Es beginnt mit Bildern einer NGO-Krankenstation in Guinea. Ein Arzt nimmt seinen Rucksack und lässt todkranke Menschen zurück. Wenig später liegt im beschaulichen Pöllau in der Oststeiermark ein Afrikaner tot in einem Steinbruch. Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und Bibi Fellner (Adele Neuhauser) knöpfen sich den Betreiber des Steinbruchs, Thomas Reuss (Martin Niedermair), vor. Der wollte am Vortag unbedingt eine Sprengung durchführen. Eine weitere Spur führt zu seinem Bruder Albert (Andreas Kiendl), der als Arzt für Hilfsorganisationen in Westafrika arbeitete und nun in der Heimat einen Fluchthof für Asylsuchende betreibt. Die Bewohner schweigen sich aus. Doch das Obduktionsergebnis der Leiche bringt Bewegung in den Fall: Der Tote ist mit Ebola infiziert! Ein Seuchenkommando rückt an, in Pöllau wird der Notstand ausgerufen, das Dorf unter Quarantäne gesetzt. Mitten in der Ebola-Hysterie müssen Eisner und Bibi einen kühlen Kopf bewahren. Je mehr sie über den Toten erfahren und die Hintergründe, die ihn nach Österreich führten, umso bedrohlicher wird der Fall. Ein Wettlauf mit der Zeit. Jeder könnte sich mit dem Virus angesteckt: jeder!
Nach „Grenzfall“ und „Schock“ hat Rupert Henning seinen dritten politisch & gesellschaftlich brisanten „Tatort“ geschrieben. Diesmal nimmt er sich der weltweiten Furcht vor dem todbringenden Fieber namens Ebola an und zeigt im „Tatort – Virus“ auf, dass ein einziger Infizierter genügen kann, um die Krankheit nach Europa zu bringen. Die Story ist raffiniert entwickelt. Und damit – und das gehört zu den markanten Merkmalen der österreichischen Beiträge für die ARD-Reihe – das schwere Thema nicht zu bleiern rüberkommt, lockert Henning es auf mit den kleinen Schmankerln der Kommissare. Erst müssen sich Moritz und Bibi beim Ring- und Nahkampf auf der Turnmatte einem Fitnesstest unterziehen, dessen Ergebnis ihr Vorgesetzter Ernst Reuter (Hubert Kramar) mit dem Wort „erschütternd“ kommentiert, dann schneidet sich Bibi bei dem Versuch, ein Huhn fachgerecht zu zerlegen in die Hand und zischt Moritz entgegen: „Warum koch ich alte Urschel eigentlich für dich, wenn ich Geburtstag habe“. Dann frotzeln beide herrlich politisch unkorrekt über die Begriffe Neger, Schwarzer und Afrikaner – bis Bibi ihrem Kollegen mit tiefer Stimme ein „Jawohl, Massa“ entgegenwirft. Für weitere heitere Momente sorgen der in Wien gebliebene Kollege Schimpf (Thomas Stipsits) und Gerichtsmediziner Kreindl (Günter Franzmeier), der beim Sezieren der Leiche mit Moritz über seine Wirkung auf junge Frauen philosophiert. Insgesamt ist der Witz diesmal aber deutlich reduziert eingesetzt, was dem Thema angemessen ist. Für spitze Dialoge bleibt dennoch Raum. „Ich habe eine leichte Konjunktivallergie“ weist Bibi den jungen Dorfpolizisten zurecht, der seinen Ermittlungsstand stets in der Möglichkeitsform weitergibt. Und Moritz bleibt angesichts der Gutmenschen-Attitüde des Fluchthof-Leiters skeptisch: „Soviel Anständigkeit auf einem Haufen, das ist fast schon unheimlich.“
Was Rupert Henning als Autor und Regisseurin Barbara Eder („Inside America“, „Thank You for Bombing“), die bisher eher für ORF-TV-Produktionen wie den Landkrimi „Kreuz des Südens“ und „CopStories“ verantwortlich zeichnete, bei ihrem „Tatort“-Debüt bestens hinbekommen, ist eine herrliche Typenparade in der österreichischen Provinz. Figuren, ob in kleinen oder größeren Rollen, die lebendig und interessant, keinesfalls gekünstelt wirken, und aus deren Mündern die eingestreuten Informationen zu Flüchtlingshilfe oder Ebola-Virus nicht aufgesagt wirken, sondern man ihnen dabei gerne zuhört, weil hier auch pointiert gearbeitet wird. Da ist der dauerquasselnde Hundebesitzer, der die Leiche gefunden hat; der südosteuropäische Sprengmeister, der beflissentliche Dorfpolizist oder der Wirt, der das Denken und Handeln im Dorf auf den Punkt bringt. Mit viel Gespür setzt die Regisseurin auch diese Figuren in Szene. Und wenn in der Provinz dann der Ausnahmezustand ausgerufen wird und die Gesundheitsbehörde anrückt, gibt es auch da eine leicht überhöhte, aber geerdete Figur, die köstlich zwischen Bürokratie & Sarkasmus pendelt und die Kommissare anraunzt: „Das kann doch nicht sein, dass die da draußen immer noch Räuber und Gendarm spielen“.
Das brisante Thema aus der Großstadt Wien raus in die Provinz zu verlegen, ist ein kluger Schachzug. Hier kann man die Bedrohung dichter inszenieren, der Dorfplatz wird so etwas wie der zentrale Punkt, an dem man aufzeigen kann, wie ein Seuchen-Notfallplan umgesetzt wird. So spart man sich Massenszenen, bricht die globale Bedrohung überschaubar herunter. Der „Tatort – Virus“ hat alles, was ein guter Fernsehkrimi braucht: starke Figuren, eine spannende Inszenierung, eine packende Story. Und er baut auf ein moralisches wie politisches Thema mit einer klaren, aber unterhaltsam verpackten Botschaft: Wenn wir nicht mithelfen, die Seuchen in armen Ländern zu bekämpfen, dann kommen sie zu uns. „Dass da bisher noch keiner draufgekommen ist“, sagt Bibi über den fatalen Plan, mit dem die Kommissare hier konfrontiert werden. Und sie kommt dem Virus näher als ihr lieb ist. (Text-Stand: 5.8.2017)