Die Szene geht an die Nieren: Eine junge Frau liegt nackt und mit Paketband gefesselt und geknebelt auf dem eigenen Bett und wartet hilflos auf die Rückkehr ihres Peinigers, der kurz drauf zu ihrem Mörder wird. Natürlich ist die besonders intensive Wirkung dieser Bilder auch eine Frage der Inszenierung; vor allem aber sind sie unerwartet. Krimis aus Münster, ganz gleich, ob im Rahmen der Reihen „Tatort“ oder „Wilsberg“, ergänzen die kriminalistische Spannung stets um gewisse komödiantische Elemente. Die Grenze zur Parodie wird zwar nie überschritten, aber gern gestreift. Das ist in diesem „Tatort“ anders. Die üblichen Frotzeleien zwischen Hauptkommissar Thiel und dem Gerichtsmediziner Boerne sind verletzender als sonst, der Tonfall ist deutlich schärfer. Das hat zwei Gründe: Thiel nimmt sich diesen Fall besonders zu Herzen; und er ist der einzige, der sich weigert, eine Lösung zu akzeptieren, die sich alsbald aufdrängt. Kurz vor ihrem qualvollen Tod hatte die Studentin Besuch von ihrem Ex-Freund. Der Mann war Kriegsfotograf und litt seit einer Gefangenschaft unter einem Trauma. Nun ist er tot, vor ein Auto gelaufen, der Fall ist gelöst, die Akte kann geschlossen werden. Bloß Thiel ist überzeugt, dass in Münster ein Serienvergewaltiger sein brutales Unwesen treibt. Seine einzige Zeugin ist allerdings völlig durch den Wind, ihre Aussagen kaum zu gebrauchen; und Thiel engagiert sich emotionaler, als es seinen Ermittlungen gut tut.
Gelegentliche humoristische Einlagen sollen die ungewohnte Düsternis des Films von Kilian Riedhof aufbrechen, wirken aber prompt deplatziert; etwa wenn Thiel bei der Verfolgung des Fotografen in ein Regenfass plumpst. Völliger Fremdkörper sind die regelmäßigen Besuche Boernes einer Partnerschaftsvermittlung im Internet; die Dame, die er mit seinen lyrischen Chat-Botschaften („Ozean der Einsamkeit“) zu einem Rendezvous überreden kann, entpuppt sich ausgerechnet als seine kleinwüchsige Assistentin Alberich. Um so geschickter und geradezu perfide ist den Autoren, Regisseur Riedhof & Marc Blöbaum, ein Ablenkungs-Manöver gelungen, das die Geduld des Publikums enorm strapaziert, weil man Thiel gemeinsam mit seinen Kollegen komplett auf dem Holzweg wähnt; ein Irrtum mit beinahe tödlichen Folgen. Dass am Ende doch alles gut gehen wird, signalisiert Riedhof mit einer T-Shirt-Botschaft von unverhoffter Ironie. Thiel ist ja, wie Fans des „Tatorts“ aus Münster wissen, Anhänger des FC St. Pauli, was er auch gern durch entsprechende Kleidung dokumentiert. Der Club hat vor einigen Jahren T-Shirts verkauft, deren Erlös zur Rettung des Vereins beitrugen. Und das steht auch auf diesen T-Shirts drauf: „Retter“.