Katharina, Nele, Luise, Tara, Rike, Antonin, Bastian und Jochen sind Schauspieler einer Abschlussklasse an einer Kunsthochschule in der süddeutschen Provinz. Zweieinhalb Wochen vor dem obligatorischen Intendantenvorsprechen wächst die Unruhe in der Gruppe. Kein Text, kein Plan, kein Lehrer in Sicht, der ihnen die Ängste nimmt und sie auf die für den weiteren Berufsweg so entscheidende Prüfungssituation vorbereitet. Entsprechende Lustlosigkeit beim Körpertraining. „Ich kann die Energie doch nicht in dich reinprügeln!“, fährt der Body-Coach Katharina an. Sie ist die, die endlich Klarheit will. Ihre Protest-Mail an den Rektor hat Erfolg. Corinna Trampe, eine Schauspiel(lehr)erin aus dem Osten, übernimmt das Abschlussstück der Gruppe: Gorkis „Nachtasyl“. Der verschollene Leiter der schlecht beleumundeten Schauspiel-Abteilung taucht wieder auf. Der 67-Jährige hat Druck von oben bekommen. Weil sein Posten, aber auch der gesamte Fachbereich Schauspiel gefährdet ist, mischt er sich wieder ein in die Probenarbeit und vergrault die Kollegin aus dem Osten.
„Unten Mitte Kinn“ ist ein Spielfilm, der „von den Schauspielern ohne Vorkenntnisse der konkreten Geschichte improvisiert wurde“, so der Filmemacher Nicolas Wackerbarth. „Diese dokumentarische Arbeitsweise erforderte von den Darstellern extrem viel Vertrauen. Die Dreharbeiten waren eine lebhafte Entdeckungsreise, eine gute Erfahrung, die mit einem Dreh nach Script, in dem man vor allem auf die beste Umsetzung pocht, wenig zu tun hat.“ Das klingt nach guter Erfahrung für alle Beteiligten. Doch dieser Film, der im Juni auf dem Münchner Filmfest Premiere hatte, ist auch für den Zuschauer, der mehr als nur am fertigen Film und der vor allem an der Arbeit des Schauspielers interessiert ist, ein aufregendes Erlebnis. Jede Szene erzählt eine eigene Geschichte. Es zählt die Intensität des Moments. Hinzu kommt diese seltsame Mischung aus fiktionaler Situation und dokumentarischer Arbeitsweise. So etwas wie Handlungsfluss spielt eine untergeordnete Rolle. Allein, als Zuschauer diese Erfahrung zu machen, ist faszinierend und „lehrreich“ zugleich. Weil der Film „anders“ arbeitet, erfährt man indirekt auch viel über die Konventionen des Filmerzählens. Aber „Unten Mitte Kinn“ überzeugt nicht nur theoretisch. Emotional lebt er durch seine frischen, unverbrauchten Gesichter, junge Schauspieler, die alle ihren Weg gehen werden
Intrigenspiel und Streit, Ängste und Verzweiflung, Egoismus und Eitelkeiten – das ist der Stoff, der entsteht, wenn Gruppen ihre Dynamik entwickeln. Für einen erhöhten Reiz sorgen Schauspieler als Figuren, da durch sie stets die Möglichkeit des Spiels über jeder Situation liegt. Ist das echte Wut von Jochen, der von seinen betrunkenen Kommilitoninnen („bist du eigentlich schwul?“) handgreiflich angegangen wird? Machen sich die Mädels nur lustig über ihn? Den Höhepunkt erreicht dieses Spiel mit der ständigen Option zur Brechung im ebenso klugen wie befreienden Finale: dem Intendantenvorsprechen, bei dem auch eine Experten-Kommission zugegen ist, um über die Zukunft der Abteilung zu entscheiden. „Angst ist die Triebfeder des Krieges“, heißt es – und der Homo Ludens obsiegt über das Kunstbeamtentum.