Und tot bist Du! – Ein Schwarzwaldkrimi

Jessica Schwarz, von Thun, Vogler, Tebbe, Rosenmüller. Sagenhaft durch die Jahrzehnte

Foto: ZDF / Maor Waisburd
Foto Tilmann P. Gangloff

Zum ersten Mal seit 2012 gibt es dieses Jahr keinen neuen Taunus-Krimi, aber das ZDF hat für einen Ersatz gesorgt, der die Fans der Nele-Neuhaus-Filme genauso befriedigen dürfte: Rätselhafte Suizide junger Frauen im Schwarzwald führen zu einem grausigen Ereignis in der unmittelbaren Nachkriegszeit. Marcus O. Rosenmüller, der schon die Neuhaus-Verfilmungen nach schwacher Anfangsphase auf ein deutlich höheres Niveau gehoben hat, ist der richtige Regisseur für diesen Stoff, der im Unterschied zu vielen anderen Zweiteilern dank immer  neuer Rätsel auch über 180 Minuten trägt. Die Verknüpfung der beiden Zeitebenen ist von großer Kunstfertigkeit, die Musik forciert die Spannung, die Bildgestaltung setzt sparsame, aber ungemein effektvolle Akzente, und das Ensemble ist ausnahmslos sehenswert.

Das ZDF hat in den letzten Jahren eine kleine Tradition daraus gemacht, die Fernsehjahre mit einem zweiteiligen Taunus-Krimi nach Nele Neuhaus zu beginnen; die Filme sind meist in der kreativen Kombination Anna Tebbe (Buch) und Marcus O. Rosenmüller (Regie) entstanden. Die Qualität der bislang acht Verfilmungen war stets sehr wechselhaft, aber zwei ragten aus dem Fernsehalltag heraus: „Böser Wolf“ (2016), ein äußerst komplexer Krimi über organisierten Kindesmissbrauch, drei Stunden lang spannend, aber auch unendlich grausig; sowie „Die Lebenden und die Toten“ (2017, ausnahmsweise nicht von Tebbe), ein Thriller über einen Scharfschützen, der scheinbar wahllos Menschen erschießt. „Im Wald“ (2018), ebenfalls 180 Minuten lang, erzählte eine fesselnde Geschichte, war aber nicht so gelungen wie die beiden anderen Zweiteiler. In diesem Jahr gibt es keine Neuhaus-Adaption, aber die Produktionsfirma all-in-production hat für einen mehr als würdigen Ersatz gesorgt. Das Duo hinter der Kamera ist mit Tebbe (hinter dem Pseudonym verbirgt sich all-in-Geschäftsführerin und Produzentin Annette Reeker) und Rosenmüller das gleiche, und auch die personelle Konstellation davor ähnelt den Taunus-Krimis: ein verheirateter Kommissar, eine attraktive Kollegin, eine Mordserie in der Provinz; allerdings mit Max von Thun statt Tim Bergmann, Jessica Schwarz statt Felicitas Woll und Nordschwarzwald statt Taunus. Die Geschichte ist derart handlungsreich, als habe Tebbe auch diesmal wieder einen Roman adaptiert.

Schon die ersten Bilder mit ihren Nebelschwaden deuten an, dass es ähnlich ungemütlich wird wie in „Die Toten vom Schwarzwald“ (2010, ebenfalls ZDF), einem mysteriösen Krimi mit Heino Ferch als Forensiker, der die Leiche seiner erst kürzlich verschwundenen, aber offenbar schon seit zwei Jahren toten Frau entdeckt. Thorsten Näter (Buch und Regie) hat sein Drehbuch damals kräftig mit uralten Legenden angereichert. Auch Tebbe hat sich durch den Sagenschatz des Schwarzwalds inspirieren lassen. Ein scheinbar idyllischer Waldsee zum Beispiel gilt als „Auge des Teufels“. Gelegentlich tritt er über die Ufer, weil selbst dem Teufel, wie es heißt, angesichts des traurigen Schicksals der weiblichen Teichleichen die Tränen kommen. Der Film beginnt mit einem weiteren Opfer: Eine junge Frau geht ins Wasser und stirbt. Nicht nur der leutselige Rechtsmediziner (Robert Schupp), auch Diener und Bächle, die Doppelspitze der Mordkommission Freudenstadt, stehen vor einem Rätsel.

Und tot bist Du! – Ein SchwarzwaldkrimiFoto: ZDF / Maor Waisburd
Die Rückblenden lassen die Filmbilder wie lebendig gewordene Fotografien wirken. Hans Katrein (Jonah Eisenblätter)

Diese Waldgeister-Krimi-Mär, die den dramaturgisch ungelenken Plot-Ungetümen von Nele Neuhaus alle Ehre macht, kann man auch anders beurteilen.
TV-Spielfilm“ schreibt: „Die Kabbeleien zwischen Bächle und Diener wirken ebenso aufgesetzt wie die Verweise auf alte Mythen. Weil die Figuren kaum Sympathie wecken, macht es auch wenig Spaß, sich den komplizierten Plot auseinanderzuklamüsern.“

Die Tote war Lioba, die Schwester von Max Natterer (Robin Sondermann), Bürgermeister in der dritten Generation, seit sein uralter Großvater Hermann (Lambert Hamel), ein furchtbarer Patriarch alter Schule, nach dem Zweiten Weltkrieg von den französischen Besatzern zum Ortsvorsteher ernannt wurde. Damals hat sich ein grausiges Ereignis zugetragen: Ein kleiner Köhlerjunge musste mit Hilfe eines Abzählreims drei Frauen auswählen, die den Franzosen zur freien Verfügung überlassen werden sollten. Zwei dieser Frauen haben sich, wie es hieß, das Leben genommen, die dritte soll bei einem Sprengstoffanschlag auf das Lager der Soldaten gestorben sein. Gut sieben Jahrzehnte später scheint sich jemand der Devise des alten Natterer zu entsinnen: Gleiches wird mit Gleichem vergolten. Kurz nach dem Tod der schönen Lioba (Noemi Reinholz) gibt es einen weiteren ungewöhnlichen Suizid.

Der besondere Reiz des Films liegt in der herausragend gut gelungenen Verknüpfung von Gegenwart und Vergangenheit. Vermittler zwischen den beiden Zeitebenen ist der Köhlerjunge. Der kleine Hans war schon mit acht Jahren ein begnadeter Zeichner und hat seine Erlebnisse mit dem Holzkohlestift festgehalten. Der große Hans (Rüdiger Vogler), ein charismatischer Theologe, ist erst kürzlich in seine Heimat zurückgekehrt, hat eine Augenoperation hinter sich und stellt verblüfft fest, dass die Ärztin offenbar nicht bloß sein Augenlicht gemeint hat, als sie sagte, dass er wieder klarer sehen werde: Er wird immer wieder von Erinnerungen an die Nachkriegszeit übermannt. Schon allein die fließenden und ausgezeichnet in die Handlung integrierten Übergänge zwischen Heute und Damals sind eine Kunst für sich. „Und tot bist Du!“ ist zudem ein ausgezeichnetes Beispiel dafür, welch’ großen Anteil der Schnitt (hier: Claudia Klook) an der Qualität eines Films hat. Nicht minder kunstvoll ist die Arbeit von Kameramann Stefan Spreer, der die schwarzweißen Rückblenden wie lebendig gewordene Fotografien aus jenen Jahren wirken lässt.

Und tot bist Du! – Ein SchwarzwaldkrimiFoto: ZDF / Maria Wiesler
Konrad Diener (Max von Thun), Maris Bächle (Jessica Schwarz) und Bernadette Ramsperger (Nadja Bobyleva) können mehr über die Mordfälle erfahren.

Genauso eindrucksvoll wie die Umsetzung ist die Geschichte, die zwar gerade zu Beginn mit ihren vielen verschiedenen Ebenen äußerst kompliziert, aber nie verwirrend ist; und das, obwohl jede Antwort neue Fragen aufwirft und Tebbe ständig neue Figuren einführt. Auf diese Weise gelingt es Rosenmüller, die Spannung auch über 180 Minuten zu halten; vielen Zweiteilern geht spätestens im zweiten Teil irgendwann die Luft aus. Dass das diesmal nicht passiert, liegt auch an der famosen Musik von Dominik Giesriegl, die regelmäßig für Hochspannung sorgt. Außerdem bleibt Tebbe ihrem Schema treu und gibt auch im zweiten Teil weitere Rätsel auf, während sich die verschiedenen Puzzlestücke nach und nach zusammenfügen. Selbstverständlich ist das Schicksal von Kommissarin Bächle ebenfalls mit der Dorfchronik verknüpft: Sie war als Kind einige Tage allein in einem stillgelegten Bergwerkstollen, litt anschließend unter dem Kaspar-Hauser-Syndrom und ist von einem einheimischen Ehepaar adoptiert worden. Niemand weiß, wer sie ist, wo sie herkommt und warum sie in dem Stollen war, aber sie ahnt, dass sich dort der Schlüssel zu ihrer Biografie verbirgt; und auch zu den Ereignissen in den Nachkriegswirren, wie der Film mit einer Gänsehautaufnahme zum Schluss von Teil eins offenbart.

Bei den meisten deutschen Provinzkrimis außerhalb Bayerns kommt der Dialekt etwas kurz; der gebürtige Freiburger Robert Schupp ist hier offenbar der einzige Mitwirkende mit halbwegs einheimischen Wurzeln und nutzt die Gelegenheit, um den Rechtsmediziner als „symbadisches“ Original zu zeichnen, übertreibt dabei aber nicht. Rosenmüller, im Metier des TV-Thrillers erfahren wie nur wenige andere, schießt dagegen zweimal übers Ziel hinaus: Einmal quillt unter dem Hut einer lebensgroßen Trachtenpuppe völlig unmotiviert Blut hervor, und in der Schlusseinstellung, als Bächle endlich einen erlösenden Schlussstrich unter ihre Vergangenheit zieht, wabert derart viel Nebel über den Boden, als habe sich das Team vorübergehend auf den Friedhof eines drittklassigen Horrorstreifens verirrt. Der Film ist zwar dank der Bildgestaltung stellenweise durchaus gruselig, verzichtet ansonsten jedoch auf Plakativität und setzt stattdessen auf sparsame, aber wirkungsvolle Effekte wie etwa eine orangefarbene Explosionswolke inmitten der ansonsten konsequent in Schwarzweiß gehaltenen Rückblenden. Respekt gebührt dem Regisseur auch für die Führung der Darsteller: Trotz einer Vielzahl von Sprechrollen gibt es nicht einen Ausfall. Einige namhafte Darsteller wirken zunächst verschwendet (etwa Rike Schmid als Ehefrau des Kommissars), doch die Figuren greifen später noch entscheidend ein. Eine sehr interessante Rolle spielt dabei David Zimmerschied als Museumsleiter und Stadtarchivar, der viel dazu beträgt, dass die „alten Geschichten“ aufgeklärt werden. Amüsant sind auch die kleinen Humoresken, mit denen Nadja Bobyleva den Film als Rechercheurin bereichert; und sei es bloß, dass ihre Brillengläser beschlagen, als sie heißen Tee trinkt. Heimliche Hauptfigur ist allerdings die Region. Dank beeindruckender Naturaufnahmen erscheint der Nordschwarzwald als unheimliche Gegend, in der die Menschen früher an langen Winterabenden viel Zeit hatten, unerklärliche Ereignisse in düstere Sagen umzuwandeln.

Und tot bist Du! – Ein SchwarzwaldkrimiFoto: ZDF / Maor Waisburd
Maris Bächle (Jessica Schwarz) mit Blick auf den Karsee. Alte Schwarzwaldlegenden leben wieder auf in dem ZDF-Zweiteiler.

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Mit Jessica Schwarz, Max von Thun, Rüdiger Vogler, Nadja Bobyleva, Roeland Wiesnekker, Robin Sondermann, Lambert Hamel, David Zimmerschied, Robert Schupp, Patrick Mölleken, Jona Eisenblätter, Aurélie Thépaut, Rike Schmid, Peter Prager

Kamera: Stefan Spreer

Szenenbild: Klaus-Peter Platten

Kostüm: Susanne Roggendorf

Schnitt: Claudia Klook

Musik: Dominik Giesriegl

Soundtrack: France Gall („Ella, Elle L’a“), Yello („The Rythm Divine“)

Redaktion: Daniel Blum

Produktionsfirma: all-in-production

Produktion: Annette Reeker

Drehbuch: Anna Tebbe

Regie: Marcus O. Rosenmüller

Quote: Teil 1: 6,08 Mio. Zuschauer (19,7% MA); Teil 2: 5,59 Mio. (19,1% MA)

EA: 08.04.2019 20:15 Uhr | ZDF

weitere EA: 10.04.2019 20:15 Uhr | ZDF

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