwas planlose Mutter Käthe (Leslie Malton), die den Ärger mit dem Gut satt hat, zustimmen werden, sie als Geschäftsführerin einzusetzen und alles weiterlaufen zu lassen wie bisher, ist fraglich. Auch weiß Anne nicht, was von ihrem Onkel Bruno (Jürgen Heinrich), der zwar den Hilfsbereiten gibt, letztlich zu erwarten ist; der clevere Geschäftsmann hat in ein anderes Weingut eingeheiratet, hat aber noch immer nicht verwunden, dass einst seinem Bruder Albert der Hof vermacht wurde. Die Chancen, ihn sich zurückzuholen, stehen besser denn je – und dann macht Bruno Matthias und Käthe auch noch ein Angebot, das die beiden eigentlich nicht ausschlagen können. Die pragmatische Anne hält deshalb schon mal Ausschau nach einem Alternativjob. Sogar ihre hochsensible, blinde Tochter Tori (Caroline Hartig) könnte sich damit anfreunden, ihr Elternhaus zu verlassen – ihrer Mutter zuliebe. Und es gibt noch zwei, auf die Anne zählen kann: ihre beste Freundin Corinna (Ines Lutz) und deren Bruder Valentin (Sebastian Fräsdorf), Brunos Kellermeister, stets gut gelaunt und mit zwei helfenden Händen.

Weingut Wader – Die Erbschaft / Das FamiliengeheimnisFoto: Degeto / Johannes Krieg
Im Weinkeller: Erlesene Schauspieler für den ARD-Freitagstermin (Leslie Malton & Max von Pufendorf) – und visuell bietet „Weingut Wader“ einen langen Abgang.

Der Plot vom ersten Teil der neuen ARD-Degeto-Reihe „Weingut Wader“ klingt wenig vielversprechend und lässt eine ebenso weinselige wie seifige Familiensaga befürchten. Doch vom ersten Bild an hinterlässt die Auftaktepisode „Die Erbschaft“ einen völlig anderen Eindruck und zeigt einmal mehr, dass es ganz besonders im Unterhaltungsfach auf das Wie ankommt. Schon der Vorspann spielt mit dem Verwandtschaftsverhältnis von edlem Tropfen, erlesenem Design und überzeugenden Schauspielern, indem die Namen der Hauptdarsteller auf stilvollen Weinflaschenetiketts erscheinen. Der Look – auch der zweiten Episode „Das Familiengeheimnis“ – bleibt durchweg mehr als ansehnlich, da Regisseur Tomy Wigand („Die Büffel sind los“) und der 33-jährige Kameramann Dominik Berg („Tod einer Kadettin“) der Geschichte eine Bildästhetik mitgeben, die auf das im ARD-Freitagsfilm und besonders im ZDF-„Herzkino“ so beliebte Helligkeitsdiktum, auf knallige Farben und Postkartenglanz verzichten; eher erinnert die Bildgestaltung an geschmackvolle Werbefotografie. Die Setzung des Lichts ist realistisch: Wenn die Herbstsonne scheint, schimmert es warm und golden, und wenn es in den Waderschen Gutshof oder in den Weinkeller geht, dominiert das Dunkel, von dem sich die dezent ausgeleuchteten Figuren abheben. Die Kraft der Bilder geht aber über die ästhetisch-sinnliche Wirkung hinaus und legt sich alles entscheidend auf den süffigen Erzählfluss. Ein Schnitt zur rechten Zeit sorgt nicht nur für einen luftigen visuellen Rhythmus, sondern lässt viele Situationen und Szenen in einer angenehmen Offenheit ausschwingen, wodurch dem Zuschauer ermöglicht wird, das Angedeutete weiterzudenken. Dazu gehört auch, dass die Konflikte nur selten vor der Kamera ausagiert werden: Dramatische Donnerwetter bleiben weitgehend ausgespart. Das passt zu den vier tragenden Wader-Figuren und charakterisiert ihren Umgang miteinander. Eigentlich will man sich nichts Böses.

Und das ist ein weiterer Unterschied zu künstlich dramatisierten und genrehaft trivialen „Guldenburgs“-liken Familiengeschichten des 2018er Jahrgangs wie „Gestüt Hochstetten“ oder „Daheim in den Bergen“: In „Weingut Wader“ geht die Handlung stets von den Charakteren aus. Es sind Menschen wie Du und ich, die sehr unterschiedliche, oft aus der Not geborene Bedürfnisse haben, aber möglichst einem Streit aus dem Weg gehen möchten, weil sie den anderen lieben und nicht verletzen wollen. „Sie erscheint mir einfach echt“, sagt Hauptdarstellerin Henriette Richter-Röhl über Anne – und das ist genau der Eindruck, den man auch als Zuschauer von dieser liebenswerten Figur bekommt, die Kontroversen und Konflikte lieber mit sich selbst ausmacht. Und für das Bild der Familie, das die neue ARD-Freitagsreihe zeichnet, gilt Ähnliches: „Die Familie wächst an den Herausforderungen, scheitert auch und aus diesem Hoch und Runter wächst etwas Neues“, so Leslie Malton, und deutet damit die Dynamik der Familieninteraktion an, die so gar nichts mit Gut/Böse-Dramaturgie und pfälzischem Intrigantenstadl zu tun hat. Hat sich die Filmsprache von Fernsehfilmen in den letzten 30 Jahren auch erheblich verändert, so erinnert der alltagsnahe und im ersten Teil fast realistische Erzählansatz, der seine Spannung vornehmlich aus der Familienkonstellation entwickelt, an den Fernsehklassiker „Diese Drombuschs“.

Weingut Wader – Die Erbschaft / Das FamiliengeheimnisFoto: Degeto / Johannes Krieg
„Willst du behaupten, dass ich einen Betrüger eingestellt habe.“ Unregelmäßigkeiten im Weinkeller. Aber notfalls kann man die Probleme ja wegbechern…

Leslie Maltons Mutter ist psychologisch die stimmigste Figur der neuen Degeto-Freitagsreihe. Diese unsichere, in ihrem Innersten sehr ängstliche Frau, die an Sachproblemen zielsicher vorbeidenkt, alles nur auf sich bezieht und überall Unterstellungen und Kritik an sich wittert („Willst du etwa behaupten, dass ich einen Betrüger eingestellt habe“), spielt die US-Amerikanerin gewohnt markant, aber kein bisschen zu laut oder penetrant. Und man kann ihrer Figur auch nicht lange böse sein; sie ist, wie sie ist. Auch Max von Pufendorfs still gescheiterter Matthias ist zu schwach, um großartig die Muskeln spielen zu lassen, klug genug für ein paar beiläufige und gewitzte Dialogzeilen ist dieser aber auf jeden Fall. Richter-Röhls Anne ist der Anker dieses zwischendurch in Turbulenzen geratenen Familienschiffs: vernünftig, zuverlässig, zupackend, aber zugleich auch emotional (kompetent) und unkonventionell – eine ideale Heldin für einen modernen Unterhaltungsfilm für die vornehmlich weibliche Zielgruppe. Auch ihre Tochter Tori ist eine vielschichtige und empfindsame Figur, deren Blindheit weniger mitleidsheischend als vielmehr romantisierend und sensibilisierend eingesetzt wird: Sie ist siebzehn, entdeckt die Liebe, den Schmerz – und sie macht Musik. Zunächst poppig mit Band, später dann als Singer-Songwriterin, inmitten der Natur, mit Freund und Klampfe liefert sie einen Großteil des Soundtracks zum Film und sorgt für poetische, leicht melodramatische Stimmungen, die das Geschehen locker kommentieren.

„Die Erbschaft“, Episode 1, besitzt ästhetisch vielleicht die aufregenderen Momente (die sexuell aufgeladene Weinkeller-Schlacht, Toris Abhören einer alten Cassette mit ihrem ver-storbenen Großvater in ihrem stimmigen Teenager-Giebelzimmer), außerdem zieht des Öfteren die Kamera Michael-Ballhaus-like ihre Kreise um das Personal oder sie tanzt geradezu die Landschaft aus. Was den Look insgesamt und die Vitalität der Charaktere angeht, unterscheiden sich die beiden ersten Episoden von „Weingut Wader“ wenig. Narrativ aber gerät „Das Familiengeheimnis“, Episode 2, ein bisschen stärker ins Fahrwasser herkömmlicher die Lebenslügen der Vergangenheit aufdeckenden Premium-Familien-Seifenopern: Da flattert nach einem Brand auf dem Gutshof, dessen Ursache Brandstiftung gewesen sein könnte, der Heldin ein folgenschwerer Brief vor die Füße, welcher so manche Figur im Mark treffen wird. Auch dramaturgisch setzen die Drehbuchautorinnen Bernadette Feiler und Ania Kock auf Standardmuster wie „Was kann passieren, wenn man den richtigen Zeitpunkt (für eine Beichte) verpasst“ oder „Wie du mir, so ich dir“. Im Detail werden die Geschichten weiterhin nicht überdramatisiert, aber im Großen und Ganzen werden die Karten in Sachen Liebe, Beruf und Familie neu gemischt. Die Doppelung einiger Motive als zeitlose Liebesphänomene (Partnerwechsel, Seitensprünge) rückt zwar die zweite Episode in die Nähe trivialer Narration, sie nimmt diesen Themen aber auch etwas von der tragischen Schwere der Fehltritte: So ein sexueller Ausrutscher kann jedem passieren – c’est la vie! Man kann es so sagen: Die Konflikte in „Weingut Wader“ sind manchmal banal, so wie das Leben eben manchmal ist, aber trivial im ästhetischen Sinne ist die Reihe nicht. (Text-Stand: 11.10.2018)

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Fernsehfilm

ARD Degeto

Mit Henriette Richter-Röhl, Leslie Malton, Max von Pufendorf, Caroline Hartig, Jürgen Heinrich, Sebastian Fräsdorf, Ines Lutz, Kyra Sophia Kahre, Judith von Radetzky, Adnan Maral, Tobias van Dieken

Kamera: Dominik Berg

Szenenbild: Gudrun Roscher

Kostüm: Andreas Jancyk

Schnitt: Christian Nauhammer

Musik: Rainer Bartesch Diane Wurzschmitt, Stefan Kruppa (beide Degeto)

Produktionsfirma: U5 Filmproduktion

Produktion: Karl-Eberhard Schäfer, Norbert Walter

Drehbuch: Bernadette Feiler, Ania Kock

Regie: Tomy Wigand

Quote: (1): 4 Mio. Zuschauer (13,9% MA); (2): 4,47 Mio. (15,1% MA); Wh. (1): 3,16 Mio. (11,9% MA); Wh. (2): 3,44 Mio. (13,3% MA)

EA: 02.11.2018 20:15 Uhr | ARD

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