Tatort – Weiter, immer weiter

Behrendt, Bär, Wiesnekker, Nolting/Scharf, Sebastian Ko. Mächtig „over the top“

Foto: WDR / Martin Valentin Menke
Foto Tilmann P. Gangloff

„Weiter, immer weiter“ (Bavaria Fiction) hätte ein richtig guter Krimi werden können, aber ausgerechnet Regisseur Sebastian Ko, der für den WDR zuletzt drei vorzügliche Kölner „Tatort“-Beiträge gedreht hat, lässt seine Schauspieler ständig übers Ziel hinaus schießen. Weil sie ausnahmslos zu dick auftragen, wirken die Figuren und ihre Taten oftmals unglaubwürdig. Dabei zeigen Auftakt, Finale und eine packende Action-Szene in der Mitte, wie gut Ko sein Handwerk versteht: Ein Streifenpolizist ist überzeugt, die russische Mafia sei Schuld am Tod eines jungen Mannes, der vor eine Straßenbahn gelaufen ist. Da Ballauf keinen Ermittlungsbedarf sieht, recherchiert jener auf eigene Faust. Am Ende sorgt das Drehbuch für einen Knüller, der noch verblüffender wäre, wenn die Autoren des vor zwei ausgestrahlten Schwarzwaldkrimis „Damian“ nicht schon die gleiche Idee gehabt hätten.

Eigentlich müssten die verschiedenen ARD-Sender schon aus Kostengründen perfekt miteinander vernetzt sein. Da die Kommunikation aber anscheinend nicht so gut funktioniert, wie sie könnte und sollte, kommt es im Fernsehfilmbereich gelegentlich zu Doubletten, weil zwei Redaktionen ähnliche Stoffe entwickeln lassen. Überschneidungen kann es natürlich auch bei erzählerischen Stilmitteln geben, was sich nur vermeiden ließe, wenn irgendjemand einen detaillierten Überblick über die verschiedenen Projekte hätte. Das ist anscheinend nicht der Fall, denn sonst hätte diese Person vermutlich verhindert, dass das „Erste“ zwei Wochen nach dem Schwarzwalddrama „Damian“ einen Krimi aus Köln ausstrahlt, der auf exakt die gleiche Offenbarung am Schluss setzt. Das allein ist programmplanerisch schon mal ausgesprochen ungeschickt. Hinzu kommt, dass die Erkenntnis, die ganze Zeit an der Nase herumgeführt worden zu sein, in diesem Fall längst nicht so verblüffend ist wie beim Breisgau-„Tatort“: weil sich viele erfahrene Krimihasen gar nicht erst täuschen lassen.

Zweites Manko ist die Darstellerführung. Regisseur von „Weiter, immer weiter“ ist Sebastian Ko, der im Rahmen des „Tatort“ zuletzt drei sehenswerte Filme für den WDR gedreht hat. „Kartenhaus“ (2016) war ein Krimi im Stil von „Bonnie & Clyde“, „Wacht am Rhein“ (2017) ein beklemmendes Drama über die Spätfolgen der Kölner Silvesternacht, „Mitgehangen“ eine Geschichte mit einem scheinbar klaren Fall, aber zwei äußerst zerstrittenen Kommissaren, da Schenk dem Kollegen Ballauf vorwarf, rücksichtslos eine Familie zu zerstören. Auch diesmal sorgt das Drehbuch (Arne Nolting, Jan Martin Scharf) dafür, dass sich die beiden Ermittler entzweien, doch nun sind die Auseinandersetzungen deutlich weniger glaubwürdig: Wenn ein Konflikt konstruiert ist, können das selbst erfahrene Akteure wie Dietmar Bär und Klaus J. Behrendt nicht kaschieren. Die entsprechenden Szenen wirken daher „over the top“, also immer eine Spur zu laut oder zu aggressiv. Das gilt auch für die Hauptrolle, obwohl sie mit Roeland Wiesnekker gleichfalls vorzüglich besetzt ist.

Tatort – Weiter, immer weiterFoto: WDR / Martin Valentin Menke
Mirko Pohl (Vincent Redetzki) will Rache: Er hat erfahren, wer am Tod seines Bruders Schuld ist. „Tatort – Weiter, immer weiter“

Der HörZu-Kritiker ist begeistert: „Neues Revier, Roland Riebelings Assistentenrolle weiter ausgebaut und dramatische Verwicklungen in Parallelsträngen, die stimmig zueinanderfinden. Und der besessen agierende Lorenz ist wieder einmal eine Figur nach Maß für Roeland Wiesnekker“

Der Schweizer spielt einen Streifenpolizisten, mit dem Schenk vor vielen Jahren während der Ausbildung befreundet war. Die beiden haben sich aus den Augen verloren, als Frank Lorenz nach Düsseldorf gewechselt ist. Nachdem ihn eine Scheidung aus der Bahn geworfen hat, ist er wieder nach Köln zurückgekehrt und zu seiner Schwester gezogen. Die Handlung beginnt mit einer Verkehrskontrolle, die aus dem Ruder läuft: Ein gehetzt wirkender junger Mann springt aus dem Auto und rennt vor eine Straßenbahn. Der schockierte Lorenz kann noch einen Blick auf die Verfolger des Opfers erhaschen. Seine Beschreibung des Fahrzeugs führt zu einer russischen Familie, die offenbar zur organisierten Kriminalität gehört. Lorenz ist überzeugt, der Junge sei den Russen bei einem Drogendeal in die Quere gekommen. Die Ermittlungen verlaufen im Sande, weil sich außer der Aussage des Polizisten keine weiteren Hinweise oder Indizien finden lassen; auf den Bildern der Überwachungskameras ist nicht mal das Fahrzeug der Gangster zu sehen. Zunächst glaubt Lorenz, das Auto befinde sich im toten Winkel hinter einem Lieferwagen, aber als er von einem Informanten erfährt, dass es einen Maulwurf bei der Polizei gibt, ist er überzeugt, dass die Bilder manipuliert worden sind. Weil er niemandem mehr vertrauen kann, führt er die Ermittlungen auf eigene Faust.

Das ist eine gute Krimistory, keine Frage, und Wiesnekker ist eine ausgezeichnete Besetzung für den Beamten, der sich in eine fixe Idee verrennt und wie besessen nach der Wahrheit sucht. Nolting und Scharf, für „Weinberg“ und „Club der roten Bänder“ mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet, haben ihre Autorenqualität schon oft bewiesen, zuletzt unter anderem mit „Alles was Sie sagen“ (2018), einem NDR-„Tatort“ mit Wotan Wilke Möhring und Franziska Weisz, dessen Rückblendenkonstruktion ein raffiniertes Spiel mit den Zuschauern getrieben hat. Etwas Ähnliches, wenngleich ohne Rückblenden, schwebte ihnen offenbar auch mit „Weiter, immer weiter“ vor. Der Titel bezieht sich auf einen Monolog des von Schenk zu Recht als „eigenwilliger Charakter“ beschriebenen Polizisten, aber auch diese Szene ist viel zu dick aufgetragen, zumal er einer Kollegin lauter Dinge erzählt, die sie selber weiß: Dutzende von Überstunden, Personalmangel, keiner dankt es einem etc. Außerdem echauffiert sich Lorenz darüber, dass ihn seine Vorgesetzten zum „Seelenklempner“ schicken wollen, eine typische Wortwahl, mit der sich Autoren in vermeintlicher Übereinkunft mit ihrem Publikum gern von geistigen Berufen distanzieren. Später nennt Lorenz Anwälte „Paragrafenreiter“; das gehört in die gleiche Schublade und diskreditiert diese tragische Figur eher, als dass es ihr nützt. Die Emphase, mit der Wiesnekker immer wieder agieren muss, wirkt ohnehin übertrieben. Zur Ruhe kommt er nur in den Gesprächen mit seiner Schwester, die ihn als Stimme der Vernunft zur Besonnenheit mahnt.

Tatort – Weiter, immer weiterFoto: WDR / Martin Valentin Menke
Der Polizist (Roeland Wiesnekker), der Augenzeuge der Tat war. Klaus J. Behrendt und Dietmar Bär in ihrem 74. Köln-„Tatort“

TV-Spielfilm urteilt:
„Feinsinnige Einsamkeitsstudie – erzählt in impressionistischen Bildern, die genaues Hinsehen erfordern. Gut konzipiertes und gespieltes Psychodrama“

Da Ko die meisten anderen Szenen überinszeniert, fallen diese Momente der stillen Einkehr auf verräterische Weise aus dem Rahmen. Das ist bedauerlich, weil die Geschichte eigentlich ziemlich gut ist und am Ende einige kleine Knüller präsentiert, die auch dann noch funktionieren, wenn man den Autoren längst auf die Schliche gekommen ist. Dass Ko sein Handwerk versteht, belegen der packend inszenierte Auftakt, das dramatische Finale sowie eine spannende Actionszene in einer Waschstraße, als Lorenz mit ansehen muss, wie der Informant vor seinen Augen erschossen wird. Die Bildgestaltung (Moritz Anton) ist ohnehin ausgezeichnet, die Musik von Olaf Didolff deckt ein breites Spektrum ab: von treibendem Elektrosound in den Thrillerpassagen bis zu zärtlich-sanften Chopin-Melodien, wenn Mirco Pohl (Vincent Redetzki) um seinen toten Bruder trauert. Für den jungen Mann gilt allerdings das gleiche wie für anderen Darsteller. Seine Mischung aus Leid und Zorn ist verständlich, aber auch er muss die Emotionen viel zu sehr ausleben, was ihn leicht irre wirken lässt. Ballauf und Bär schließlich müssen einen Konflikt austragen, der anders als in „Mitgehangen“ nicht auf moralischen Beweggründen basiert und daher nicht überzeugt: Während Schenk, von Lorenz etwas zu oft „Schenki“ genannt, den Schilderungen des Kollegen nicht zuletzt aus alter Verbundenheit glaubt und prompt ausrastet, als Ballauf die Ermittlungen für beendet erklärt, wirkt dessen Arroganz gegenüber dem Streifenbeamten genauso unmotiviert wie Schenks Aggressionen gegen den allerdings in der Tat aufreizend träge agierenden Assistenten Jütte (Roland Riebeling), den er schließlich gar für den Maulwurf hält. Der teure Oldtimer, den sich Jütte mit dem vermeintlichen Bestechungslohn anschafft, entpuppt sich als Modellauto; ein treffendes Bild für diesen Film, der ein großer Krimi hätte werden können.

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Reihe

WDR

Mit Klaus J. Behrendt, Dietmar Bär, Roeland Wiesnekker, Roland Riebeling, Joe Bausch, Laina Schwarz, Vladimir Burlakov, Vincent Redetzki, Jewgenij Sitochin, Annette Paulmann, Ekaterina Medvedeva

Kamera: Anton Moritz

Szenenbild: Michaela Schumann

Kostüm: Martina Jeddicke

Schnitt: Dora Vajda

Musik: Olaf Didolff.

Soundtrack: The Moody Blues („Nights in White Satin“)

Redaktion: Götz Bolten

Produktionsfirma: Bavaria Fiction

Produktion: Sonja Goslicki

Drehbuch: Arne Nolting, Jan Martin Scharf

Regie: Sebastian Ko

Quote: 10,57 Mio. Zuschauer (29,1% MA)

EA: 06.01.2019 20:15 Uhr | ARD

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