Am 26. August 1972 werden die Olympischen Spiele in München eröffnet. Marc Spitz, Heide Rosendahl, die 16-jährige Ulrike Meyfarth – Erinnerungen werden wach. Angenehme Erinnerungen. Ein friedliches Fest der Freiheit und Völkerverständigung sollten diese Sommerspiele werden – und es sah auch so aus, als ob das der Bundesrepublik, die der ganzen Welt ein Kontrastprogramm zur Berliner Propagandashow für Hitler-Deutschland von 1936 präsentieren wollte, überzeugend gelingen würde. Offenheit und Frische statt Pathos und Polizeipräsenz. Internationale Bedrohungsszenarien lagen zwar als Planspiele vor – wanderten aber in die Schublade. Und so begegnen deutsche Politik und Sicherheitskräfte dem palästinensischen Terrorangriff auf die israelische Mannschaft in der Nacht des 5. September mit großer Hilflosigkeit. Dieser Anschlag mit dem finalen Blutbad auf dem Flugplatz Fürstenfeldbruck wird als Wendepunkt der deutschen Geschichte bezeichnet: Es waren 21 Stunden, die die Republik veränderten. Zerstört wurde der Traum vom friedlichen, sicheren Deutschland. Es war indirekt auch die Geburtsstunde der GSG 9.
40 Jahre ist das schon wieder her! Nicht nur mit dem realen Schrecken, sondern auch mit einem Hauch von nostalgischer Stimmung versuchen die Autoren Marc Brasse und Florian Huber, den Zuschauer zu „ködern“. Dieser Gegensatz, hier das Wunschdenken, dort die brutale Realität, hier der Traum vom friedlichen Fest, dort die Terror-Gruppe „Schwarzer September“, ist der dramaturgische Kniff des abendfüllenden Doku-Dramas. Es ist interessant, wie die (kindliche) Erinnerung die beiden Ebenen über die Jahrzehnte voneinander abgespalten hat. Beide Ereignisse sind (mir) präsent, aber nicht unbedingt als Ereignisse eines Sommers. Insofern ist es (nicht allein aus Gründen der Fallhöhe) nicht ungeschickt, in „Vom Traum zum Terror – München 72“ mit den beiden Kontrapunkten zu arbeiten. Der Film entwickelt die Chronologie der Ereignisse aus der Sicht von Sportlern, Funktionären, Polizisten und Politikern, die die dramatischen Stunden selbst miterlebt haben. Brasse und Huber haben eine Fülle an Material gesammelt, außerdem viele Spielszenen nachgestellt – und daraus eine Montage gebaut, die die „Katastrophe“ vielstimmig rekonstruiert. „Zum ersten Mal äußern sich alle, die entscheidende Rollen an diesem Tag gespielt haben“, betont Brasse.
Der Mann, der diesem Film das entscheidende Glaubwürdigkeitssiegel verleiht, ist Hans-Dietrich Genscher. Jahrelang war der damalige Innen- und spätere Außenminister nicht bereit, über die Vorfälle im September 1972 zu sprechen – über die Arbeit des Krisenstabs, über das Zusammentreffen mit dem Anführer des palästinensischen Terrorkommandos, über sein Abschiedstelefonat mit seiner Frau, nachdem er entschieden hatte, sich selbst im Austausch als Geisel anzubieten. Es sind die Momente, in denen mehr als nur Gefühlslagen – aus der Distanz von 40 Jahren – reflektiert werden. Man spürt, dass sich von diesem Ereignis etwas „eingeschrieben“ hat in den mittlerweile alten Mann (oder man will es zumindest annehmen). Eine solche Empathie wiegt schwerer für die angemessene Rezeption dieses Doku-Dramas, ist zumindest ebenso wichtig wie die detailgenaue Analyse der Vorgänge oder die realitätsgetreue Abbildung des Geschehens. Bei den anderen Zeitzeugen sind es vornehmlich die Schauspieler, die die emotionale Ebene bedienen. Der angemessenen Wirkung im Weg stehen da allerdings mitunter die kleinen Verkleidungs-„Ausrutscher“ bei Maske und Frisur (allen voran Stephan Luca), die den Fiktion-Laien Brasse und Huber zeigen müssten, dass zwanghafte Detailtreue den Gesamteindruck auch stören kann. Trotz solcher Inszenierungsmängel stellt man am Ende als Kritiker den „Sinn“ eines solchen Rekonstruktionsdramas weniger in Frage, als man es im März 2012 bei der reinen Fiktion-Bearbeitung (ohne erkennbaren Erkenntniswert), „München 72 – Das Attentat“, tun musste.