Falke und Lorentz ermitteln gegen Kollegen
Graue Herbsttage. Die Ermittlungen in einer niedersächsischen Kleinstadt setzen Kommissar Falke gehörig zu. Zunächst prügelt er einen vermeintlichen Kontaktmann eines internationalen Schleuserrings krankenhausreif. Und als sich dann herausstellt, dass die Polizeiaktion ein einziges Missverständnis war und es sich bei dem Schwarzafrikaner um einen unbescholtenen Asylbewerber handelt, ist dieser bereits tot – verbrannt in seiner Zelle. Das schlechte Gewissen sitzt dem Kommissar im Nacken. Obwohl die Bundespolizei nicht zuständig ist, will Falke unbedingt die Klärung der Todesursache selbst in die Hand nehmen. Ganz zum Leidwesen von Katharina Lorenz: Der Gewaltausbruch ihres Kollegen bei der Festnahme hat bei ihr Spuren hinterlassen. Als sie Falke später mitteilt, dass sie den Polizeidienst quittieren wird, reagiert er zunächst fassungslos. Der eigene Ausraster, ein Polizeipräsidium, in dem mal eben über Nacht ein Mann unter mysteriösen Umständen zu Tode kommt und alle Kollegen dicht halten – und dann auch noch das! Es sind die Tage um den 3. Oktober – aber Deutschland zu feiern, dafür gibt es keinen Grund. In diesem Nest stinkt es gewaltig.
Regisseur Thomas Stuber über einen Aspekt des Realismuskonzepts:
„Unter unseren Komparsen waren auch wirkliche Flüchtlinge. Alles sieht aus wie in der Realität. Ich wollte keine künstliche filmische Distanz schaffen, die es dem Zuschauer erlaubt, sich zurückzulehnen und zu sagen: So etwas gibt es bei uns nicht. Er ist gezwungen, in die Umstände einzutauchen.“
Der ganz alltägliche Rassismus und Fremdenhass
Auch wenn sich Autor Stefan Kolditz („Unsere Mütter, unsere Väter“) für den „Tatort – Verbrannt“, den sechsten Fall um das Bundespolizisten-Duo Falke/Lorenz, von einem realen Vorfall vor zehn Jahren in Dessau in Sachsen-Anhalt hat inspirieren lassen, so musste der triste Osten erfreulicherweise einmal nicht herhalten für die Abbildung des „dunklen Deutschlands“. Eine gewöhnliche Kleinstadt mit dem mittlerweile fast schon alltäglichen Rassismus findet man auch in Niedersachsen. Felder, Industrieschlote, eine Region ohne Zukunft, dafür mit Deutschland-Fahnen im Vorgarten, herbstliche Öde. Regisseur Thomas Stuber unterlegt diese Bilder im Intro mit der Deutschlandhymne. Ein stimmungsvoller Prolog, der den passenden Vorgeschmack gibt auf ein unversöhnliches Krimi-Drama, das das Thema „institutioneller Rassismus“ anschneidet und dabei die Probleme des Einzelnen nicht unberücksichtigt lässt. Ein finaler Diskurs bringt es auf den Punkt: Die Jungs, die „den Dreck wegmachen“ müssen, hin oder her – irgendwann muss es mit dem Verstehenwollen ein Ende haben. „Überlegt euch gut, auf welcher Seite Ihr stehen wollt!“ Dass dieses Statement ausgerechnet von Falke kommt, ist kein wohlfeiler Ausdruck von Gutmenschentum. Auch er kann anders, das haben wir gesehen. Aber er setzt sich 70 Filmminuten mit seinem Ausraster auseinander. „Er entdeckt Abgründe in sich, die ihm Angst machen; weil er sich ihnen stellt, geht er aber am Ende gestärkt aus der Geschichte hervor“, betont Wotan Wilke Möhring.
Seelenlage der Kommissare und physische Realität
Falkes spezielle Art der Trauer- und Ermittlungsarbeit – immer wieder kehrt er in das Zimmer des Toten ins Asylbewerberheim zurück – ist es schließlich, die ihn auf die richtigen Spuren bringt. Wenn alle schweigen, muss man sich die Hinweise eben selbst „erarbeiten“. Das ist ein bisschen viel Assoziationskino (dazu gehört auch die etwas übertrieben wirkende „Nibelungen“-Referenz um Siegfried-Mörder Hagen). Aber im eng gesteckten Rahmen der Ermittlungen, bei diesem undurchdringbaren System, geht es kaum anders, wenn sich kein „Nestbeschmutzer“ findet. Eine Kollegin ist drauf und dran, eine Aussage zu machen, doch dann verlässt die allein erziehende Mutter der Mut. Und so finden Kolditz und der hochtalentierte Jungregisseur Stuber („Teenage Angst“) Zeit, die Befindlichkeiten der Kommissare hinreichend auszuloten. Die Bildgestaltung von Grimme-Preisträger Alexander Fischerkoesen („Eine Stadt wird erpresst“), die mit dem Prinzip der Verengung der Räume arbeitet, die Locations im Allgemeinen und das Szenenbild im Besonderen (beispielsweise in der Absteige der Kommissare) geben dieser Trostlosigkeit der niedersächsischen Pampa ein reales, konkretes Gesicht. Diesen stimmungsstarken Bildern, in denen sich die Seelenlage der Kommissare und die abgebildete physische Realität (viel Nacht, wenig Farbe, viel Dunkel) zu einer sinnlichen Einheit verbinden, stehen Bilder von geradezu dokumentarischem Charakter gegenüber. Die Handkamera rückt in vielen Szenen den in die Handlung involvierten Kommissaren auf die Pelle. „Sie erzeugt das Gefühl, alles ist echt“, so Regisseur Stuber. „Wir sehen die Welt mit den Augen der Kommissare, und sehen nicht, was sie nicht sehen.“ Kein Mehrwissen also. Allenfalls Ahnungen. Aber die haben Falke und Lorentz ja auch („der verarscht uns“). Und sie haben vor allem viel zu wenige Beweise… (Text-Stand: 9.9.2015)