Theresa Wolff – Der schönste Tag

Nina Gummich, Aurel Manthei, Thurn, Demke, Bruno Grass. Werde, der du bist

Foto: ZDF / Felix Abraham
Foto Tilmann P. Gangloff

In der sehenswerten dritten Episode mit Nina Gummich als eigenwillige Titelheldin der ZDF-Krimireihe „Theresa Wolff“ (Ziegler Film) sucht die Jenaer Rechtsmedizinerin nach dem Mörder eines Transmanns, der Mitglied einer Burschenschaft war; und das ist bei weitem nicht die einzige Überraschung, auf die die Ärztin bei den gemeinsamen Ermittlungen mit Hauptkommissar Lewandowski stößt. Das Autorenduo Hansjörg Thurn und Carl-Christian Demke erzählt die Geschichte mit großer Sorgfalt und angemessenem Feingefühl; wohl überlegt auch die Erklärungen zum diffizilen Thema Geschlechtsumwandlung. Viele Szenen lassen zudem erkennen, dass Regisseur Bruno Grass und Kameramann Andreas Doub die ungewöhnliche Handlung nicht gewöhnlich verpacken wollten. Während der bodenständige Polizist jenen Teil des Publikums repräsentiert, der das ganze Thema „irgendwie komisch“ findet, weckt die Ärztin mit einem beredten Bild Verständnis für die Betroffenen.

In der ARD-Freitagsreihe „Praxis mit Meerblick“ ging es kürzlich um ein zehnjähriges Mädchen, das als „Leon“ auf die Welt gekommen ist, mit vier Jahren aber den Namen Lea gewählt hat („Dornröschen“). Die dritte „Theresa Wolff“-Episode mit Nina Gummich als Jenaer Rechtsmedizinerin erzählt, wie so eine Geschichte weitergehen kann, wenn auch mit anderem Vorzeichen: Ein junger Mann ist mit dreistündiger Zeitverzögerung gestorben; nach einem Schlag auf den Kopf hat sich unter der Schädeldecke ein Hämatom gebildet, das schließlich zum Zusammenbruch führte. Der BWL-Student heißt Patrick Kempter (Rafael Gareisen), aber auf dem Sektionstisch erlebt die Ärztin eine Überraschung: Für seinen verwitweten Erzeuger heißt er nach wie vor Manuela; nach der Geschlechtsumwandlung wollte der Vater keinen Kontakt mehr zu seinem Kind.

Theresa Wolff – Der schönste TagFoto: ZDF / Felix Abraham
Noch ziemlich lebendig. Verliebt tanzen Isabelle Saleh (Nina Wolf) und Patrik Kempter (Rafael Gareisen) miteinander. Den eifersüchtigen Blick vom Rande der Tanzfläche bekommen sie nicht mit.

Die Szene mit dem Abschied für immer ist bitter, aber sie verdeutlicht, mit welcher Sorgfalt Hansjörg Thurn, Carl-Christian Demke (Buch) und Regisseur Bruno Grass – das Trio hat auch die letzte „Theresa Wolff“-Episode („Waidwund“, 2022) verantwortet – vorgegangen sind. Grass und Kameramann Andreas Doub haben die ungewöhnliche Geschichte angemessen umgesetzt: Theresa und Hauptkommissar Lewandowski (Aurel Manthei) sitzen beim alten Kempter (Robert Kuchenbuch) im Wohnzimmer. Als die Rechtsmedizinerin nach der letzten Begegnung fragt, klopft es an der Terrassentür, Kempter schaut hoch, Theresa folgt seinem Blick, dann zeigt eine Rückblende das entsprechende Gespräch zwischen Vater und Sohn. Ähnlich sensibel ist der Umgang mit dem Thema. Der Reiz des Drehbuchs resultiert aus einem speziellen Kontrast, denn Patrick lebte, offenbar nach dem Motto „Wenn ich’s hier schaffe, dann schaff’ ich’s überall“, im Wohnheim einer Burschenschaft. Als er noch Manuela hieß, war er Jugendmeisterin im Modernen Fünfkampf; kein Wunder, dass er den anderen Mitgliedern der schlagenden Verbindung beim Fechten deutlich überlegen war. Frauen sind im Haus der „Alemannia“ nur als Gäste geduldet, und selbstredend ist der Senior (Marius Ahrendt) ein besonders unangenehmer Bursche, aber angeblich wussten Patricks Mitbewohner nichts von der Geschlechtsumwandlung. Trotzdem ist Theresa überzeugt, dass sein Tod ursächlich damit zusammenhängt, zumal er Opfer einer gezielten Gewalttat gegen den Genitalbereich geworden ist.

Theresa Wolff – Der schönste TagFoto: ZDF / Felix Abraham
Gutes Duo: die Rechtsmedizinerin (Nina Gummich) und der Bulle (Aurel Manthei). Die moderat komödiantische Note aus dem Auftaktfilm mit Thorsten Merten als Kommissar ist allerdings verloren gegangen.

Natürlich bedarf es angesichts des Themas allerlei Erklärungen; erst recht, weil die Person, um die es geht, die Informationen nicht mehr aus erster Hand liefern kann. Thurn und Demke nutzen die nötigen Erläuterungen, um Theresas nur bedingt sympathischen Kollegen aus der Schmollecke zu holen: Bernhard Zeidler (Peter Schneider) hatte sich schon als Leiter des Instituts für Rechtsmedizin gesehen, bevor sie ihm vor die Nase gesetzt wurde. Das Betriebsklima ist nach wie vor nicht gerade herzlich, aber fachlich bewegen sie sich auf Augenhöhe, und da sich Zeidler als Gutachter mit geschlechtsangleichenden Maßnahmen befasst, kann er den nötigen Hintergrund beisteuern: Ein flüchtiger Blick genügt, um ihn erkennen zu lassen, dass bei Patricks Operationen gepfuscht worden ist. Davon abgesehen sind die Ausführungen des Arztes auch sehr interessant, denn wer außer den Betroffenen weiß schon, wie kompliziert das gesamte Procedere ist; und das gilt keineswegs nur für den medizinischen Teil.

Für Abwechslung sorgt die neue Praktikantin (Johanna Graen), die gleich mehrfach entlassen wird, weil sie einen Fehler nach dem anderen begeht, aber fast ebenso oft wieder zurück ins Team darf, da sie mit Neuigkeiten aufwarten kann, die Theresa weiterhelfen. Eine zusätzliche Verblüffung erwartet die Ärztin im Alemannia-Haus: Als „Alter Herr“ entpuppt sich ausgerechnet ihr hochgeschätzter ehemaliger Professor für Neurochirurgie (Heikko Deutschmann). Originell ist auch die Idee, dass die etwas eigenwillige Ärztin dank einer Mischung aus Hütchenspiel und Familienaufstellung erkennt, welche Rolle der Vater in der ganzen Sache spielt. Witzigerweise kommt Lewandowski mit einer völlig anderen Methode zum selben Schluss. Der bodenständige Polizist repräsentiert jenen Teil des Publikums, der das Thema Trans-Identät ähnlich wie er „irgendwie komisch“ findet, weshalb Theresa die Aufgabe zukommt, Verständnis zu wecken: Als sie die Bahre mit Patricks Leiche an den Toiletten vorbeischiebt, sieht sie vor ihrem geistigen Auge, wie er die Tür zum Herrenklo öffnet, sich zwischen zwei Männer ans Pissoir stellt, erst nach links und dann nach rechts schaut und sich darüber freut, endlich offiziell im Stehen pinkeln zu können.

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Reihe

ZDF

Mit Nina Gummich, Aurel Manthei, Peter Schneider, Nina Wolf, Rafael Gareisen, Thimo Meitner, Sahin Eryilmaz, Heikko Deutschmann, Marius Ahrendt, Johanna Graen

Kamera: Andreas Doub

Szenenbild: Jürgen Schäfer

Kostüm: Bettina Weiß

Schnitt: Simone Klier

Musik: Johannes Kobilke

Redaktion: Matthias Pfeifer

Produktionsfirma: Ziegler Film

Produktion: Tanja Ziegler

Drehbuch: Hansjörg Thurn, Carl-Christian Demke

Regie: Bruno Grass

Quote: 5,93 Mio. Zuschauer (23,8% MA)

EA: 06.05.2023 20:15 Uhr | ZDF

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