In einem abgelegenen Häuschen am See stirbt eine junge Frau einen qualvollen Tod. Sie wurde vergewaltigt und ihr Körper ist übersät mit Schnittwunden. Da wollte sich jemand wie Gott fühlen, ein perverser Frauenhasser, vermutet der Gerichtsmediziner. Im Dorf ist der Täter schnell ausgemacht: Ulrich Wolf, ein Serienvergewaltiger, der vor 20 Jahren eine junge Frau auf ähnlich sadistische Weise malträtiert hat. Die Frau damals hat überlebt und arbeitet heute als Psychiaterin. Kripo-Chef Arne Brauner kann sich nur zu gut noch an diesen Fall erinnern. Nicht nur er ist befangen – auch Hamm, den dieser Fall körperlich schwer in Mitleidenschaft zieht, sieht in Wolf den Mörder. Nur Jana Winter ermittelt unvoreingenommen. Dabei stößt sie auf einen Dorfbewohner, der die Nachbarn gegen Wolf aufhetzt, auf seine verdruckste Ehefrau und den autistisch gestörten Sohn der beiden, der mit der Toten befreundet war. Sie überführt den Briefträger, der die Tote gefunden hat, einer Lüge, sie lässt sich von einem ornithologisch bewanderten Landarzt nicht nur die Vogelwelt erklären, befragt Wolfs Mutter, der ihm ein Alibi gibt, macht eine Stippvisite in der Psychiatrie, und ist dabei, als Hamm eine Katze überfährt. Und vor lauter Bäumen sieht auch sie den Wald nicht mehr.
So ähnlich kann es auch dem Zuschauer gehen bei diesem Krimi aus der schleswig-holsteinischen Provinz. „Der Mörder unter uns“, die achte Episode aus der ZDF-Krimireihe „Unter anderen Umständen“, entwickelt ein Szenario, wie man es hunderte Male gesehen hat. Damit das nicht so auffällt, hat Autorin Zora Holt den falschesten Weg eingeschlagen, den man in so einem Fall einschlagen kann: Sie hat Unmengen an Handlung aufgetürmt – und dabei alles – trotz der sich daraus logischerweise ergebenden Überkonstruktion – todernst genommen. Der Pöbel marschiert, der perfekte Sündenbock träumt von der Freiheit, die nur der Tod bietet; ein Mann hat sein Leben einem Rachefeldzug gewidmet; einen anderen hat seine Affäre zu einer verhängnisvollen Kurzschlusshandlung veranlasst, die der jungen Frau das Leben gekostet hat. Der Chefkommissar darf eine alte Wunde heilen: vor 20 Jahren musste er am Bett von Wolfs Opfer tagelang sitzen und warten, bis sie körperlich in der Lage war, auszusagen; jetzt muss er nicht mehr neben dem Bett sitzen, sondern kann mit ihr ins Bett gehen. Ihrem Lebenspartner Ralph Herfort hat Holt – auch das unironisch – körperliche Blessuren der übelsten Art ins Drehbuch geschrieben. Was würde wohl Freud dazu sagen?
Foto: ZDF / Boris Laewen
Selbstmordversuch, Einlieferung in die Psychiatrie, Ausbruch aus der Psychiatrie, Entwendung von Hamms Dienstwaffe, mit ihr Angriff auf den vermeintlichen Mörder… Das ist nur EIN Beispiel dafür, was Holt einer Nebenfigur alles an „Schicksal“ aufbürdet. Der große Aktionismus der Handlung ist das eine; das Zufallsprinzip, das ständig bemüht werden muss, damit sich die Handlungslinien und Figuren treffen können, ist das andere. Auch wenn die Welt klein ist im Kreis Schleswig, so sind doch so viele Zufälle für einen klassischen “realistischen“ Ermittlerkrimi (im Gegensatz zu einem Krimidrama) tödlich. Die Reihe „Unter anderen Umständen“ war einmal anders konzipiert: die ermittelnden Fälle schlugen emotional auf die Heldin zurück – leise, beiläufig, mehrfach verspiegelt. Psychologische Projektionen verlängerten die vordergründige Handlung ins Seelenleben der Figuren. Da konnte dann auch Regisseurin Judith Kennel eine klare Handschrift entwickeln. Jetzt bleibt ihr nichts anderes, als diesem hanebüchenen, durchschnittlichen Whodunit und hohlen Gebrauchskrimi die bedeutsame Aura eines vermeintlichen Qualitätsfilms zu geben. (Text-Stand: 17.2.2013)