Keine Frage, diese Natascha Klein (Suzan Anbeh) ist ein echter Hingucker und eine schillernde Persönlichkeit. Mit ihrer Internet-Partneragentur „Lovecast“ hat die von der Presse als „Liebes-Päpstin“ betitelte Unternehmerin gerade den zwanzigmillionsten Kunden an Land gezogen. Jetzt wird gefeiert. Ihr Geschäftsführer Gerd Machnow (Bernd Moss) schenkt ihr eine kleine Statue. Und wenig später wird Natascha mit diesem Ding in ihrem Büro erschlagen. Neben der Leiche findet die Polizei einen Briefumschlag mit fünfzigtausend Euro. Also: Kein Raubmord. Hier hatte wohl jemand eine ganz persönliche Rechnung mit der schönen Frau offen. War es ein enttäuschter Kunde? Oder der Ehemann Jörg Klein (Holger Daemgen)? Max Ballauf und Freddy Schenk stoßen auf mehrere Frauen, die durch die Agentur einem Heiratsschwindler zum Opfer gefallen sind und um erhebliche Geldbeträge betrogen wurden. Staatsanwalt von Prinz (Christian Tasche in seinem 31. „Tatort“-Einsatz, noch während der Dreharbeiten verstarb der Schauspieler) empfiehlt den Kommissaren, eine Frau als Lockvogel auf den Betrüger und möglichen Täter anzusetzen. Und er hat auch gleich einen Vorschlag: die neue Aushilfsassistentin Gabi (Kathi Angerer). Die ist ob der Aufgabe begeistert, macht sich gemeinsam mit Polizeipsychologin Lydia Rosenberg (Juliane Köhler) gleich an eine Kontaktanzeige bei „Lovecast“. Und die bleibt nicht lange unbeantwortet…
Seit 1997 sind Behrendt und Bär als Ballauf und Schenk ein „Tatort-Team“. Spezialität der Kölner: aktuelle gesellschaftliche Themen werden in spannender Form aufbereitet. Zuletzt wich man einige Male von dieser Vorgehensweise ab, man denkt nur an „Franziska“. Doch der „Tatort – Wahre Liebe“ bietet wieder einen eher bodenständigen Fall. Wie meist ist das Thema – hier Partnersuche im Internet – verbunden mit den persönlichen Geschichten der Kommissare. Auch Ballauf ist – man erinnert sich – wieder mehr oder weniger verbandelt, mit der Polizeipsychologin Rosenberg. Die Beziehung geht weiter, auch wenn der Kommissar diesmal ein wenig vom Internet-Dating-Virus infiziert zu sein scheint. Autor Maxim Leo (Berliner Journalist und Co-Autor von „Sprechende Männer. Das ehrlichste Buch der Welt“) zeigt viele Facetten dieser virtuellen Suche, die auch als (pseudo)wissenschaft-lich ausgeklügeltes System gepriesen wird. Was ist anders als früher? Einer der Dater bringt es nach langem Chatten beim ersten Treffen auf den Punkt: „Man lernt sich von innen nach außen kennen“. Erst erfährt man viel über den anderen, erst dann kommt das Visuelle hinzu.
Der Drehbuchautor spielt alles durch, da darf auch der moderne Heiratsschwindler 2.0 – hier wird er der „Zauberer“ genannt und benutzt Namen wie Jim, Serge und Tibor – nicht fehlen. Drei seiner Opfer führt Regisseur André Erkau (bislang ausschließlich Kino: „Arschkalt“) in einer feinen Sequenz vor: Der Reihe nach tanzen sie bei den Kommissaren an und haben nur nette Worte für den kurzzeitigen Mann ihrer Träume. Inszeniert hat Erkau diese Szenen leicht überhöht, beinahe schon ironisch – das nimmt die Schwere, sorgt für ein frisches Element. Zwei der drei Frauen sind aber nur Nebenfiguren, die dritte steht für die Tragik des Themas. Doch eine andere Frau setzt in diesem „Tatort – Wahre Liebe“ die Akzente: Gabi, die neue, ein wenig naiv wirkende Assistentin der Köln-Cops. Kathi Angerer („Blond bringt nix“) spielt sie als zunächst unscheinbares Mädchen, das immer mehr ins Zentrum rückt, und schließlich für Spaß und Action sorgt. Seit dem Abschied von Franziska alias Tessa Mittelstaedt wechseln die Assistenten des Kommissar-Duos, diese Gabi ist am bisher schlüssigsten eingebunden. Nicht zuletzt, weil sie als Lockvogel im Internet auch die Geschichte wesentlich vorantreibt.
Nach nach 20 Minuten haben Ballauf/Schenk ihren Mörder – dass er es nicht sein kann, wird schnell klar. Eine Weile treiben Maxim Leo & André Erkau das Internet-Partnersuche-Thema noch voran, der Regisseur flechtet sehr schön eine weiche Bildfolge von sehnsüchtigen, suchenden Menschen ein. Freddy Schenk darf dann noch zu den Klängen von T.Rex‘ „Hot Love“ das Liebesnest des getöteten „Liebes-Engels“ inspizieren. Doch spätestens ab diesem Moment entwickelt sich der „Tatort“ zu einer der üblichen Eifersuchts-Geschichten. Am Ende hat Assistentin Gabi einen Bekannten aus dem Internet, Max seine Polizeipsychologin, Freddy ist glücklich in seiner Beziehung und ein roter, herzförmiger Luftballon steigt in den Himmel. Fast ein bisserl zu viel des Glücks. Oder aber „Wahre Liebe“? (Text-Stand: 22.8.2014)