Es kommt vor, dass Filme eine Weile lang lagern, bevor es endlich zur Ausstrahlung kommt. In der Regel hat das strukturelle Gründe. Bei „Tot im Wald“ liegen die Dinge anders. Sieben Jahre vom Dreh bis zur Premiere bei Sat 1: Das ist eine kleine Ewigkeit; und das nicht nur, weil sich Moden immer schneller ändern. Heute würde Regisseur Florian Baxmeyer bei der Umsetzung der Geschichte garantiert ganz anders vorgehen. Damals war der Film Teil einer Reihe, die nie eine geworden ist, weil bereits nach der zweiten Episode Schluss war. Dabei war der immerhin vom späteren Grimme-Preisträger Florian Schwarz („Tatort: Im Schmerz geboren“) inszenierte Auftakt „Hannah Mangold & Lucy Palm” ziemlich sehenswert, wenn auch vor allem wegen des Titelduos: Anja Kling spielte eine Berliner Kommissarin, die nach einer lebensgefährlichen Verletzung fast ein Jahr erst im Krankenhaus und dann in einer psychiatrischen Klinik verbracht hat. Als sie in den Dienst zurückkehrt, ist sie nicht nur ihren Posten als Dezernatsleiterin los, sie darf auch keine Waffe mehr tragen. Ihre neue Partnerin ist Lucy Palm, eine junge Polizistin, die härter wirkt als die meisten männlichen Kollegen.
Foto: Sat 1 / Oliver Feist
An den beiden Hauptdarstellerinnen sind die Jahre scheinbar spurlos vorübergegangen. Anja Kling ist ohnehin zeitlos schön, aber auch Britta Hammelstein, damals noch am Beginn ihrer Karriere und – wenn überhaupt – unter anderem als Tochter der Titelfigur aus der ARD-Serie „Der Winzerkönig“ bekannt, agiert mit einem bemerkenswerten Selbstverständnis. Leider haben die beiden Schauspielerinnen im zweiten Film kaum gemeinsame Szenen, was umso mehr überrascht, als doch der Reiz des Auftaktfilms gerade im Kontrast zwischen den beiden Ermittlerinnen lag: die eine durchgeknallt, die andere knallhart. Während Mangold im Archiv alte Akten digitalisieren muss, stößt Palm auf einen Vermisstenfall, der gar nicht in die Zuständigkeit des Morddezernats fällt: Vor vier Wochen ist ein Berliner Paar von einem Mittelaltertreffen in Brandenburg nicht mehr zurückgekommen. Als die junge Kommissarin herausfindet, dass in den letzten Jahren noch weitere Menschen in dieser Gegend verschwunden sind, beißt sie sich gegen die ausdrückliche Anweisung ihres Chefs (Dirk Borchardt) an der Sache fest. Das entsprechende Waldstück gehört dem pflegebedürftigen Arthur Meckenstock (Hermann Beyer). Weil zur Rollenbeschreibung von Hannah Mangold gelegentliche Visionen gehören und sie bei ihrem ersten Besuch auf dem Anwesen ahnt, dass ein kleiner Junge in großer Gefahr schwebt, verdingt sie sich beim einstigen „König Arthur“ als Pflegerin.
Der TV-Spielfilm-Kritiker sieht es etwas anders: „Florian Baxmeyer setzt bei seinem Horrorhausreißer auf knackige Töne und Märchenmotive, verliert dabei aber nicht an Bodenhaftung… Derbe Typen in einem schmutzigen Fall.“
Fortan schildert der Film (Drehbuch: Stefanie Veith, Matthias Tuchmann) die unerfreulichen Erlebnisse der beiden Polizistinnen in Parallelhandlungen: Palm wird immer wieder mit zwei ehemaligen Soldaten (Sebastian Zimmler, Gerdy Zint) konfrontiert, die Angehörige einer Spezialeinheit in Afghanistan waren und unehrenhaft entlassen worden sind. Die beiden vertreiben sich ihre Zeit mit bizarren makabren Spielchen; sie haben offenbar den Krieg mitgebracht. Die Verbindung zur zweiten Ebene ist Arthurs seit einigen Wochen verwitweter Schwiegersohn (Andreas Lust), denn der war ihr Vorgesetzter. Der Mann ist seit dem Suizid seiner Frau ein psychisches Wrack und seinem Sohn ein miserabler Vater.
Foto: Sat 1 / Oliver Feist
Sat 1 preist den Krimi als „irre spannend“ an, aber davon kann gerade im Vergleich zu den jüngsten Thrillern des Senders keine Rede sein. Abgesehen von einer Szene, in der Palm den beiden Exsoldaten gerade noch entkommen kann, ist erst das Finale richtig packend, als die beiden Polizistinnen unabhängig voneinander um ihr Leben fürchten müssen. Wirklich faszinierend ist allerdings das völlig heruntergekommene Herrenhaus, dessen einstiger Glanz schon vor Jahrzehnten verblasst sein muss. Auch die Herrschaft von „König Arthur“ muss bereits eine Weile zurückliegen, und doch ist das furchtbare Geheimnis, das die alten Mauern bergen, immer noch präsent; es hat selbstredend seinen Grund, dass der kleine Junge immer wieder aus dem düsteren Grimm-Märchen „Allerleirauh“ vorliest.
Die reizvolle Atmosphäre des von Kameramann Peter Joachim Krause betont morbide gefilmten Schauplatzes und die interessante Musik von Fabian Römer und Steffen Kaltschmid sind jedoch zu wenig, um aus „Tot im Wald“ einen packenden Film zu machen, selbst wenn effektvoll inszenierte Mystery-Elemente sowie akzentuiert in die fahlen grauen Bilder eingesetzte rote Farbtupfer (Palms Kapuzenpulli, eine verwaiste Schaukel, Stofffetzen an einer Leine) eine gewisse Freude bereiten. Nicht rundum überzeugend ist dagegen Baxmeyers Arbeit mit den Schauspielern; dabei war der Regisseur, der in den letzten Jahren fast alle „Tatort“-Episoden für Radio Bremen gedreht hat, damals dank einiger Kinofilme („Die drei ???…“), zweier Action-Abenteuer für RTL („Die Jagd nach der heiligen Lanze“, „Die Jagd nach dem Bernsteinzimmer“) sowie erster „Tatort“-Inszenierungen längst kein Anfänger mehr. Darüber hinaus dürften Einheimische den Brandenburger Akzent des Österreichers Andreas Lust als Beleidigung empfinden. Wie alt der Film ist, zeigt sich nicht zuletzt an den Nebenrollen: Ein Jahr vor ihrem Durchbruch mit „Fack ju Göhte“ beschränkt sich die Mitwirkung von Jella Haase (als Hannahs Tochter) auf einen Kurzauftritt, und Fahri Yardim spielt eine nicht weiter wichtige Figur im Team des Dezernats. (Text-Stand: 5.11.2019)