Mit Filmen wie der Charlotte-Link-Adaption „Das Echo der Schuld“ oder „Das Geheimnis des Königssees“ (beide 2008) hat sich Marcus O. Rosenmüller einen Ruf als Thriller-Spezialist erworben. Er kann aber auch anders, wie er mit den Dramen „Gottes mächtige Dienerin“ (2010) oder dem Kinofilm „Wunderkinder“ (2011) bewiesen hat. „Tödliche Gefühle“ scheint dem Titel zum Trotz ebenfalls kein Krimi zu sein: Tina (Franziska Weisz) und Karl Siebold (Arnd Klawitter) müssen den Tod ihrer Tochter verkraften; das Mädchen ist von einem Geländer seines Elternhauses gestürzt. Die Polizei überprüft routinemäßig, ob der Vater seine Aufsichtspflicht verletzt hat, dann bleiben die Eltern mit ihrer Trauer zurück. Eigentlich trifft das nur für Karl zu: Tina trauert nicht, zumindest nicht sichtbar; Karl fühlt sich alleingelassen.
Dieser Teil des Auftakts könnte auch der Beginn eines Ehedramas sein: Eine Beziehung, die bereits erste Risse hat, zerbricht am Verlust des Kindes. Selbst der Prolog würde noch ins Muster passen: Karl ist keineswegs so unschuldig, wie er der Polizei versichert hat, denn als das Mädchen abgestürzt ist, saß er nicht etwa am Schreibtisch, sondern lag im Bett einer attraktiven Nachbarin. Die hat sogar die Hilfeschreie des Mädchens gehört, das sich noch an der Kante festhalten konnte, bevor es endgültig gefallen ist. Geschickt legt das Drehbuch (Rosenmüller und Stefan Brunner) damit die Basis für eine Wandlung zum Thriller, die der Film viel später nimmt, wenn er auch seinem Titel gerecht wird. Eine Einstellung genügt, um anzudeuten, dass die Geschichte kein Drama über Trauerarbeit ist: In den Armen seiner Geliebten ruft Karl seine Tochter an, um ihr mitzuteilen, dass er erst später nach Hause kommt. Dann wechselt die Kamera in die Tiefenschärfe und zeigt das Kind auf der Terrasse.
Nach dem Gespräch mit der Polizei schaut Tina ihn an, als wisse sie die Wahrheit. Auch dieser Blick ist Teil des Konstrukts und sät eine Saat, die erst gegen Ende aufgehen wird. Zunächst jedoch erzählt „Tödliche Gefühle“ eine ganz andere Geschichte, und hier liegt eine große Schwäche des Drehbuchs: weil Rosenmüller 45 Minuten lang Anlauf nehmen muss, bis er endlich die Erwartungen erfüllt, die der Titel „Tödliche Gefühle“ weckt. Während sich Karl seiner Trauer hingibt, handelt Tina pragmatisch, erledigt typische Sterbefallformalitäten und konzentriert sich ansonsten auf ihre Arbeit als Restauratorin in einem Berliner Museum. Eher der Form halber sucht sie einen Psychologen (Stefan Jürgens) auf. Auf seine Frage, ob sie Schuldgefühle empfinde, sagt sie: „weder Schuld noch Gefühle.“ Der Psychologe notiert sich den Schlüsselbegriff des Films: Alexithymie, Gefühlsblindheit. Der Film hat ein Bild dafür: Auf dem Friedhof weint eine Mutter um ihr verstorbenes Kind; Tina weint nicht.
Foto: ZDF / Julia Terjung
Natürlich ist Franziska Weisz eine ausgezeichnete Besetzung für die Rolle der ungerührten Mutter, zumal es ihr vortrefflich gelingt, unnahbar zu wirken. Rosenmüller wiederum fädelt weiter ein, was sich am Ende als perfides Komplott entpuppen wird, und setzt dabei immer mehr auf Signalwirkungen: Zur feierlichen Präsentation einer 2000 Jahre alten Statue, die Tina restaurieren soll, erscheint sie im schulterfreien Kleid mit knallroten Schuhen und einem Schultertuch in gleicher Farbe; während des Empfangs vernascht sie einen Kellner.
Die Gegen-Meinung von TV-Spielfilm:
„Etwa nach der Hälfte gleitet der Film nahtlos von einem intensiven Psychodrama in einen (Erotik-)Thriller. Dank durchweg kalter Atmosphäre und guter Darsteller funktioniert der fliegende Wechsel problemlos, auch wenn die Intensität von offensichtlichen US-Vorbildern (Fincher, de Palma) nicht ganz erreicht wird.“
Aber der Quickie ist nur ein Aufregerchen. Selbst Franziska Weisz, die so unnachahmlich ihr Lächeln in den Mundwinkeln versteckt, kann nicht verhindern, dass sich der Handlungsfluss verplätschert. Nach dem interessanten Auftakt scheint sich „Tödliche Gefühle“ nur noch darin zu gefallen, schöne Menschen in teurer Kleidung und luxuriös anmutenden Wohnungen zu zeigen; selbst wenn Weisz und Katharina Wackernagel (als Tinas mitfühlende Chefin Pola) eine in jeder Hinsicht reizvolle Kombination sind. Exakt zur Hälfte des Films ändert sich endlich das Vorzeichen: Tina überredet die Kollegin, sich gemeinsam bei einem Seitensprungportal anzumelden. Die Verabredungen finden allesamt in Berliner Museen statt, und natürlich wissen der routinierte Rosenmüller und sein nicht minder erfahrener Kameramann Roman Nowocien bei ihrem fünften gemeinsamen Film, was sie zu tun haben, um die interessanten Schauplätze gerade nachts auch gut aussehen zu lassen. Als Tina nach einer Verabredung mit einem Fremden (Philipp Christopher) verschwindet, Pola auf eigene Faust die Freundin sucht und das Drehbuch neben einer vermeintlichen Entführung inklusive Sexvideo auch noch ein Eifersuchtsablenkungsmanöver einbaut, wandelt sich das Drama zwar zum erotisch angehauchten Hochglanz-Thriller, doch das ändert nichts am größten Manko: „Tödliche Gefühle“ leidet unter der gleichen Krankheit wie die Hauptfigur. Der auch optisch unterkühlte Film ist unfähig, die behaupteten Emotionen zu vermitteln, weshalb mit Ausnahme des Vaters alle wichtigen handelnden Personen wie Kunstfiguren wirken; außerdem dauert es viel zu lange, bis er endlich zur Sache kommt. Als sich zum Finale alle Kreise schließen, ist das zwar in der Tat verblüffend, aber auch an den Haaren herbeigezogen.