Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen

Schultz, Dychauk, Lauterbach, Giordano, Wiemann. Initiation in Sachen Mystery

Foto: RB / Jo Molitaris
Foto Rainer Tittelbach

„Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen“ steht in der Tradition der dunklen Gebrüder-Grimm-Märchen. Das Motiv der Furcht wird in verschiedenen Varianten durchgespielt; der Subtext besitzt dadurch eine große psychologische und philosophische Tiefe. Das Sichfürchten als Überlebensstrategie, aber auch als Quelle für das Gefühl der Liebe, das ist die Grundidee auch der ARD-Verfilmung. Die Vielschichtigkeit des Stoffs setzt sich in der angemessenen Modernisierung fort: insbesondere die Geschlechter- und Generationenbilder, die der Film zeichnet, umschiffen die altbackenen Klischees und besitzen einen heutigen Ton. Vor allem auch inszenatorisch ist der Film von Tobias Wiemann auf der Höhe der Zeit.

Dem Töpfersohn Michel kann niemand etwas anhaben. Er fürchtet sich einfach nicht. Aber nur wer sich fürchtet, der könne die Gefahren, die überall auf einen lauern, erkennen, erklärt ihm sein Vater – und erlaubt ihm, in die Welt zu ziehen, damit er das Gruseln lerne. Doch anstatt das Schreckliche zu fürchten, verguckt sich der junge Mann in Prinzessin Elisabeth, die nicht nur gut ist mit Pfeil und Bogen, sondern auch ein freches Mundwerk hat und die ihm nach ihrer ersten Begegnung eine Prophezeiung macht: „Ich bin dein schlimmster Alptraum.“ Für Michel sind diese Worte keine Drohung. Im Gegenteil. Wird die Liebe zur Prinzessin ihn eines Tages erlösen vom Fluch des Sich-nicht-fürchten-Könnens? Wird er am Ende durch die Angst, diesen geliebten Menschen zu verlieren, seine Indifferenz gegenüber der Gefahr verlieren? Bis dahin aber ist es durchaus hilfreich, dass der Töpfersohn sich vor nichts und niemandem fürchtet. So kann er selbstsicher das Schloss seines Schwiegervaters in spe betreten, in dem sich böse Geister eingenistet haben, und es vielleicht sogar zurückerobern.

Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernenFoto: RB / Jo Molitaris
Isolda Dychauk spielt eine eine Prinzessin von Format: frech, mitfühlend, anmutig.

„Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen“ steht in der Tradition der dunklen Märchen der Gebrüder Grimm. Das Motiv der Furcht wird in verschiedenen Variationen durchgespielt; der Subtext besitzt dadurch eine für das Genre verhältnismäßig große psychologische und philosophische Tiefe. Das Sichfürchten als Überlebensstrategie, aber auch als Quelle für das Gefühl der Liebe, das ist die Grundidee auch der ARD-Verfilmung von Tobias Wiemann nach dem Drehbuch von Mario Giordano. Die dramaturgische Vielschichtigkeit des Stoffs setzt sich in der angemessenen Modernisierung fort: insbesondere die Geschlechter- und Generationenbilder, die der Film zeichnet, umschiffen die altbackenen Klischees und treffen den Ton der heutigen Zeit. „Halt die Klappe, ich bin dran!“, fährt die Prinzessin den Mann ihres Herzens an – und auch mit ihrem Vater, dem König, springt sie ähnlich forsch um. Ein typischer Fall von Girlie-Power. Isolda Dychauk („Die Borgias“) gibt ihrer blaublütigen Elisabeth eine besondere Note: burschikos und rotzfrech, feinfühlig und anmutig zugleich.

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Verflucht! Im Spukschloss gibt Tiamat (Anna Thalbach) dem furchtlosen Töpfersohn Michel (Tim Oliver Schultz) ein Rätsel auf.

Tim Oliver Schultz über seinen Michel & die Moral:
„Dem Fürchten geht das Empfinden voraus, etwas verlieren zu können. Wer nichts mehr zu verlieren hat, hat nichts mehr, wofür es sich zu leben lohnt… Michel indes kann ganz viel Glück empfinden. Er ist eine lustige, sehr heitere Figur, die das Glück benötigt, ‚in Liebe zu sein’, um sich zu fürchten.“

Zeitgemäß ist aber auch die Inszenierung. Ein Film über das Fürchten, auch wenn es ein Weihnachtsmärchen ist, benötigt eine gewisse Dunkelheit und Düsternis, und ein solcher Film benötigt Special Effects, die nicht lächerlich wirken. All das gelingt Jungfilmer Wiemann („Großstadtklein“) und allen Gewerken ganz vorzüglich. Die Auflösung ist kleinteilig, die Geisterwelt hat einen eigenen, sehr atmosphärischen Look, der Score lautmalt mal wie bei Edgar Wallace, mal mit Popmusik-Anklängen – und der Held singt sein Liedchen als moderaten HipHop. „Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen“ ist das sehenswerteste ARD-Märchen 2014; es dürfte funktionieren als eine Art Initiationsritus für Kinder, um bald gewappnet zu sein für die Mystery-Fabeln und Gruselstories, mit denen das Mainstream-Kino heute lockt. Kinder unter sechs Jahren sollten den Film besser mit ihren Eltern schauen.

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Reihe

MDR, NDR, RB

Mit Tim Oliver Schultz, Isolda Dychauk, Heiner Lauterbach, Milan Peschel, Jochen Nickel, Rick Kavanian, Michael Kessler, Tim Wilde, Anna Thalbach

Kamera: Jo Molitoris

Szenenbild: Florian Kaposi

Kostüm: Anna Scholich

Schnitt: Friederike Weymar

Musik: Tobias Kuhn

Produktionsfirma: Bremedia

Drehbuch: Mario Giordano

Regie: Tobias Wiemann

EA: 26.12.2014 15:15 Uhr | ARD

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