Karla Lohmann provoziert mal wieder ihren Vater. Die knapp 20-Jährige reist nach Kapstadt, um sich dort für ein humanitäres Kinderprojekt zu engagieren. „Ich werde da mal das Karma unserer Familie aufbessern – soweit das noch geht.“ Sie weiß offenbar mehr von den perfiden Planspielen ihres Vaters als ihre Mutter Judith. Claas Lohmann, überehrgeiziger Vorstandsmanager eines Wasser- und Energiekonzerns, hatte vor Jahren ein Szenario entworfen, mit dem man die südafrikanische Trinkwasserversorgung in die Hände der GERAG hätte spielen können – inklusive mutmaßlicher Verseuchung mit anschließender Kontaminierung des Sees. Doch der Konzern zog die Reißleine. Jetzt scheint das Schreckensszenario Wirklichkeit zu werden. Ein Langzeitplan vom Strategen Lohmann? Oder kopiert hier ein Anderer den umstrittenen Plan? Weil sich Karla in den Aktivisten Maduna verliebt, wird die Familie in die brisanten Ereignisse um den vergifteten Masulu-See hineingezogen. Maduna nimmt eine Wasserprobe, fährt einen Polizisten an und wird von der Polizei gesucht. Karla soll das Wasser untersuchen. Sie kommt nicht mehr dazu. Während des Besuchs ihrer Mutter in Kapstadt wird die junge Frau entführt. Das ist kein Planspiel mehr. Karla wird gefoltert. Judith schlägt sich wacker in der Fremde. Ihr Mann Claas, der Macher, kommt ihr zu Hilfe. Doch ihr Zweifel wächst, ob sie beide am selben Strang ziehen.
Foto: ZDF / Guderjahn
Am Anfang war das Thema: Trinkwasser als lebensnotwendiger Rohstoff, als knappe Ressource, mit der sich Profit machen lässt. Ein gutes Thema, verbrieft aus berufenem Munde: „Der Wasserdurst der Welt wird wahrscheinlich zu einem der drängendsten Rohstoffprobleme des 21. Jahrhunderts werden“, so das World Resources Institute. Der Ex-UN-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali prognostizierte gar: „Die Kriege des 21. Jahrhunderts werden um Wasser und nicht mehr um Öl geführt werden.“ Nur 2,5 Prozent des Wassers auf der Erde ist Süßwasser. In Krisengebieten schwinden diese Reserven. Die UN haben 2010 Trinkwasser zu einem Menschenrecht erklärt. Menschenrechts- und Umweltorganisationen fordern freien Zugang zu Wasser. „Sie sehen Wasser als Allgemeingut und natürliche Lebensgrundlage, die keinerlei Privatisierung und/oder Profit-Maximierung unterworfen werden darf“, so Andreas Senn, der Regisseur von „Verschollen am Kap“.
Soundtrack: u.a. Annie Lennox („A whiter shade of pale“), David Byrne & Brian Eno („Strange Overtones“), African Tribal Orchestra („Moon over Africa“), Gabin („Africa“), Mujava („Mugwanti“), Zap mama („Kemake“)
Der Zweiteiler lädt das Thema, die Kapitalisierung der Urquelle des Lebens, mit einer Familiengeschichte emotional auf. Es gibt viele Fallen, in die dieses Projekt, dieser Film hätte tappen können: So ist Afrika schon für viele ähnlich ambitionierte (auch weniger ambitionierte) Projekte zum Problem geworden. Zwei Teiler sind nur selten zwingend für das zu Erzählende. Auch zwei Kontinente als Schauplätze sind für den Erzählrhthmus nicht selten verhängnisvoll. Ebenso wie der multikulturelle Mix in Geschichte wie Produktion oft nicht zusammenpasst… Keiner dieser üblichen Mängel trifft auf „Verschollen am Kap“ zu. Dieser Film fesselt von der ersten bis zur 177. Minute. Die Berlin- und Kapstadt-Bilder gehen in einem atmosphärischen Ganzen auf. Die Kamera, oft bewegt, Musik und Sounddesign, oft bewegend, die Farben, nie penetrant kontrastierend, die Schauspieler, die sich nicht Star-TV-like in den Vordergrund spielen, all das ergibt einen Erzählfluss, der trotz Dramatik immer einen Hang zur Beiläufigkeit besitzt. Als hätte dieser Film seinem handlungstragenden Moment, dem Wasser, sein Fließen abgeschaut. Und immer wieder wird das Wasser auch in der Geschichte zum Motiv: zum Entspannen, zum Foltern, zum Waschen, zum Trinken.
Foto: ZDF / Guderjahn
Drehbuchautor Christian Jeltsch, der sich gern in komplizierte, düstere Verschwörungsszenarien versteigt, hat sich fürs ZDF einmal an einem relativ geradlinigen Öko-Polit-Thriller mit Familienanbindung versucht. Versuch grandios geglückt! Die doppelte Handlungsführung mit mindestens zwei parallel geführten Erzählsträngen ist so glasklar wie die Konfliktlagen. Nichts irritiert, nichts schmeißt einen aus dem Film. Die Parallelhandlungen können sich vielmehr spannungssteigernd gegenseitig „anheizen“. Die damit verbundene Multiperspektivität erfüllt nicht nur ihre „Wirkfunktion“. Sie sorgt auch dafür, dass dieser Zweiteiler nicht zum einseitigen Helden-Epos künstlich hochstilisiert wird. Barbara Auer muss nicht auf Ferres machen: feinnervig bis burschikos gibt sie die Deutsche in Südafrika, die ihrem Mann zunehmend misstraut. Gespielt wird der von Heino Ferch, der weniger stiernackig als gewohnt seinen Weg geht und stattdessen mal wieder seine psychophysischen Qualitäten ausreizen darf mit mehr Figuren-Tiefgang als in vielen seiner reinen Genre-Typen-Rollen. Und Nadja Bobyleva zieht einen mit viel Realismus-Touch und vitaler Frische rein in die Geschichte und fordert später durch ihre Ohnmachts-Erfahrung die Beschützerinstinkte des Zuschauers heraus. Ein tolles Ensemble, keine Helden, die physisch über sich hinaus wachsen (allenfalls moralisch). Stattdessen wird man stärker – zumindest als in anderen TV-Auslandsproduktionen – auch mit der Wirklichkeit aus der Perspektive der Afrikaner vertraut gemacht. Fazit: ein starkes, packendes Stück Fernsehen in einem Genre, das man als TV-Kritiker längst aufgegeben hatte. (Text-Stand: 26.10.2011)