Viel Zeit zum Eingewöhnen bleibt ihr nicht. Theresa Wolff (Nina Gummich), Rechtsmedizinerin aus Berlin, heimgekehrt ins thüringische Jena, steckt gleich emotional richtig tief drinnen in ihrem ersten Fall. Eine Ärztin wird tot aus einem Stausee geborgen, und ihr Mann ist ausgerechnet Theresas Jugendliebe Steffen Köhler (Florian Bartholomäi). Wolff ist eine moderne Forensikerin, die nicht nur die Zeichen auf den Körpern der Toten liest, sondern die auch Eintauchen möchte in die Lebenswelten ihrer Opfer. „Nur wer das Leben kennt, kann den Tod verstehen“, so ihr berufliches Credo. So lässt sie es sich zum Leidwesen von Hauptkommissar Robert Brückner (Thorsten Merten) auch nicht nehmen, eifrig mit zu ermitteln; ihre besondere Spezialität sind Alleingänge. Die Ärztin ist nicht ertrunken, sie wurde erstickt. „Massive distanzlose Gewalt“, erkennt die Rechtsmedizinerin – was eine Beziehungstat vermuten lässt. Die erste Adresse wäre da natürlich der Ehemann. Aber dieser sanfte, sichtlich leidende Steffen Köhler, wie seine Frau Arzt in der gleichen Klinik, ein Mörder oder Todschläger?! Eher nicht. Allerdings dürfte seine Ehe nicht so glücklich gewesen sein, wie er seiner Ex und dem Kommissar weismachen möchte. Seine Frau zog es offenbar vor, immer öfter beim OP-Pfleger Nils Rust (Roland Wolf) zu nächtigen, und Köhler selbst hat eine Affäre mit der Assistenzärztin Melanie Uhlmann (Kristin Suckow). Dann aber stößt Teresa Wolff in den Patientenakten der Ärztin auf völlig andere Verdachtsmomente.
Foto: ZDF / Steffen Junghans
Bei jeder neuen Krimi-Reihe dasselbe Spiel und dieselben Fragen: Was gab es schon lange nicht mehr? Wie könnte man dem Genre eine Auffrischungsspritze verpassen? Und wo liegen Möglichkeiten, die Fallgeschichten etwas tiefer zu erzählen – über einen simplen Whodunit hinaus? Bei der neuen ZDF-Samstagskrimi-Reihe „Theresa Wolff“ erkennt man, dass sich die Verantwortlichen sehr viele Fragen gestellt haben und es besonders gut machen wollten. Während in den USA die Rechtsmediziner-Serien ein eigenes Sub-Genre bilden, hat sich hierzulande seit „Der letzte Zeuge“ wenig getan: Ein Krimiformat, erzählt aus forensischer Sicht, ist also schon mal eine gute Idee. Auch, weil der Clinch zwischen Rechtsmediziner und Kommissaren, obgleich er in Jena kein Quell der Komik sein soll wie im „Tatort“ Münster, ein sattes Konfliktpotenzial verspricht, das anfangs noch etwas grob, im Verlauf der 90 Minuten aber immer feiner und sympathischer ausgespielt wird. Hier die junge, toughe Forensikerin, dort der alteingesessene, erfahrene Kommissar: Reagiert dieser anfangs allergisch auf diese vorlaute, alles besserwissende Person, die ihm stets einen Gedanken und zwei Schritte voraus ist, so schleifen sich die Gegensätze nach und nach ab. Beide sind normale Menschen, jeder hat eine Vorstellung von seiner Arbeit und keiner will dem andern etwas Böses. Sie hält ihn für einen stolzen werdenden Papa (dabei ist er Großvater), und er missbilligt zwar ihre Solos abseits des Dienstwegs, aber er kriegt schon mit, was die Kollegin auf dem Kasten hat. Das Schöne: Die Annäherung der beiden wird nicht angesprochen, sie passiert. Und irgendwann liegen sie sich in den Armen. Das freilich hat auch mit der Dramatik des Showdowns zu tun.
Foto: ZDF / Steffen Junghans
Damit wären wir beim Krimi. Auch hier passt die Zusammensetzung. Wie beim klassischen Ermittler-Genre dreht sich zunächst alles um die Frage nach dem möglichen Täter? Das Milieu wird ausgeleuchtet, Zeugenaussagen hinterfragt, und trotz der forensischen Perspektive verläuft die Obduktion unspektakulär und unblutig; selbst später beim Scannen der Leiche halten sich Regie und Kamera vornehm zurück. Das ist für den Reihen-Einstieg die passende Tonlage. Aber je nach Geschichte und Genre-Mix sollte es künftig einen größeren Spielraum geben für diese andere Perspektive: die physische Erkundung des Todes. Die bereits etablierte Introspektion der Hauptfigur, ihre Zwiesprache mit der Toten, ist die beste Voraussetzung, dass sich mehr Skalpell und Blut nicht automatisch ins Spekulative bewegen muss. Sätze wie „Tolles Kleid, tolle Schuhe, Ohrringe, Kette; das sind erstklassige Perlen … Ihr Leben das hat-ten Sie doch im Griff – was ist denn dann passiert?“ kurz nach dem Leichenfund oder später auch psychologische Fragen, die die Wolff der Toten stellt, sind weniger realistische Reflexe auf den rechtsmedizinischen Berufsalltag; sie entspringen vielmehr der bereits erwähnten Kategorie „Was kann man bei einem Krimi im Detail anders machen“?. Das Wesentliche sind letztlich die Informationen, die die Zuschauer*innen bekommen. Diese durch das Zwiegespräch mit der Toten, die mehr oder weniger rhetorischen Fragen der Heldin, zu erhalten, anstatt allein auf den üblichen Gedankenaustausch mit dem Kollegen zu setzen, ist auf jeden Fall eine willkommene Abwechslung. Die einen spielen mögliche Mordszenarien durch, beamen sich in den Kopf des Täters, Theresa Wolff hat ein Herz für die Opfer.
Foto: ZDF / Steffen Junghans
Diese Totenversteherin setzt beim Leben an. Deshalb hält sie nichts im rechtsmedizinischen Institut. „Wo turnt denn die wieder rum?“, könnte zum geflügelten Satz des leidgeprüften Kollegen Brückner werden. Die Antwort darauf: Am liebsten in fremden Häusern ohne Durchsuchungsbefehl und möglichst allein. Spannung folgt auf dem Fuß; besonders das Schlussdrittel wird zum Nervenspiel. Die Heldin kommt dem Erleben des Opfers unbeabsichtigt nahe. Die Vortoderfahrung der ermordeten Ärztin wird in „Home Sweet Home“ von Wolff, also einer anderen Medizinerin, quasi nachgespielt. Über den Suspense-Effekt hinaus bekommt somit das Thema des Krimis (das noch nicht verraten werden soll) eine visuelle, sinnliche Entsprechung. Das geht weit über die sonst übliche verbale Krimi-Auflösung hinaus. Das man (nicht nur) solchen bigger-than-life-Genre-Momenten gerne folgt – das hat auch viel mit Hauptdarstellerin Nina Gummich („Die Wölfe“ / „Charité III“) zu tun, die das Selbstbewusstsein, das straighte, flinke Wesen und die gute Portion Berliner Humor ihrer Figur ungemein stimmig vermittelt. Ihr gelingt es bereits zum Einstand, ihre gut erdachte Theresa Wolff zum Leben zu erwecken. Dieser Charakter wirkt bereits rund, obwohl bislang – erfreulicherweise – nur die biographischen Fakten eingeführt wurden, die für diese erste Geschichte von Belang sind. So bleibt diese Frau spannend und für Überraschungen offen. Auch Thorsten Merten ist eine Klasse für sich und kann seine im „Spreewaldkrimi“ und „Tatort“ Weimar bewiesenen (Nehmer-)Qualitäten an der Seite der Hauptermittler – hier komisch, dort schwermütig ernst – in der neuen Reihe in einer Art Tonlagen-Synthese verschmelzen lassen. Seiner an Alzheimer erkrankten Frau stehen flapsige Dialogwechsel gegenüber. Brückner: „Sind Sie wahnsinnig, da einzubrechen!?“ Wolff: „Ne, ne, hab‘ ich nicht, die Terrassentür war offen.“ Brückner: „Frau Dr. Wolff, und ich bin der Osterhase.“
Man könnte „Theresa Wolff“ als Nachfolgerin von „Kommissarin Heller“ sehen. Beide ZDF-Samstagskrimis wurden bzw. werden von Ziegler Film entwickelt und produziert, und in beiden hat eine unkonventionelle junge Frau das Sagen. Doch im Gegensatz zur psychisch schwer angeschlagenen Ermittlerin aus Wiesbaden, deren privates Trauma die Auftaktepisode überdeutlich bestimmte, startet die Jenaerin frohen Muts in ihren neuen Job – trotz Gegenwind aus den eigenen Reihen. Auch diese sind mit Schauspielern wie Peter Schneider, Sahin Eryilmaz uns Lea Drinda („Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“) stark besetzt. Beim Cast insgesamt und den Nuancen im Spiel zeigt sich die Handschrift von Schauspieler-Regisseurin Franziska Buch („Käthe Kruse“ / „Eine wie diese“). Dagegen lässt sich – was Inszenierung und Eigenleben der Bilder angeht – künftig durchaus noch zulegen. Es fragt sich, ob diese eigenwillige Heldin, die in einer Fernbeziehung lebt und (wenn der Kritiker zwei Dialogsätze richtig verstanden hat) einen Vater hatte, der unlängst gestorben ist und auch bei der Jenaer Polizei war, irgendeine Leiche im Keller hat? Wenn ja, konnte sie das bisher gut verbergen.