Ellen Bouché (Nina Kunzendorf) reist nach Antwerpen, um Abschied von ihrer toten Tochter zu nehmen. Sie sei an einem Drogencocktail gestorben, erfährt sie, während sie die Leiche von Sarah (Paula Kroh) in Augenschein nimmt. Aber in der Nacht erhält sie eine SMS, in der sie von ihrer angeblich toten Tochter um Hilfe gebeten wird. Außerdem stellt sich heraus, dass die Leiche Sarahs aus dem Krankenhaus verschwunden ist. Auf der Polizeiwache hält man Ellen seltsamer Weise für überspannt oder gar verrückt und schiebt den Fall einem Kommissar zu, der als Außenseiter gilt. Wouters (Steve Driesen) redet kaum ein Wort, außerdem hatte er, wie wir Zuschauer gesehen haben, auf der Toilette Drogen konsumiert. Vorerst sucht Ellen gemeinsam mit Freundin Maggie (Hilde De Baerdemaeker), einer Kunsthändlerin, in Sarahs Wohnung nach Hinweisen auf den Verbleib ihrer Tochter. Maggie findet einen Fetisch in Sarahs Schrank und nimmt Ellen mit zu einer Mambo (Stella Kitoga), einer Voodoo-Priesterin – der erste Anlass, um ein unheimliches Ritual zu inszenieren, bei dem ein blinder Junge auf eine Trommel schlägt, die Mambo unverständliche Sätze murmelt und schließlich, während man nur das Weiß in ihren Augen sieht, einen Fluch oder eine Drohung ausstößt. Wenig später wird es tatsächlich gruselig. Ellen findet ihre sterbende Freundin: Maggie liegt nassgeschwitzt und blutend in ihrem Bett, das voller Schlangen ist. Kerzen sorgen für ein gespenstisches Licht, während Maggie mit Dämonen zu kämpfen scheint. „Der Exorzist“ lässt grüßen.
Foto: Degeto / Sofie Silbermann
Regisseur Titus Selge („Unterwerfung“) setzt bei seiner Inszenierung aber nicht nur auf Exotik im Kerzenschein, sondern wendet auch noch andere Mittel des fantastischen Films ein: Zum Beispiel Traumsequenzen, in denen Ellen ihrer Tochter begegnet oder ihr durch die Altstadt-Gassen Antwerpens folgt, was kurz an die Venedig-Mystery in „Wenn die Gondeln Trauer tragen“ erinnert. Die belgische Stadt bietet vielfältige Perspektiven, und Selge nutzt nicht nur die Postkarten-Ansichten, sondern auch den Hafen mit seinen nüchternen Gewerbeflächen und die Hochhaus-Siedlungen, in die sich kein Tourist verirrt. Dorthin wird Ellen von Wouters zum Essen eingeladen – in ein schmuddeliges, versteckt gelegenes Restaurant irgendwo im tristen Vorstadt-Antwerpen. Die Szene ist eine seltene Ausnahme, weil die vermeintliche „Authentizität“ hier mal nicht gekünstelt wirkt. Wouters spricht mit der Gastwirtin oder Köchin, die so ziemlich als einzige dunkelhäutige Figur keiner Voodoo-Sekte anzugehören scheint, sogar Französisch. Zwar wird in dem Film vermieden, die Rollen der belgischen Figuren mit deutschen Schauspielern zu besetzen, wie es in anderen Krimireihen geschieht. Auch ist es erfreulich, dass die belgischen Akteure nicht synchronisiert wurden. Dennoch hat es nichts mit „Authentizität“ zu tun, wenn die Belgier untereinander Deutsch reden.
Foto: Degeto / Sofie Silbermann
„Ich würde gerne eine Lanze brechen für solch besondere Filme. Denn zur filmischen Erzählkultur gehören neben Krimi und Romantic Comedy unbedingt auch Experimente, die sich an cineastischen Vorbildern aus Science Fiction, Fantasy, Horror, Action, Mystery oder eben Voodoo-Thriller orientieren“, wird Titus Selge in den Presse-Unterlagen der ARD zitiert. Das ist aller Ehren wert, denn natürlich trägt auch das Fernsehen zur Pflege der „filmischen Erzählkultur“ bei. Gegenwärtig sind es wohl eher die Serien, die eine größere Genre-Vielfalt bereithalten, aber es ist absolut lobenswert, wenn es solche Versuche auch im Bereich des abendfüllenden Fernsehfilms gibt. Die Voodoo-Szenen in „Totenfieber“ knüpfen also an Vorbilder wie „Angel Heart“ von Alan Parker an, und auch wenn sie nicht an deren Intensität heranreichen und es im Film keinen Robert de Niro als Inkarnation des Satans gibt, hat er einige bildstarke Momente mit Horror-Faktor zu bieten. Es muss ja auch nicht immer der ganz große Effekt sein: Wenn zum Beispiel der namenlose Voodoo-Killer (Claude Musungayi) unten auf der Straße eine einzelne Vogelfeder in die Luft pustet, segelt oben eine ganze Daunenkissen-Füllung durch Maggies Wohnung. Auch dass „Totenfieber“ eine zeitgemäße Interpretation versucht, ist interessant. Vom Voodoo-Zauber scheint in Antwerpen vor allem die Oberschicht und die kulturbeflissene Schickeria fasziniert. Außerdem spielen noch das Gift des Kugelfischs, medizinische Forschung und die Gier nach Profit eine Rolle.
Nun ist es allerdings alles andere als zeitgemäß, wenn in einem Film junge, hübsche Frauen bei einer Zeremonie vor Publikum einem Voodoo-Ritual unterzogen werden. Deshalb ist das Finale in dem imposanten Innenhof eines historischen Gemäuers ein bisschen kurios, weil der Horror ausgebremst und dennoch leidlich Spannung erzeugt werden muss. Bezeichnend außerdem, dass der Oberschurke (Kristof Coenen) der einzige Weiße unter den Sekten-Mitgliedern ist und eher geschäftliche Interessen zu haben scheint. Damit sollte vielleicht einem möglichen Rassismus-Vorwurf entgegengewirkt werden, aber auch so stehen alle Schwarzen im Film für unheimliche Rituale und rätselhafte, übernatürliche Kräfte. Auch ist der konventionelle Krimi-Handlungsstrang nur bedingt überzeugend. Zwar entwickelt sich zwischen Wouters, dessen Frau ebenfalls der Voodoo-Sekte zum Opfer fiel, und Ellen Bouché eine von Driesen und Kunzendorf spannungsreich gespielte Freundschaft. Beide suchen nach Sarah und kämpfen gemeinsam gegen die Machenschaften der Voodoo-Sekte – und Wouters‘ Hausboot wird zur Ermittlungszentrale. Aber die Konflikte, die Wouters vor allem mit seinem aggressiven Kollegen Eddy (Tristan Versteven) hat, wirken ebenso herbei konstruiert wie die gesamte Auflösung. Voodoo sei eine „demokratische Religion“, sagt der kundige Kommissar Wouters einmal: „Jeder Gläubige kann für einen Moment ein Gott sein.“ Ein interessanter Gedanke, aber das Voodoo-Motiv bleibt in der üblichen Krimi-Logik nur Mittel zum Zweck und verliert am Ende seine Faszination. (Text-Stand: 22.9.2019)
Foto: Degeto / Sofie Silbermann