Unverhofft geschenkte Zeit ist mitunter etwas derart Kostbares, dass man sie nicht teilen möchte. Deshalb sagt Rolf Köster seiner Familie auch nichts, als sein Chef ihm eine Woche Urlaub nahe legt. Köster verlässt das Haus auch weiterhin wie jeden Morgen und erlebt Abenteuer. Nichts Spektakuläres zwar, aber aufregend genug, um sein Leben kräftig durcheinander zu bringen: Er geht auf die Beerdigung einer wildfremden Frau und lässt sich von Zufallsbekanntschaft Sophie, einer Quasselstrippe mit Taxischein, ziellos durch die Stadt fahren. Außerdem entdeckt er, dass seine Frau offenbar schon länger ein Verhältnis hat.
„Urlaub vom Leben“ ist der treffende Titel dieser kleinen Geschichte von Janko Haschemian, die genauso unspektakulär daherkommt wie Kösters kleine Fluchten. Neele Leana Vollmar, Absolventin der Filmakademie Baden-Württemberg und mehrfach für ihren Kurzfilm „Meine Eltern“ ausgezeichnet, konzentriert sich in ihrem Langfilmdebüt ganz auf die Hauptfigur. Rolf Köster ist ein biederer Durchschnittskassierer ohne besondere Eigenschaften. Ob das je anders war, bleibt offen. Er dreht morgens seine Jogging-Runden, geht brav zur Arbeit in seiner Sparkassenfiliale und hält sich vom geschäftigen Treiben seiner Familie lieber fern.
Für Vollmar selbst handelt der Film von einem Experiment: Wie verhält sich so ein Mensch, dessen Dasein in geregelten Bahnen verläuft, wenn ihm plötzlich der Boden unter den Füßen abhanden kommt? Meist sind es die Details, die in solchen Geschichten schon früh darauf hindeuten, dass die Fassade Risse hat. Sohn Paul zum Beispiel muss permanent einen Sturzhelm tragen, weil er immer wieder mit dem Kopf durch die Wand will; im wahrsten Sinne des Wortes. Und Tochter Berit geht schon mal prophylaktisch bei der „Klapse“ vorbei: Sie macht sich Sorgen, weil sie die Welt auf dem Kopf sieht. Köster selbst nimmt zwanghaft vor jedem Essen seinen Teller vom gedeckten Tisch, um ihn gegen einen frischen auszutauschen. Außerdem wird ihm immer öfter wie aus heiterem Himmel schlecht. Als ihn ein befreundeter Arzt auffordert, drei Dinge aufzuschreiben, die ihn glücklich machen, fällt ihm partout nichts ein. Und dann macht dieser Mann nur einen einzigen kleinen Schritt aus seinem Alltag heraus, und prompt bekommt sein Leben eine völlig neue Perspektive. Allerdings nicht nur das, denn am Ende wird nichts mehr so sein, wie es am Anfang war.
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Gustav Peter Wöhler, Stammspieler in den Filmen von Doris Dörrie, verkörpert diesen braven Kassierer auf unnachahmliche Weise, und es ist ein bezeichnendes Trauerspiel, dass der Name (im Gegensatz zu seinem Gesicht) kaum jemandem etwas sagen wird. Meret Becker ist als Taxifahrerin Sophie Wöhlers komplettes Gegenstück, weshalb die beiden ein höchst reizvolles Paar abgeben. Am schönsten aber sind Kösters leicht misanthropische Alltagsbeobachtungen, wenn er etwa mit dem Bus zur Bank fährt und sich fragt, ob weibliche Teenager wohl unter einer geheimnisvollen Krankheit leiden; oder ob sie umfallen, sobald sie aufhören zu reden.