Ein Krampf im Bein, ein Knall und es ist passiert: Ein Mann hat ein kleines Mädchen tot gefahren. Es hagelt Vorwürfe, es fliegen Steine. Die Bewohner des Ostseedorfs Bredesen sind sich einig: „der Mörder“ und seine Familie müssen weg! Wenig später liegt der Unfallfahrer selbst tot in seinem Garten. Ein Unfall oder ein Fall von Lynchjustiz? Doch wie soll dieser „Fall“ überhaupt aufgeklärt werden? Der Bürgermeister will Unruhe im Ort vermeiden. Die Hinterbliebenen wollen ihren Frieden. Der Kommissar von auswärts tappt wie ein Elefant durchs mecklenburgische Puppenstubendorf. Und die junge Dorfpolizistin ist engagiert, aber befangen – es macht sich jedoch bezahlt, dass sie immer so eifrig Knöllchen verteilt hat…
Familien zerbrechen, Freunde ermitteln, Neuanfänge werden initiiert. „Tod an der Ostsee“ ist Drama, Krimi, Dorfgeschichte, von allem ein Bisschen und nichts so richtig. Ein Dutzend Figuren belauert sich zwischen Fachwerkhäusern, saftigen Wiesen und milder Meeresbrise. Eine seltsame Stimmung herrscht in diesem Dorf: eine Gemengelage aus Missgunst, Wut, Rachegedanken, Trauer und Fremdenfeindlichkeit. Rüde der Umgangston allerorten und in den betroffenen Familien stehen die Beziehungen auf des Messers Schneide. Der Unfall bringt nur Opfer hervor. Dort, wo vorher emotional wenig war, ist nun gar nichts mehr.
Foto: ZDF / Arte / Volker Roloff
„Tod an der Ostsee“ – der Titel trifft den Film besser, als es den Machern lieb sein kann. Auch seine Geschichte hat etwas Berichtendes, etwas Totales, sie verzichtet auf eine deutliche Perspektive, entwickelt keine Erzählhaltung. Weitflächig wie das Land ist auch die Erzählung angelegt. Dem Film fehlt es gleichsam an Lebendigkeit; die eingeschnittenen Natur-Bilder wirken wie Fremdkörper. Das Sterben und das Leiden darüber werden in weiches Provinzlicht getaucht. Der Film wirkt insgesamt statisch – auch in seiner Dramaturgie: Sich auf keine Figur zu konzentrieren ergibt noch keinen stimmigen Ensemblefilm, sich auf keine Gefühlslage einzulassen ergibt stattdessen ein oberflächliches Psycho-Pingpong. Tränen sind noch keine Garanten für Tiefe. „Tod an der Ostsee“ ist eine trübselige Befindlichkeitsmär. Darüber können auch Schauspielerinnen wie Maria Simon, Ina Weisse oder Bernadette Heerwagen nicht hinwegtäuschen. Auch „Frauenversteher“ Martin Enlen konnte nicht allzu viel ausrichten – zu unentschlossen der Plot, zu durchschnittlich das Drehbuch insgesamt.
Aus jeder Situation, aus jedem Bild, jeder Bildfolge wird Emotion herausgepresst. Die Instinkte des Zuschauers werden mehr oder weniger plump bedient. Perfide ist die Parallelmontage gleich zu Beginn: hier das goldige, süße Mädchen, das Familienglück auf Video gebannt; dort der starre Körper, das grüne Leichentuch. Dann die Tränen, der Knall, der tödliche Unfall. Der Ausgangspunkt ist so hoch gehängt und tragisch, dass man als Drehbuchautor „inhaltlich“ vermeintlich nicht mehr viel benötigt, um den Plot über die Runden zu bringen. Es gibt Konflikte in Filmen, die haben eine ähnliche Wirkung wie sogenannte Todschlagargumente in Diskussionen. Der „Tatort“-erfahrene Autor Jürgen Werner hat sich für einen solchen Konflikt entschieden – und damit gegen erzählerische Finesse. Die Dialoge sind ebenso banal bis brachial. Vor allem Justus von Dohnányi muss „Unsägliches“ von sich geben wie „Es war Mord… Ich mach Ihnen das Leben zur Hölle“ oder „Sie haben mir schon alles genommen, was ich habe. Hauen Sie besser ab.“ Und auch Sätze wie „Kossack war vielleicht ein Arschloch, aber ich bin doch kein Mörder“ mögen in einem durchschnittlichen Reihenkrimi noch durchgehen, für ein ZDF/Arte-Krimidrama sind sie schon zu oft gesagt worden.
Dieser molltongefärbte, handwerklich allerdings mehr als solide Film aus der Kategorie Konditionierungsfernsehen mit rituellem Mörderraten gibt etwas vor zu sein, was er nur in wenigen Momenten ist: ein atmosphärisches Krimidrama. Diese Aneinanderreihung aus zur Schau gestellten Stimmungslagen degradiert – ZDF-gerecht unterlegt mit Klimper-Klimper-Klavier – ein Dutzend guter Schauspieler zu Emotionsgeneratoren. Diese Mördersuche mit Trauerflor ist eine clevere Mogelpackung, auf die – spätestens bei der ZDF-Ausstrahlung – die Masse der Zuschauer garantiert millionenfach hereinfallen wird.