Ein Polizistensuizid, ein Mord vor 17 Jahren und Eva Prohaceks Verabschiedung
Sarah, eine junge Polizistin, hat gerade die Affäre mit ihrem älteren Kollegen Thomas beendet. Nun bedrängt der enttäuschte Liebhaber sie in ihrer Wohnung – und erschießt sich vor ihren Augen. Der Selbstmord eines Polizisten ist eine Angelegenheit für die internen Ermittler, und so begegnen sich Sarah Weiss (Julia Franz Richter) und Kriminalrätin Dr. Eva Maria Prohacek (Senta Berger) das erste Mal wieder nach langer Zeit – was aber vorerst nur Sarah klar wird. Weil ihre Wohnung zum Tatort geworden ist, kommt Sarah vorerst bei ihrem Bruder Lukas (Anton Spieker) unter. Bereits mit einer Rückblende zu Beginn wurde das Publikum darauf eingestimmt, dass hier ein Fall aus der Vergangenheit aufgegriffen wird. Eine Frau wird in ihrem abseits gelegenen Haus von einem Unbekannten angegriffen und bewusstlos geschlagen. Dann schwenkt die Kamera zu den brennenden Kerzen auf dem Tisch. Der Fremde fährt mit seinem Auto an zwei Kindern vorbei, einem Mädchen und ihrem älteren Bruder, die auf dem Nachhauseweg sehen, wie Rauch und Flammen aus dem Haus schlagen.
Die letzte Folge knüpft an den Grimme-Preis-gekrönten ersten Film an
„Evas letzter Gang“ sei „auf Grundlage der Drehbücher und Figuren der Folgen 1 und 2“ entstanden, heißt es im Vorspann, wohl auch als Reminiszenz an den hier namentlich erwähnten Alexander Adolph, der die Drehbücher für die ersten beiden, von Friedemann Fromm inszenierten Filme geschrieben hatte. Beide erhielten 2003 für die Auftaktfolge „Verdecktes Spiel“ ebenso wie Senta Berger, Rudolf Krause und Gerd Anthoff den Grimme-Preis, der damals noch Adolf-Grimme-Preis hieß. In „Verdecktes Spiel“ ging es um ein Immobiliengeschäft: Dem Bauprojekt „Paradiesgarten“ stand das Haus von Martina Weiss im Weg, die damals angeblich bei einem Hausbrand ums Leben kam. Dass es Mord war, versucht nun Sarah 17 Jahre später zu beweisen. Ihre Affäre mit dem älteren Polizisten, einem Personenschützer, war nur Mittel zum Zweck, um an die Adresse von Josef Bangert (Heinz-Josef Braun) zu kommen, einem Mittäter von damals, der nach verbüßter Strafe im Zeugenschutz lebt – vermutlich, um die wahren Hintergründe bis heute zu vertuschen.
Der stete Kampf von Prohacek, Langner und Reiter wird auf die Spitze getrieben
Prohacek, die gerade erst als ehemalige Dozentin an einer Polizeischule in die Münchener Abteilung für Amtsdelikte gewechselt war, verdächtigte damals eine Gruppe von Investoren, zu denen auch ihr Vorgesetzter Reiter gehörte. Oft war der verbale Ringkampf zwischen Prohacek und Langner auf der einen und Reiter auf der anderen Seite in den vergangenen Jahren amüsant und bissig. Über diese humorvolle Leichtigkeit konnte man fast vergessen, dass dem korrupten Reiter, wenn es denn um seine berufliche Stellung und die finanzielle Existenz geht, das Schlimmste zuzutrauen ist. Vielleicht war der Rückgriff auf die „offene Wunde“ im allerersten Fall eine naheliegende Idee, aber sie geht jedenfalls überzeugend auf: Während andere Krimi-Reihen mit der simplen Frage enden, ob der Hauptprotagonist stirbt oder wenigstens malerisch davonfliegt (wie einst Schimanski), gilt es hier tatsächlich noch etwas Elementares zwischen den Hauptfiguren zu klären und wird der stete Kampf des Trios zum Abschluss dramatisch auf die Spitze getrieben. Wie intensiv und genau das letzte Verhör inszeniert und gespielt wird, ruhig, konzentriert, nur mit den notwendigsten Dialogsätzen versehen, ganz auf die feine Spielkunst der Schauspieler und die Perspektivwechsel der Kamera vertrauend. Es ist, als laufen in dieser Szene die Fäden nicht nur aus den ersten beiden, sondern aus allen vergangenen Folgen zusammen. Und wie unter einem Brennglas zeigt sich noch einmal die besondere Qualität der Reihe.
Langner – das einzige aufrechte Mannsbild inmitten der Spezl-Wirtschaft
Wunderbar geschrieben, mit viel Sinn für deren langjähriges, besonderes Verhältnis, sind auch die Szenen zwischen Prohacek und Langner. Überhaupt ist dieser Langner ja der heimliche Held in der Reihe, toll besetzt mit Rudolf Krause, diesem unverwechselbaren Lulatsch, dessen Rollenfigur ab und zu tatsächlich als Blitzableiter herhalten muss, sowohl für Reiter als auch für Prohacek. Eigentlich ist der etwas biedere und bisweilen linkische Langner schmerzhaft nahe am Beamten-Klischee, aber neben diesem aufrechten Mannsbild wirken all die schmierigen Gestalten der bayerischen Spezl-Wirtschaft um so mickriger. Langner ist bis zuletzt die Fleisch gewordene Anständigkeit. Er meint es immer gut, schießt dabei aber schon mal übers Ziel hinaus. Prohacek zum Ruhestand den gemeinsamen Besuch eines Kochkurses („Vitale Küche“) zu schenken, erweist sich als keine gute Idee. Sehr komisch, wie verunsichert beide im Büro mit der Situation der bevorstehenden „Trennung“ umgehen. Außerdem ist Langner ein Mann, der ins Schluchzen geraten kann, wenn seine Chefin ihn verlässt und ihr gemeinsamer Kampf gegen das Böse verloren scheint – mal ein anderes Beispiel aus dem Arsenal männlicher Rollenbilder im Fernsehen. Sehr schön ist schließlich die allerletzte Szene mit Langner an der Orgel und einem Zettel, den Prohacek auf die Bank legt, bevor sie die Kirche wortlos verlässt.
Prohacek wird auch von ihrem schlechten Gewissen getrieben
Die Kriminalrätin ist die durch tragische Verluste gezeichnete, in die Jahre gekommene, manchmal schwankende, aber nie aufgebende Heldin. Das gilt erst recht für Senta Bergers letzten Auftritt in „Unter Verdacht“, wobei die Melancholie doch etwas direkt aufgetragen ist, wenn Prohacek, allein am Ufer stehend, nachdenklich und traurig über den im Nebel liegenden See blickt. Die Drehbuch-Autoren Stefan Holtz und Florian Iwersen hatten sich für die Kriminalrätin im Zweiteiler „Verlorene Sicherheit“ einen Schlaganfall ausgedacht, von dem sie sich freilich gut erholt hat. Sie gehe in den Ruhestand, nicht in ein Pflegeheim, weist sie Langners fürsorgliche Angebote etwas barsch zurück. Der Fall aber lässt ihr keine Ruhe, erst recht, nachdem ihr klar geworden ist, worum es hier geht. Prohacek „vergisst“, ihren Dienstausweis abzugeben, wühlt in den alten Akten und stellt Reiter erneut zum Thema „Paradiesgarten“ zur Rede. Sie wird auch von ihrem schlechten Gewissen getrieben, weil sie damals wegen des Todes ihres Sohnes nicht ganz bei der Sache war. Zwischendurch zweifelt sie, wird schwach, die Sache scheint verloren. „Wenn Sie aufgeben, wer bleibt denn dann noch?“, fragt Langner. Die 1941 geborene Senta Berger hat in ihrer langen Karriere auch in einigen TV-Klassikern mitgespielt. Sie war die Mona in „Kir Royal“ und „Die schnelle Gerdi“, wurde mehrfach ausgezeichnet für ihre Rollen in den Fernsehfilmen „Schlaflos“ und „Frau Böhm sagt Nein“. Mit der Eva Maria Prohacek hat sie einen weiteren Markstein gesetzt.
„Was haben wir eigentlich erreicht? Es hat sich nichts geändert“
Recht bald bekommt der Film eine Spannung fördernde Wende: Sarah verschwindet spurlos. Noch etwas später fügt die Inszenierung des erfahrenen Krimi-Regisseurs Andreas Herzog die Perspektive der Täter hinzu. Wie immer bei „Unter Verdacht“ geht es neben der Aufklärung des Verbrechens um eine gesellschaftskritische Systemfrage: Kann der Machtmissbrauch in Politik und Behörden im Inneren gestoppt und korrigiert werden? Die fiktionale Antwort bleibt realistisch. In der Reihe waren Prohacek und Langner stets die Nestbeschmutzer, ein kleines, zweiköpfiges Team, das hoffnungslos unterlegen schien und doch mit Hartnäckigkeit und Ideenreichtum Fälle löste. Aber an den Strukturen und Mechanismen konnten sie natürlich nicht rütteln. „Was haben wir eigentlich erreicht? Es hat sich nichts geändert“, sagt Prohacek zu Langner, nachdem sie ihre eigene Verabschiedung während Reiters Rede einfach verlassen hat. Auch Gerd Anthoff ist in dieser zynischen Jovialität eines skrupellosen Amtsträgers, der stets nur sein eigenes Interesse im Sinn hat, wieder großartig – ein unvergesslicher Typ im Fernseh-Kosmos der Bösewichte. Reiter war selbst immer ein Getriebener und ist es auch hier: Er bekommt Druck von Staatssekretär Haberfeldt (Michael Lerchenberg), weil die „Bessermenschen-Fraktion“ im Landtag, gemeint sind die Grünen, eine Anfrage wegen der gestiegenen Selbstmordrate bei Polizisten gestellt hat. Stark und entlarvend, wie Reiter dann in Prohaceks Befragung des Polizisten Sigi Steinhäuser (Wolfgang Maria Bauer) platzt und den plötzlich besorgten Amtschef markiert, der die Verantwortung jedoch sofort an die nächst tiefere Etage weitergibt. Die Reihe ist zwar ein besonderer Gruß an das CSU-regierte Bayern, aber solche Mechanismen finden sich wohl in jedem Bundesland. Als einzigartige Farbe im deutschen Krimi-Fernsehen wird „Unter Verdacht“ fehlen.