Eine Lebenslüge bricht auf. In einer trüben Disco-Nacht Ende der 70er Jahre beginnt die schicksalhafte Geschichte zweier Schwestern. Ein Unfall, ein Kirchenraub, eine ungewollte Schwangerschaft – fast vergessen schien das alles. Über 20 Jahre später holt die beiden Frauen die Vergangenheit ein. Nach dem “Glockenbachviertel” führen die Spuren auch beim neuesten BR-”Tatort” in die Geschichte. “Viktualienmarkt” ist außerdem ein Krimi rund um eine der größten Attraktionen der weißblauen Landeshauptstadt. Dem urmünchnerischen Alltag und Ambiente sei die Geschichte abgelauscht, so Autor Ingmar Gregorzewski. “Viktualienmarkt – so könnte die heile Welt ausschauen. Aber es gibt hier auch so eine Art ‘dunkle’ Tradition: Die Hand wächst aus dem Grab und reißt alles unaufhaltsam mit sich.”
“Da liegt sie dann, die Leiche – und nichts ist mehr wie vorher”, sagt Gregorzewski. Und die ist bei diesem “Historien”-Krimi von Berthold Mittermayr nicht mehr ganz frisch. Sie zu identifizieren sei “echte Knochenarbeit”, witzeln Batic und Leitmayr: der Tote starb vor 21 Jahren. Das Skelett wird an einer Bundesstraße vor Münchens Toren gefunden. An der Nähe des Leichenfunds hatten die Schwestern König, heute “Standl”-Besitzer auf dem Viktualienmarkt, 1978 einen schweren Unfall. Zur selben Zeit wurde damals eine kostbare Heiligenfigur aus der nahegelegenen Wallfahrtskirche gestohlen. Als der Tote anhand eines Personalausweisbildes doch noch identifiziert wird, sieht der aus wie Luise Königs Sohn. Ist jener Andi das Kind des Toten? Bald liegt auch sein vermeintlicher Vater tot im “Standl”.
Die beiden Kommissare tappen lange Zeit im Dunkeln. Da bleibt zunächst viel Zeit für die gewitzten Schmankerl zum Thema Essen. Während Batic Mitglied im angesehenen Gourmet-“Club der Topfgucker” werden möchte, schaut Kollege Menzinger lieber nach seinen Weißwürsten in der neu erstandenen Mikrowelle. Das mundet. Aber auch der Krimi kommt nicht zu kurz. Der Zuschauer ist den Kommissaren bei diesem Fall mehr als eine Nasenspitze voraus, weiß einiges, ahnt vieles und webt sich über die beiden Täterinnen, die zugleich Opfer ihrer Lebenslüge sind, hinein in die menschlichen Verwicklungen und tragischen Verstrickungen, von denen es einige zu viel gibt in diesem BR-”Tatort”. Auch die Charaktere sind etwas holzschnittartig angelegt: hier die berechnenden Kopfmenschen, da die etwas orientierungslosen kleinen Leut’. Ein Gegensatz, der auch die Schwestern auszeichnet. Doch ihre Darstellerinnen füllen die Rollen mit satter bajuwarischer Kraft: Sissy Höfferer gibt die große Schwester überlegt und abgeklärt, während Carin C. Tietze eine junge, frustrierte Marktfrau verkörpert, der die Angst ins Gesicht geschrieben ist. (Text-Stand: 2000)